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Wer wird Bundespräsident?

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Daß die österreichische Innenpolitik vor einem bewegten Herbst steht, ist so gut wie sicher. Dies nicht nur deshalb, weil die Behandlung des Budgets immer Bewegung in die Politik bringt. In einer Demokratie, in der sich — aus welchen Gründen immer — eine Regierung etabliert hat, die nicht die Mehrheit des Parlaments hinter sich hat, gehen die innerpolitischen Wellen immer hoch, hängt doch das Schicksal einer Minderheitsregierung immer an einem Faden, der oft auch aus unbedeutenden Anlässen plötzlich reißen kann. Diese recht komplizierte Situation wird aber'von den im Mai 1971 bevorstehenden Bundespräsidentenwahlen noch überschattet. So gut wie sicher steht fest, daß die SPÖ (oder ein „unabhängiges“ Komitee) den amtierenden Bundespräsidenten Franz Jonas wieder aufstellen wird. Anders ist es in der ÖVP. Vor dem Sommer konnte kein Kandidat ermittelt werden, obwohl sich Parteiobmann Withalm sehr darum bemühte. Nun haben die einsamen Entscheidungen des „Eisernen Hermann“ in seinem Gösinger Urlaubsquartier die Partei zuerst in das personelle Dilemma der Klubobmann-Nachfolge gestürzt. Erst jetzt kann man sich daher in der ÖVP in die nächste Runde — die Kandidatensuche für die Präsidentschaftswahlen — stürzen.

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Daß die österreichische Innenpolitik vor einem bewegten Herbst steht, ist so gut wie sicher. Dies nicht nur deshalb, weil die Behandlung des Budgets immer Bewegung in die Politik bringt. In einer Demokratie, in der sich — aus welchen Gründen immer — eine Regierung etabliert hat, die nicht die Mehrheit des Parlaments hinter sich hat, gehen die innerpolitischen Wellen immer hoch, hängt doch das Schicksal einer Minderheitsregierung immer an einem Faden, der oft auch aus unbedeutenden Anlässen plötzlich reißen kann. Diese recht komplizierte Situation wird aber'von den im Mai 1971 bevorstehenden Bundespräsidentenwahlen noch überschattet. So gut wie sicher steht fest, daß die SPÖ (oder ein „unabhängiges“ Komitee) den amtierenden Bundespräsidenten Franz Jonas wieder aufstellen wird. Anders ist es in der ÖVP. Vor dem Sommer konnte kein Kandidat ermittelt werden, obwohl sich Parteiobmann Withalm sehr darum bemühte. Nun haben die einsamen Entscheidungen des „Eisernen Hermann“ in seinem Gösinger Urlaubsquartier die Partei zuerst in das personelle Dilemma der Klubobmann-Nachfolge gestürzt. Erst jetzt kann man sich daher in der ÖVP in die nächste Runde — die Kandidatensuche für die Präsidentschaftswahlen — stürzen.

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Es ist nicht uninteressant, sich zunächst einmal die bisherigen Wahlen für das höchste Amt der Regierung zu vergegenwärtigen. Die unmittelbare Wahl durch das Volk ist eine erst 1929 in die Verfassung aufgenommene Bestimmung. Bis dahin wurden die Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung gewählt. Der überraschende Wahlausgang vom 26. November 1945, bei dem die ÖVP entgegen allen Erwartungen mit 85 Mandaten die absolute Mehrheit erlangte, und Figl Renner als Kanzler ablöste, führte sofort zu einer Parteienvereinbarung, derzu-folge man sich auf die Wahl Renners durch die Bundesversammlung einigte. Die erste Volkswahl erfolgte also nach dem Tode Renners, aus ihr ging der bisherige Wiener Bürgermeister und ehemalige kaiserliche Oberst Körner.gegen den ÖVP-Kandi-daten Gleißner als Sieger hervor. Seit damals sprach man vom sogenannten Gleichgewicht der politischen Kräfte: ÖVP-Bundeskanzler, SPÖ-Bundes-präsident. Die gleichen Überlegungen waren ohne Zweifel für den Wähler auch bei allen nachfolgenden Bundespräsidentenwahlen maßgeblich, wobei anläßlich der Wiederwahl von Bundespräsident Schärf noch hinzu kam, daß ein im Amte befindlicher Bundespräsident ungleich höhere Wahlchancen als jeder Gegenkandidat hat.

Die gleiche Überlegung herrschte bis zum 20. April 1970 vielfach auch in maßgeblichen ÖVP-Kreisen, die die Auffassung vertraten, daß ein Verzicht der ÖVP auf Nominierung eines eigenen Kandidaten für 1971 möglich wäre. Diese Überlegungen sind aber mit dem 20. April 1970 abrupt widerlegt worden. Daß nach dem Wahlausgang vom 1. März zunächst der Obmann der stärksten parlamentarischen Partei mit der Regierungsbildung beauftragt wurde, entsprach einer selbstverständlichen Übung in jeder Demokratie. Der Auftrag lautete auch auf Bildung einer großen Koalition unter Führung eines sozialistischen Bundeskanzlers. Daß aber nach dem Scheitern dieses Auftrages seitens des Bundespräsidenten nicht der Versuch gemacht wurde, zunächst einen ÖVP-Vertreter mit der Regierungsbildung zu betrauen, trug dem Bundespräsidenten die bekannten Vorwürfe seitens der beiden gegenwärtigen Oppositionsparteien ein. Man hätte die Bildung einer sozialistischen Minderheitsregierung verstanden, wenn es einem designierten ÖVP-Bundeskanzler nicht gelungen wäre, eine Regierung zu bilden, aber die Unterlassung eines solchen Versuches seitens des Bundespräsidenten rückte die stark politische Stellung des österreichischen Staatsoberhauptes in den Mittelpunkt der Diskussion. Die Volkspartei ist daher gar nicht mehr in der Lage, die erwähnten seinerzeitigen Überlegungen hinsichtlich einer Wiederwahl von Franz Jonas anzustellen, sondern muß nun ihren eigenen Kandidaten präsentieren. Sie wird dies diesmal mit um so größerer Aussicht auf Erfolg tun können, als das politische „Gleichgewichtsdenken“ der Österreicher sicherlich ein nicht zu unterschätzender Wahlfaktor sein wird!

Die Präsentation muß bald erfolgen, denn jeder Kandidat bedarf natürlich einer gewissen Anlaufzeit, damit er in der öffentlichen Meinung entsprechend „aufgebaut“ werden kann. Das zuständige Forum der österreichischen Volksparted, die Bundesparteileitung, wird also nur aus dem Kreis angesehener ÖVP-Politiker wählen können. Dabei aber werden schon einmal alle jene auszuscheiden haben, die gegenwärtig ein wichtiges politisches Amt ausüben. Die Auswahl wird sich also auf ehemalige Regierungsmitglieder, auf hohe politische Funktionäre, bei deren allfälliger Wahl die Nachfolge keine großen Schwierigkeiten bereitet, und auf bedeutende Persönlichkeiten aus den Bundesländern beschränken müssen. Von den ehemaligen Regierungsmitgliedern sind gegenwärtig bekanntlich folgende Personen im Gespräch: Zunächst Bundeskanzler a. D. Dr. Klaus. Für ihn spricht das hohe Maß an Popularität, das jedem Ex-Regierungschef schon auf Grund seiner Stellung eignet. Nicht beantworten läßt sich allerdings die Frage, Wie die Wählerschaft auf die Kandidatur eines ehemaligen Parteiobmannes reagieren würde, unter dessen Ägide die ÖVP ihre schmerzliche Wahlniederlage erlitten hat. Ferner Dr. Waldheim, der sich durch seine Tätigkeit als Außenminister hohes Ansehen in der breitesten Öffentlichkeit erworben hat, was für einen Außenminister als ein außerordentlich seltener Fall gilt. Ob sich eine Kandidatur Waldheims allerdings mit den Möglichkeiten koordinieren läßt, diesen Mann vielleicht als Kandidaten für das höchste internationale politische Amt, den Generalsekretär der Vereinten Nationen, zu nominieren, ist zu überlegen. Die Chance, daß dieses Amt einmal von einem Österreicher ausgeübt wird, ist jedenfalls so wichtig, daß sie in die Überlegung unbedingt einbezogen werden muß. . Aus der Reihe der sonstigen hohen Funktionäre ist bisher nur Dr. Maleta genannt worden, der auf Grund seiner langjährigen Stellung als Präsident des Nationalrates ohne Zweifel den Beweis erbracht hat, daß er auch ein angesehener Hausherr in der Hofburg sein würde. Es kann aber auch nicht verschwiegen werden, daß er gerade wegen seiner langjährigen hohen Funktion bisher zuwenig Gelegenheit zu engeren Kontakten mit der Wählerschaft hatte. Sollte die Auswahl auf ihn fallen, wird er sich diesem Problem mit vollster Intensität widmen müssen.

Unter den möglichen Kandidaten aus den Bundesländern zeichnen sich bisher nur zwei Namen ab: der steirische Landeshauptmann Dr. Kralner und der Innsbrucker Bürgermeister Dr. Lugger. Beide Männer können auf eine starke Verbundenheit mit ihren Wählern verweisen, wobei allerdings die Frage offen bleibt, wie weit sich diese Popularität außerhalb der bisherigen Tätigkeitsbereiche auszuwirken vermag.

Es ist aber noch ein Umstand zu berücksichtigen. Absolute Mehrheiten nach der Anzahl der Wählerstimmen hat es bisher für eine politische Partei in Österreich nicht gegeben. Die Volksparted. wird daher berücksichtigen müssen, daß ihr ein Erfolg bei den Bundespräsidentenwahlen nur dann beschieden sein wird, wenn ihr Kandidat auch Stimmen aus dem freiheitlichen Lager gewinnt. Sie wird also gut beraten sein, wenn sie bei der Auswahl ihres Kandidaten darauf entsprechend Rücksicht nimmt. Das aber besagt, daß die ÖVP nicht ein zweites Mal den Fehler machen darf, den sie vor und unmittelbar nach den Wahlen vom 1. März gemacht hat, nämlich der dritten Partei die kalte Schulter zu zeigen. Aber auch die FPÖ muß wissen — und sie weiß es sicherlich auch — welche enorme Bedeutung die politische Herkunft des Bundespräsidenten für die Existenz und vor allem für die Wirksamkeit einer kleinen Partei in Österreich hat.

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