
Wie die Ukraine ihre Geschichte ohne Russland schreibt
Der soeben mit dem Karlspreis ausgezeichnete Wolodymyr Selenskyj treibt die „Entrussifizierung“ der Ukraine weiter voran. Warum, erklärt der Philosoph Wachtang Kebuladse.
Der soeben mit dem Karlspreis ausgezeichnete Wolodymyr Selenskyj treibt die „Entrussifizierung“ der Ukraine weiter voran. Warum, erklärt der Philosoph Wachtang Kebuladse.
Der ukrainische Präsident war zuletzt auf Tour: Rom, Berlin, Aachen, Paris, London. Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben dabei weitreichende Zusagen für weitere Waffenlieferungen gemacht. In Rom gab es demonstrative Rückendeckung.
Im Vatikan herrschte allerdings gedämpfte Stimmung. Einig war man sich nur, dass der Krieg eine humanitäre Tragödie ist. Wie weit man inhaltlich auseinanderliegt, verdeutlichten schon die Mitbringsel: Papst Franziskus schenkte Wolodymyr Selenskyj eine Skulptur, die einen Olivenzweig darstellt; Selenskyj überreichte Franziskus eine auf eine durchlöcherte Splitterschutzweste gemalte Ikone. Mit Kritik an Russland hatte sich Franziskus stets zurückgehalten. Das ist ein Grund für die Kühle. Ein anderes ist das Verständnis von Frieden als Abwesenheit von offenem Krieg. Und so sagte Selenskyj auch: „Wir laden den Papst ebenso wie alle anderen Führer ein, für einen gerechten Frieden einzutreten, aber vorher müssen wir alles Übrige erledigen.“ Soll heißen: den militärischen Sieg erreichen.
Dabei haben die beiden zumindest eines gemeinsam: Sie sind Träger des Aachener Karlspreises. Der Preis geht an Personen des öffentlichen Lebens, die sich für die Einheit Europas einsetzen. Selensky wurde der Preis am Sonntag verliehen. Franziskus hatte ihn 2016 erhalten. Da war die Welt noch eine andere – zumindest in der Wahrnehmung Westeuropas.
Russische Ortsnamen verbannt
Aber Russlands Krieg in der Ostukraine hatte da längst begonnen. Ein Krieg, der – wie sich heute zeigt – nicht mehr war als ein Vorscharmützel eines Russland, das nach Unterwerfung seiner Nachbarn und imperialer Größe strebt, während man sich in der Ukraine bereits damals aktiv daranmachte, Russland aus genau diesem Grund aus dem öffentlichen Raum zu verbannen.
Seit 2015 sind Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus dort rechtlich gleichgestellt und gelten als kriminelle Regime. Ende April aber hat Selenskyj diese Regelung auf eine neue Stufe gehoben – und ein Gesetz unterzeichnet, das die Umbenennung aller russischen Ortsnamen vorsieht. Ein zweites Paragraphenwerk sieht die Kenntnis der ukrainischen Sprache sowie der Geschichte des Landes als Grundvoraussetzung für den Erwerb der Staatsbürgerschaft vor. Es gehe um „Entkolonialisierung“ und „Entrussifizierung“.
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