Wer will die EU-Osterweiterung?

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Die Osterweiterung ist die Chance Österreichs, in die Gestaltung unseres Kontinents einzugreifen.

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Die Osterweiterung ist die Chance Österreichs, in die Gestaltung unseres Kontinents einzugreifen.

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Mit Bedauern habe ich in der letzten Zeit registriert, daß es namhafte Stimmen aus der Politik (die Landeshauptleute Stix und Pröll, die Abgeordneten Stummvoll und Ettl etc.) gibt, die ihre Aufgabe darin sehen, als Warner vor der EU-Osterweiterung aufzutreten. Meines Erachtens verfehlen diese Politiker ihre Aufgabe und sind offensichtlich so am Tagesgeschäft orientiert, daß ihnen die konzeptive Sicht für die nächsten Jahre mit populistischen Argumenten verstellt ist. Die Osterweiterung ist nämlich die Chance Österreichs, in die Gestaltung des Kontinents einzugreifen.

Zunächst gibt es ein paar vordergründige primitive Argumente, warum die Ostgrenze der Union von uns wegkommen muß. Zu lange sind wir Ostgrenze gewesen, zu viele Lasten (zum Beispiel Schengen) sind damit verbunden, zu sehr verlieren wir damit Chancen in der Nachbarschaft, auch wirtschaftliche Erfolge zu haben. Das berühmte Argument, daß Arbeitsplätze abwandern und billige Arbeitskräfte zuwandern, sticht noch dazu nicht. Wenn unsere Nachbarn "draußen" bleiben, dann wird das Lohnniveau dort weiter tief und die Tendenz der Abwanderung umso größer sein. Je rascher es gelingt, die wirtschaftliche und soziale Situation an unser Niveau anzunähern, umso eher bleiben die Menschen im Lande und die Arbeitsplätze dort, wo sie sind. Die größere Gefahr besteht heute sicher unter dem Aspekt der Globalisierung in der Abwanderung etwa nach Indien oder Südostasien, wie es der Textilindustrie längst passiert ist.

Es gibt daneben aber auch moralische Argumente. Es war ja nicht die angenehmste Situation, daß wir längere Grenzen mit kommunistischen Nachbarn als mit freien Demokratien hatten. Nun hat sich das seit 1989 geändert - und schon wieder wollen wir jemanden von Europa ausschließen. Wir können uns außerdem nicht als Europa bezeichnen, wenn wir andere Europäer weghalten wollen. Daß etwa Iren, Spanier oder Portugiesen nicht interessiert sind, mag verständlich sein, wenngleich auch sie daran erinnert werden müssen, daß ihnen ihre Integration in die Europäische Gemeinschaft sehr viel an politischer, wirtschaftlicher und sozialer Stabilität gebracht hat. Christen sollte außerdem noch das Argument der Solidarität überzeugen - umso schmerzlicher, daß man auch von dieser Seite ganz und gar egoistische Argumente hört.

Im übrigen verlangt die Globalisierung, daß Europa alle seine Reserven mobilisiert, um überhaupt im weltweiten Ausmaß wettbewerbsfähig zu sein. Glaubt denn jemand wirklich, mit den großen Wirtschaftsgebieten Amerikas, Chinas oder Indiens auf die Dauer mit Kleinstaaterei konkurrieren zu können?

Ein weiteres Argument ist die Sicherheit. Ein Nachbar, mit dem man zusammenarbeitet, ist keine Bedrohung, er ist auch stärker gezwungen auf unsere Wünsche einzugehen und für Ordnung im eigenen Haus zu sorgen. Wir sind ja ohnehin Trittbrettfahrer der Sicherheit, weil sie (siehe Debatte über NATO und Neutralität) ohnehin von anderen besorgt wird.

Wer die Argumentation nicht so vordergründig will, sollte sich überlegen, wieviel wir kulturell im Austausch mit unseren Nachbarn durch lange Zeiten gewonnen haben. Gerne zeigen wir zum Beispiel "Wien um 1900" und vergessen, wieviele dieser Größen des Geistes und der Kultur nicht aus dem heutigen Österreich, sondern aus der Nachbarschaft gekommen sind. Mich erinnert die von manchen forcierte Abneigung gegen den Eintritt unserer Nachbarn daran, daß es eine menschliche Mentalität gibt, die von der Hoffnung lebt, bei einem Club als letzter beigetreten zu sein, damit dann nachher niemand kommt, um an den Segnungen der Gemeinschaft teilzuhaben. Ist das wirklich europäisch?

Wir Österreicher haben uns immer eingebildet, ein bißchen mehr von unseren Nachbarn zu verstehen als alle anderen Europäer. Momentan signalisieren wir nur, daß wir sie eigentlich nicht mögen. Ob uns das in der Zukunft guttun wird? Wir sind nämlich selber sehr empfindlich, wenn andere signalisieren, daß sie uns nicht mögen. Man kann nicht gleichzeitig ein Olympiade vorschlagen, an der drei Länder gemeinsam teilnehmen sollen und dann gleichzeitig sagen, daß man das eine oder andere Land aber generell in der EU nicht will. Europa hat seit 1989 erstmals wieder die Chance, sein Schicksal selber in die Hand zu nehmen - dann aber muß es das ganze Europa sein.

Der Autor, Vizekanzler a. D., ist Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa.

Zur Überwindung zwiespältiger Gefühle ist eine gute Vorbereitung auf allen Ebenen notwendig.

Von günter stummvoll Die österreichische Außenpolitik befindet sich in dem Dilemma, daß die österreichische Bevölkerung eine Osterweiterung derzeit noch sehr skeptisch beurteilt, andererseits aber auch in Brüssel davon ausgegangen wird, daß Österreich historisch und wirtschaftlich bedingt ein besonderes Interesse an der Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Staaten hat und damit auch ein verstärktes Engagement für die Integration dieser Staaten zeigen wird.

Zahlreiche makroökonomische Studien belegen, daß die sogenannte Ostöffnung seit 1989 der österreichischen Wirtschaft - durch gute traditionelle Geschäftsverbindungen - überproportional zugute kam. Die sogenannte Osterweiterung hingegen bietet auch zahlreiche neue Merkmale im Vergleich zur Ostöffnung sowie zu früheren Erweiterungen der Gemeinschaft: Erstmals in der Geschichte der Union bewerben sich gleichzeitig zehn ehemals planwirtschaftlich geführte Reformstaaten um volle und möglichst baldige Aufnahme. Und dies zu einem Zeitpunkt, da die EU im Begriff ist, die Wirtschafts- und Währungsunion zu verwirklichen, die letzten Lücken im europäischen Binnenmarkt endgültig zu schließen und sowohl aus interner Notwendigkeit als auch unter externem Druck seine wichtigsten Politiken (Agrarpolitik, Strukturpolitik, Neuer Finanzrahmen 2000 bis 2006) und Institutionen zu reformieren.

Die österreichische Wirtschaft tritt jedenfalls dafür ein, diese anstehenden Aufgaben vor der nächsten Erweiterung zu lösen, da erst dann die Rahmenbedingungen für neue Kandidaten feststehen und die finanziellen Konsequenzen einer Erweiterung abgeschätzt werden können.

In wirtschaftlicher Hinsicht drängt sich vor einer Erweiterung die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit der Beitrittskandidaten auf. Sind diese in der Lage, ohne weiteres auf den Außenschutz an der Grenze in Form von Zöllen oder temporären Schutzmaßnahmen zu verzichten? Wie wird die Wirtschaft in den Reformstaaten den Subventionsabbau oder den Abbau vorhandener Überkapazitäten in sensiblen Regionen und Bereichen wie der Stahlindustrie oder der Landwirtschaft verkraften?

Aus Sicht der österreichischen Wirtschaft, welche in vielen Bereichen über dem EU-Durchschnitt liegende Standards zu erfüllen hat, ist insbesondere darauf zu achten, daß auch die neuen Mitgliedstaaten die EU-Standards im Umwelt- und Sozialbereich sowie bei Wettbewerbs- und Beihilfenregeln einhalten. Diese Bedingung führt zu einer Annäherung der Wettbewerbsbedingungen zwischen Ost und West und stellt eine große Chance der Osterweiterung für die österreichische Wirtschaft dar.

Die technische und finanzielle Hilfe in der Vor-Beitrittsphase sollte sich insbesondere auch auf den Abbau von bestehenden Handelshemmnissen oder den Infrastrukturausbau richten. All dies sind wichtige Voraussetzungen für den Marktzugang in Mittel- und Osteuropa sowie für den freien Warenverkehr. Nicht zuletzt ist ja einer der größten Vorteile der Erweiterung der EU die Vergrößerung des Binnenmarktes und damit auch steigende Absatzchancen für die österreichische Wirtschaft.

Die großen Chancen einer EU-Erweiterung dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß trotz einer guten Vorbereitung der Beitrittskandidaten in Österreich als angrenzendem Nachbarstaat kurz- bis mittelfristig strukturwandlungsbedingte Anpassungsschwierigkeiten sowie Kosten auftreten, welche auf vermutlich noch langfristig weiterbestehende Unterschiede in den Lohn-Stückkosten zwischen Ost und West zurückzuführen sein werden.

Zu Abfederung negativer Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sowie auf das heimische Dienstleistungsgewerbe sieht auch die Wirtschaft die Notwendigkeit von Übergangsmechanismen bei der Umsetzung der Freizügigkeit von Dienstleistungen und Personen. Diese sollten jedoch von den Entwicklungen in den einzelnen Ländern abhängig gemacht werden. Dies könnte in Form von Quoten für bestimmte Qualifikationen und Dienstleistungen geschehen. Zur Abfederung eines Kaufkraftabflusses in den Grenzregionen sowie zur Erhaltung des österreichischen Unternehmensstandortes erwartet sich die Wirtschaft auch eine neue Grenzlandförderung. Hierbei wird an ein neues EU-Förderinstrument aber auch an die flexiblere Gestaltung von nationalen Förderinstrumenten gedacht, welche derzeit aufgrund des EU-Wettbewerbsrechts äußerst begrenzt ist.

Der Autor ist Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich.

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