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Werden die Reichen reicher?

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„TC“ erkennt derzeit eine Ausbreitung des kapitalistischen Systems. Die Reichen werden immei reicher; die Armen verelenden. Del Akzent liegt besonders auf den klaffenden Unterschieden der Gehalts- und Lohnskala, wo zwischen der einzelnen sozialen Gruppen eine Fächerung von 1 bis 1500 entstand ein Prozeß, der weitere Dimensionen annimmt. Eine Million Arbeitsloser, entweder offen oder versteckt, bevölkern den Arbeitsmarkt. Gewiß, die Konzentrierung der Industrie war das auslösende Moment, aber die Verlagerung, die Neubewertung einzelner Regionen wurde unterlassen oder zu spät angegangen. Einzig die Linke wäre in der Lage, solche Auswüchse eines Systems, das den Banken größte Macht verleiht, zu bekämpfen. Der Wohnbau wurde fasi nicht grundsätzlich feindlich gegenüber. Das Referendum, welches den Algerienkrieg beendete, wurde lebhaft unterstützt, aber „TC“ bemängelt eine Demokratie, die auf Autorität und der alleinigen Entscheidungskraft einer Persönlichkeit aufgebaut ist. Denn es besteht keine Präsidialregierung wie in den USA, sondern ein modernes Königstum wurde instauriert, wobei der gaullistischen Partei zuwenig Funktionen als politischem Willenträger der Nation zugebilligt wurden.

„Diese Partei wird aus der politischen Landkarte kaum mehr wegzudenken sein. Viele Interessen kristallisieren sich im Gaullismus. Eine Staatspartei, die praktisch neun Jahre Zeit hatte, in den gesamten Mechanismus des Staates einzudringen, verschwindet nicht ohne weiteres.“

„TC“ unterstützt mit Vorbehalt die Konvention Mitterands, billigt ihr aber nur geringe Chancen zu. Lecanuet hätte Erfolge aufzuweisen, begeht aber die gleichen Fehler wie das frühere MRP. Er versammelt eine ambitionierte, linksorientierte Jugend und vereinigt sie mit einer konservativen Wählerschaft.

Nachhaltiger und schärfer wird die außenpolitische Position der Fünften Republik kritisiert, der bewußte Antiamerikanismus des Generals findet interessanterweise keine Unterstützung. Besonders die Methoden, welche die Regierung verwendet, stoßen bei „TC“ auf größte Bedenken.

„TC“ beabsichtigt, in Zukunft die großen Themen seines Kampfes wiederaufzunehmen. Die Erneuerung der Linken, der moderne Sozialismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Fortsetzung der Gespräche mit dem Kommunismus. „TC“ weiß, daß Gräben bestehen, die nie übersprungen werden. Eine gemeinsame politische Aktion Katholiken-Kommunisten sei daher ausgeschlossen, denn die Gegensätze bestehen einfach. Die Redakteure vom „TC“ beobachten im Kommunismus eine beachtliche Entwicklung, und die Zeit ist reif, um in diese eratischen Blöcke einzudringen, welche die Kommunisten um ein Viertel des französischen Volkes legen.

Die rechte Mitte

Man kann mit der Optik vom „TC“ einverstanden sein, sie in Frage stellen oder offen bekämpfen. Der Mut zum Bekenntnis, die Geradlinigkeit des Denkens verdienen unsere Anerkennung. „TC“ könnte in der Behaglichkeit der Konzilsbeschlüsse verharren, aber weitere Horizonte lok- ken, die bisherigen Fronten lösen und versteifen sich wieder.

Ist das Ringen um Begriffe dem linken Flügel der Katholiken eine Selbstverständlichkeit, so tasten ebenfalls andere Gruppen nach modernen Formen, die dem französischen Katholizismus entsprechen. Was denken die liberalen Bürger, die Ingenieure und Adeligen? Die Aristokratie diente durch Jahrhunderte dem Staat und schenkte der Kirche wertvolle Kräfte. Diese Kreise bringen in der Wochenzeitschrift „La France Catholique“ ihren Beitrag zu der Diskussion.

Man fühlt bereits beim Eintreten einen unverkennbaren Geist bürgerlicher Eleganz, distinguierte Herren drücken dem Haus einen bestimmten Charakter auf. In den Gesprächen vermissen wir die Leidenschaftlichkeit. Die Polemik findet artige Worte, die Reflexionen filtrieren sorgfältig durch ein Prisma der Kritik, die eigene Ideen in den Zusammenhängen prüfen. „FC“ wurde 1939 als dais Dokument einer Presseagentur gegründet und während der Besatzung in der freien Zone Frankreichs in eine Zeitschrift umgewandelt. Nach der Befreiung stieg das Blatt zum Sprachrohr der allgemeinen Katholischen Aktion auf, geleitet durch den Präsidenten Cour- Grandmaison. 1955 löste sich die Zeitschrift aus der Katholischen Aktion und gewann eine vollständige Autonomie. Die Auflage wird wöchentlich mit 60.000 angegeben, wobei die Hälfte durch regelmäßige Abonnenten bestätigt erscheint.

Ohne Zweifel beansprucht „FC“ die Rolle des Sprachrohrs, die einem bestimmten Faktor des französischen Katholizismus zukommt. Das Kon zil, führt der Chefredakteur Fahre - gutes aus, der mit Überzeugung und starkem persönlichem Gefühl die Linie der Zeitschrift bestimmt, fordert eine entsprechende Interpretierung.

Die Zeitschrift denkt in Kategorien, welche die großen Vorkämpfer der christlichen Demokratien in Frankreich erdachten, und schöpft letzte Referenzen in den sozialen Botschaften der Päpste. „FC“ lehnt eine Philosophie des Kampfes ab. Diese falschen Worte in Gesprächen erzeugen Verwirrungen und verhindern die eindeutige Stellungnahme. In diesen Perspektiven beurteilt die Zeitschrift den gewünschten Dialog mit den Marxisten. Keinem Menschen wird eine Aussprache verweigert. Aber ist eine solche mit einem Parteiapparat möglich, der totalitäre Ansprüche vorbringt und den Pluralismus der gegenwärtigen Gesellschaft bedroht? Zu oft wurde der Besuch Gromykos bei Paul VI. angeführt, um solche Kontakte zu fördern. Aber die diplomatischen Gespräche zweier Staaten, wobei das Schicksal großer katholischer Volksteile in den kommunistischen Ländern auf dem Spiele steht, hat wenig mit Ideologien zu tun. Denn jeder Dialog mit den Kommunisten fördert bewußt oder unbewußt eine politische Zusammenarbeit im politischen Bereich, und dadurch findet die große Verwirrung ihre Verbrei-

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