
Wie der Tod von Jina Amini den Iran veränderte
Am 16. September jährt sich der Tod von Jina Mahsa Amini, der im Iran die schwersten und blutigsten Aufstände seit Jahrzehnten ausgelöst hat, zum ersten Mal. Auch wenn die Proteste nun weniger lautstark sind: Die Gesellschaft des Landes ist eine andere geworden. Rekonstruktion eines politischen Verbrechens.
Am 16. September jährt sich der Tod von Jina Mahsa Amini, der im Iran die schwersten und blutigsten Aufstände seit Jahrzehnten ausgelöst hat, zum ersten Mal. Auch wenn die Proteste nun weniger lautstark sind: Die Gesellschaft des Landes ist eine andere geworden. Rekonstruktion eines politischen Verbrechens.
Teheran, 13. September 2022: Jina Mahsa Amini steigt an der Station Shahid Haqqani aus der U-Bahn. Wenige Stunden zuvor hat sie sich in der Stadt Saqqez für ein Biologiestudium eingeschrieben – nun will die Kurdin in der Hauptstadt Verwandte besuchen. Begleitet wird sie von ihrer Mutter und ihrem Bruder. Sie trägt einen langen schwarz-weißen Umhang und ein schwarzes Kopftuch. Augenzeugen werden später berichten, dass ein paar Haarsträhnen herausgeschaut haben.
Am Ausgang warten Beamte der Gascht-e Erschad, Irans Sittenpolizei. Die Männer halten Jina Amini an, erklären, sie sei „unislamisch“ gekleidet. Ihren Begleitern sagt man, man müsse sie auf die nächste Polizeistation bringen. Für eine „Erziehungs-Orientierungs-Lektion“. Jina Amini wehrt sich. Vergebens. Sie wird gewaltsam in einen Polizeiwagen gedrängt.
Jina Amini ist nicht die einzige Festgenommene in dem Bus. Wohl aber die widerständigste. Sie begehrt auf, versucht, sich verbal zu verteidigen. Die Polizisten bringen sie mit Schlägen auf den Kopf zum Schweigen. Auf der Polizeistation kommen zusätzlich Knüppel und Pfefferspray zum Einsatz. Jina Amini fällt in Ohnmacht. Einige Beamte versuchen, sie wiederzubeleben. Andere sammeln hektisch die Mobiltelefone der Mitinhaftierten ein – damit der Vorfall weder fotografiert noch aufgenommen werden kann.
Die Identifikationsfigur
Erst nach Stunden kommt ein Krankenwagen. Zwei Tage später, am 16. September 2022, diagnostizieren die Ärzte im Kasra-Krankenhaus den Hirntod der 22-Jährigen. Eine Computertomografie von Jina Aminis Kopf kommt in Umlauf. Zu sehen ist ein Bruch der rechten Schädelseite, durch den Blut in die rechte Hirnhälfte geflossen ist. Erst nach 76 Stunden fühlen sich iranische Staatsmedien bemüßigt, über den Tod der jungen Frau zu berichten. Es heißt: Aufgrund einer Vorerkrankung (tatsächlich hatte man bei Jina Amini im frühen Kindesalter einen gutartigen Tumor diagnostiziert) sei es auf der Polizeiwache zu einem Sauerstoffmangel im Gehirn und dann zu einem multiplen Organversagen gekommen. Diese Umstände hätten schließlich zum Exitus geführt.
Doch Jina Aminis Tod und alles, was diesem vorausgegangen ist, sind längst Thema im Land. Es ist die Journalistin Niloofar Hamedi, die via Twitter (heute X) darüber berichtet und damit eine breite Öffentlichkeit erreicht. Ihr schließt sich eine Kollegin an, Elahe Mohammadi. Beide Frauen werden später ohne Gerichtsverfahren ins Teheraner Evin-Gefängnis gebracht. Man wirft ihnen Landesverrat vor, auf den im Iran die Todesstrafe steht.
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