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Wie Mäuse unter Elefantenfußen

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DIEFURCHE: Merkt man in Ihre)- Diözese schon Auswirkungen des Dayton-Friedensabkommens? Bischof Franjo Komarica: Leider Gottes hat sich die Situation nach dem Dayton-Abkommen nicht allzu viel verbessert. Die internationale Gemeinschaft hat uns eigentlich noch zusätzlich bestraft. Statt diejenigen, die ein Verbrechen an uns, den katholischen Kroaten, und anderen Menschen begangen haben, anzuprangern, wurden die Vertriebenen, die gegen niemanden gekämpft haben, offiziell ihren Henkern ausgeliefert. Das schmerzt uns zusätzlich, weil wir doch von den internationalen, demokratisch und humanistisch gesinnten Politikern viel mehr in puncto Verteidigung der grundlegenden Menschenrechte und Freiheiten erwartet haben. In den vergangenen sechs, sieben Monaten seit Dayton sind daher nur ein paar Dutzend Menschen zurückgekommen.

DIEFURCHE: Wie war denn das Verhältnis von Kroaten, Serben und Moslems in Ihrer Diözese? komarjca: Überall im ehemaligen Jugoslawien, nicht nur in dieser Gegend, war dieses Verhältnis sehr gut; nicht nur an der Spitze der Kirchenleitungen, sondern auch unter den Leuten. Es herrschten gute nachbarschaftliche Verhältnisse, weil wir dort bunt gemischt waren. Dann haben sich die anderen eingemischt, haben die Volksgruppen angeheizt, weil sie die einmalige Idee hatten, ethnisch saubere Gebiete zu schaffen und Großserbien zu errichten - was mir auch in vielen Gesprächen namhafte Politiker lokaler und internationaler Provenienz bestätigt haben.

Die Drahtzieher, die außerhalb dieser Gegend lebten, haben ein normales und wünschenswertes Zusammenleben brutal zerstört. Während der ganzen Zeit des Krieges hatten wir unsere Caritas, die auch sehr viele Serben und Moslems ernährte. Und die kommen auch heute wieder zu uns, wenn sie etwas brauchen, und wir teilen mit ihnen. Wir haben versucht, das Evangelium zu verwirklichen: Tut Gutes denen, die euch hassen. Das wollen wir auch weiter tun.

DIEFURCHE: Die Drahtzieher sind also von außen gekommen? komarjca: Absolut. Sie kamen aber nicht nur aus Belgrad, sondern auch von außerhalb Belgrads. Leider Gottes mußte ich in vielen Gesprächen mit namhaften europäischen und amerikanischen Politikern erfahren, daß auch unterschiedliche Interessen der Großmächte aufeinanderprallten, daß wir also mehr oder weniger Mäuse unter den Füßen der Elefanten sind. Dafür könnte ich Ihnen jetzt viele Argumente vorlegen und beweisen, daß die Großmächte in einer verhängnisvollen Verkennung der Situation das Blutbad in unserer Heimat nicht verhindert, sondern - größtenteils - zugelassen haben.

Jetzt versuchen sie, das auszubessern, obwohl auch jetzt noch eine große Uneinigkeit und Unentschlos-senheit unter den führenden westlichen Ländern herrscht, besonders unter den Ländern der Kontaktgruppe.

DIEFURCHE: Betrachtet man die Zahlen (siehe Kästchen Zur Person), muß man feststellen, daß Sie eigentlich Ihre Diözese verloren haben. komarica: Was heißt verloren? Ich habe mich bemüht um die Qualität des Lebens sowohl der Gläubigen meiner Diözese als auch der anderen, die in meiner Diözese leben. Wir haben alles unternommen, die Prinzipien der europäischen Zivilisation zu retten. Nach Einschätzung anderer ist uns das auch gelungen; viele sagen mir, daß man uns helfen muß, weil wir es verdient haben durch unser Verhalten. Deswegen möchte ich nicht von einer verlorenen Diözese sprechen. Ich erwarte von den international zuständigen Politikern, daß sie uns die durch Unrecht weggenommenen Menschenrechte wieder zurückgeben. Ich werde nicht müde werden, allen, die sich als Menschen betrachten*immer wieder ins Gewissen zu reden, ihr Menschsein in unserem Fall zu beweisen. Sind wir schuldig, werden wir die Strafe auf uns nehmen und büßen; sind wir unschuldig, was wir immer wieder betonen und beweisen wollen, dann verlangen wir, daß die zivilisierte Welt das auch anerkennt. Das ist nicht zuviel verlangt.

DIEFURCHE: Wo leben denn Ihre Diö-zesanangehörigen jetzt? komarica: In Kroatien, aber auch hier in Osterreich und in Deutschland. Ich habe viele Gruppen meiner vertriebenen Gläubigen besucht - der Großteil will trotz allem zurückkehren, freilich unter der Bedingung, daß die dortige Regierung ein menschliches Antlitz hat.

DIEFURCHE: Urui ist das der Fall? komarica: leider Gottes nicht. Ich vermisse da wirklich die Ernsthaftigkeit, Ehrlichkeit, Redlichkeit und Glaubwürdigkeit der internationalen Organisationen, die zuständig sind für die Durchführung von Dayton und jetzt bei den Wahlen so heuchlerisch getan haben. Obwohl - wie mir auch hier in Wien vom Außenministerium gesagt wurde - nachweisbar die notwendigen Voraussetzungen für die

Durchführung der Wahlen nicht erfüllt waren, haben sie stattgefunden. Und statt daß man klar sagt, daß die Verbrecher gegen die Menschlichkeit und ihre Partei, die ethnische Säuberungen durchgeführt und so einen neuen Rassismus praktiziert haben, sich nicht an den Wahlen beteiligen dürfen, hat man sie zugelassen. Damit wurden die Menschen wieder irregeführt, auch die Wähler, die sie gewählt haben. Darin sehe ich die inkonsequente Haltung der führenden politischen Kräfte in Europa und in der Welt. Wenn sie in Dayton A gesagt haben, dann müssen sie in der Praxis auch B sagen.

DIEFURCHE: Dieses B-Sagen hat bei den Wahlen nicht stattgefunden? K.omar1ca: Das ist allen bekannt. Wenn gewählte Vertreter jetzt wieder sagen, wir werden nicht zulassen, daß die Vertriebenen zurückkehren, dann ist das nur die Wiederholung ihrer Absichten aus der Zeit vor Dayton. Der Vertreter eines einflußreichen europäischen Staates, dessen Präsident auch mitunterschrieben hat (den Namen werde ich nicht nennen), hat mir in meinem Haus Anfang des Jahres gesagt: Wir werden alles unternehmen, daß Dajaon nicht gelingt. Er hat das damit begründet, daß man nicht zulassen könne, daß Amerika in unserem Haus hin- und herspaziert. Aber das sind die Diskrepanzen der Großmächte. Ich habe sie angefleht, warum einigt ihr euch nicht, um Gottes willen?

DIEFURCHE: Sie wirken nicht nur enttäuscht, sondern auch kämpferisch. komarjca: Meine Enttäuschung habe ich vielen Gesprächspartnern kundgetan. Statt daß man den Friedensprozeß ankurbelt, die friedfertigen Menschen motiviert und alles unternimmt, um einen Versöhnungs- und Verzeihungsprozeß einzuleiten, führt man noch immer gewaltsame Trennungen durch und setzt auf Parolen, daß es kein Zusammenleben mehr gibt. Wir, die katholische Kirche, nicht nur in Banja Luka, sondern in ganz Bosnien-Herzegowina, haben uns nachweisbar ununterbrochen durch die Kriegszeit für ein multiethnisches, multikulturelles und multireligiöses Bosnien-Herzegowina eingesetzt, so wie uns Gottes Vorsehung zusammengebracht hat; wir leben ja nicht erst seit gestern dort zusammen und hatten schon einen modus vivendi gefunden. Ich betone, es gibt ein Zusammenleben und beweise es an Ort und Stelle - und wenn manche mit gutem Gewissen behaupten, daß es kein Zusammenleben mehr gibt, dann sollen die doch gehen, in Gottes Namen, sie haben ja die freie Walil. Wenn wir als Europäer dort die Grundprinzipien unserer Zivilisation so hart mit Füßen treten, dann sind wir die größten Verräter an den folgenden Generationen. Verhindern wir das Entstehen nächster Bosnien in Europa! Mit unserem Präzedenzfall wird es sehr leicht werden, ähnliches auch anderswo zuzulassen.

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