6725712-1965_31_05.jpg
Digital In Arbeit

Wie schön ist das Burgenland?

Werbung
Werbung
Werbung

Seit einem Jahr zeichnet für die burgenländische Landespolitik ein sozialistischer Landeshauptmann verantwortlich. Die Vorstellungen über das dritte „rote Bundesland“ sind bei politischen Touristen aller Schattierungen, die das Burgenland besuchen und politische Erkundigungen einziehen wollen, sehr merkwürdig. Immer wird dabei die Frage gestellt: „Was hat sich im Burgenland seit der letzten Landtagswahl geändert?“ Folgt darauf die Antwort: „Eigentlich sehr wenig“, so sind die Fragenden meistens verblüfft und unzufrieden. Die einen erwarteten sich Schreckensgeschichten über die „rote Herrschaft“ im Burgenland. Weil die prophezeite sozialistische „Machtergreifung“ nicht stattgefunden hat, schütteln sie den Kopf mit der Bemerkung:

.....daß sich schon gar nichts mehr in der Politik von dem ereignet, was mit großen Worten angekündigt wird.“

Überraschung für politische Touristen

Andere wieder möchten schon nach einem Jahr das „schöne Burgenland“, das die Sozialisten versprochen haben, im Stadium der Verwirklichung antreffen und bewundern können. Sozialistische Parteitouristen, die zur Besichtigung des neuen roten Bundeslandes eingeladen werden, verraten oft eine bemerkenswerte Naivität in politischen Fragen. Sie meinen, eine sozialistische Mehrheit könne plötzlich alles anders machen. Man sollte nicht glauben, wie auch heute noch alte sozialistische Utopien seltsame Blüten treiben.

So wichtig im Schwung einer Parteitagsatmosphäre entworfene politische Programme für die Parteiwerbung sind, sie können aber bei den eigenen Anhängern und den Wählern Enttäuschungen auslösen, wenn ihre Verwirklichung, mit der utopische Vorstellungen verbunden wurden, auf sich warten läßt.

Dasselbe gilt wohl auch für eine Wahlpropaganda, die dem Gegner •Kfälsühlichefweise' Ansichten “unterschiebt, die er gar nicht hegt, geschweige denn jemals verwirklichen würde. Was man damit erreicht, ist die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Wähler und den politischen Parteien.

Vorsicht beim Lizitieren

Wer sich für den derzeitigen Stand der politischen Verhältnisse im Burgenland interessiert, dem kann man wohl nur eine Auskunft geben: Weder von der „roten Herrschaft“ ist hier etwas zu spüren noch kann man das „schönere Burgenland“ als zauberhafte Erscheinung betrachten. Die „rote Herrschaft“ entpuppt sich derzeit als eine milde Herrschaft, so daß manche prominente ÖVPler den Wunsch haben, das Böp:l-Regime möge noch sehr lange andauern. Führende Politiker der SPÖ, die mit beiden Füßen auf dem Boden der politischen Wirklichkeit stehen, würden froh und glücklich sein, wenn es ihnen gelingen könnte, für die nächsten Jahre das „schöne Burgenland“, zu dem von dem früheren Landeshauptmann Lentsch die Fundamente gelegt wurden, zu erhalten. In der augenblicklichen Situation ist auch für eine sozialistische Politik ein „schönes Burgenland“ der optimale Zustand, der zu erreichen ist, es sei denn, in Wien würde eine Haltungsänderung gegenüber wirtschaftlich unterentwickelten Gebieten eintreten. Zunächst müssen von den Politikern die Voraussetzungen geschaffen werden, die seine Landespolitik ermöglichen, die vom „schönen“ zum „schöneren“ Burgenland erfolgreich fortschreitet. Gewiß, der Landtag hat in diesem Jahr unter sozialistischer Mehrheit ein sogenanntes Entwicklungsbudget beschlossen, das mithelfen soll, die Wirtschaft des Landes anzukurbeln. Ob aber dieser Weg zielführend ist, darüber gehen die Meinungen der Fachleute und der führenden Beamten sehr weit auseinander. Die Schuldenlast des Landes hat sich durch das Entwicklungsbudget sprunghaft erhöht. Es handelt sich hier um kein Novum in der Budgetpolitik. Man hat vor Jahren Dr. Karnitz auch hierzulande als „Schuldenmacher“ vor den Wählern angeklagt, heute aber weiß auch die sozialistische Landespolitik keine andere Alternative. Dabei ist die Finanzkraft des Landes durch die Übernahme zahlreicher Haftungen im Zusammenhang mit Industrieneugründungen auf Jahre hinaus schwerstens angeschlagen. Millionen werden hier für eine sehr fragwürdige „Industrialisierung“ ausgegeben, die sich schon innerhalb eines Jahrzehnts als große landespolitische Pleite herausstellen kann. Trotzdem wird diese Aktion fortgesetzt und das Landesbudget immer neu belastet. Die Warnungen von Wirtschaftsfachleuten werden nicht beachtet.

Betriebe: hohe „Sterblichkeitsrate“

Erst vor einigen Tagen hat Staatssekretär Soronics bei einer Sitzung des Landesvorstandes des ÖAAB in Eisenstadt erklärt, daß die Sterblichkeit unter den neu im Land angesiedelten Betrieben große Sorge bereite. Er forderte die Landesregierung auf, bei der Auswahl der neuen Betriebe, die vom Land Unterstützung erhalten, rigoroser vorzugehen. Sicherlich handelte es sich bei der ganzen Industrieansiedlung um ein Experiment, mit dem am Anfang für das Land ein finanzielles Risiko verbunden war. Aber heute, wo ein Betrieb nach dem anderen an das Zusperren denkt, kann es politisch nicht mehr vertreten werden, Haftungen für neue Betriebe zu übernehmen. Es ist zu hoffen, daß das „Betriebssterben“ nicht ohne Auswirkung auf das Wirtschaftsjörderungsgesetz bleibt, das in diesen Wochen von den beiden Regierungsparteien vorberaten wird. Die Landespolitiker der ÖVP werden sich bei dieser für das Land entscheidenden Frage nicht auf die Rolle des Warners aus dem Hinterhalt zurückziehen dürfen, sondern sie werden zu einer weiteren Verschuldung des Landes durch die Finanzierung hoffnungsloser Betriebsgründungen ein klares Nein sagen müssen.

Schweigen auf dem SPD-Parteitag

'Es ist äüfgefäirenV daß 1 Hach“ dem Bericht des sozialistischen Zentralorgans beim sozialistischen Parteitag kein Wort über die wirtschaftliche Notlage des Burgenlandes gefallen ist. Die niederösterreichischen Sozialisten brachten mehrere Anträge ein und verschafften den wirtschaftlichen Anliegen ihres Landes am Parteitag Gehör. Nach der „Arbeiter-Zeitung“ soll Niederösterreich reicher werden. Haben die burgen-ländischen Sozialisten geschwiegen oder ist die sozialistische Führung in Wien an einem „schöneren Burgenland“ nicht mehr interessiert? Der Parteitag, der ein Österreichprogramm „für morgen“ diskutierte, wäre das Forum gewesen, mit allem moralischem Nachdruck auf die wirtschaftliche Situation des Burgenlandes hinzuweisen und einige Forderungen anzumelden. Kurz nach dem Parteitag meinte ein sozialistischer Funktionär aus dem Burgenland, Olah habe seinerzeit das meiste Verständnis für die wirtschaftlichen Probleme des Burgenlandes aufgebracht. Pittermann selbst, der große Machtträger innerhalb der verstaatlichten Industrie, so bemerkte der sozialistische Funktionär, habe sich meistens nur im Vorbeigehen über burgenländische Probleme informieren lassen. Um so mehr hätte der Parteitag die Gelegenheit geboten, die Anliegen des Burgenlandes klar und deutlich auszusprechen. Der Selbsterhaltungstrieb der jungen und gar nicht so gefestigten sozialistischen Mehrheit im Burgenland hätte ein solches Vorgehen diktieren müssen. Aber warum entfalten die sozialistischen Spitzenpolitiker nicht mehr Initiative, fragt sich mancher Burgenländer. Vor und nach der Landtagswahl erweckten die Sozialisten viel Vertrauen und zeigten wenigstens in ihren Reden Mut zu neuen Wegen. In ihrem Handeln geben sie sich jetzt eher konservativ und zu sehr gebunden an Lieblingsideen, die zwar vom ideologischen Gesichtspunkt her erstrebenswert erscheinen, aber im wirtschaftlichen Leben oft zu keinem Erfolg führen. Die Industrialisierung ist eine solche Lieblingsidee, die mit untauglichen Mitteln forciert wird und faktisch im großen und ganzen zum Scheitern verurteilt ist Burg- und Seespiele, deren kultureller Wert nicht bestritten werden soll, die aber dem Land Millionen kosten, ohne die Investitionen zu rechtfertigen. Dabei hat man dort, wo sich Investitionen lohnen und zur .Verbesserung der Wirtschaftsstruktur des Landes beitragen würden, gespart und ohne Konzept gearbeitet, wie zum Beispiel auf dem Sektor der Landwirtschaft, des Fremdenverkehrs und des einheimischen Gewerbes.

Darüber hinaus, so berichten Abgeordnete, die den Arbeitsmodus des Landhauses kennen, arbeitet die neue Administration langsam und wenig koordiniert. Die Erstellung des diesjährigen Budgets war ein Musterbeispiel dafür. Die Besetzung von freiwerdenden hohen Verwaltungsposten im Landhaus geschieht nicht immer nach dem Grundsatz der Eignung und der Leistung. Parteileute drängen sich auf dem akademischen Sektor auf — manchmal werden sie von anderen Bundesländern herbeigeholt —, die aber in der Landesverwaltung nicht groß geworden sind und daher Unruhe und Unsicherheit in die Verwaltung bringen. Landespolitische Notwendigkeit und parteipolitisches Machtdenken liegen hier im Widerstreit.

Kann die „alte Garde“ es schaffen?

Zweifelsohne will man Konstruktives leisten und eine bessere Politik machen, aber es fehlt an Voraussetzungen, die den Erfolg sicherstellen. Die Partei steht vor schwer zu lösenden Personalfragen. Die Gründergeneration, zu der auch Landeshauptmann Bögl gehört, hat sich Jahrzehnte hindurch im politischen Kampf verbraucht. Für neue Aufgaben sind die Nerven der alten Kämpfer zu sehr abgenutzt, so daß es an politischer Vitalität mangelt. Schließlich kann die alte Garde nur sehr schwer in der. politischen Arbeit nicht mehr verwendbares ideologisches Gespräch von gestern in der Aktenablage des Parteisekretariats zurücklassen. Daher fehlt die Unbefangenheit gegenüber neuen Problemen, die ohne ideologische Voreingenommenheit angepackt werden müssen. Die Gedanken, die das sozialistische Landesorgan der Steiermark, „Neue Zeit“, unmittelbar nach dem Parteitag entwickelt hat, sind in der Tat nicht ganz von der Hand zu weisen. Es meinte, die Verwirklichung des Programms für Österreich erfordere neue und bessere Menschen. Man muß wohl noch hinzufügen, sozialistische Menschen, die auf eine Politik der dialektischen Sprünge, die das Vertrauen in den österreichischen Sozialismus erschüttert hat, verzichten. Dasselbe läßt sich vom neuen Entwicklungskonzept der burgenländischen Sozialisten sagen. Dessen Durchführung ruft nach neuen Männern, die fern von doktrinären Auseinandersetzungen und ohne Vernebelungspolitlk, wie Dr. Sinowatz, der SPÖ-Landespar-teisekretär, formulierte, die Zukunft planen. Aber gerade diesen Beweis muß die burgenländische SPÖ noch bringen.

Die Zeit drängt

Es wird ihr guttun, wenn sie die Warnungen auf dem Parteitag von Norbert Leser, der übrigens aus dem Burgenland stammt, ernst nimmt. Die Gefahr, ein „marxistisches Ghetto“ zu bilden, bedroht auch die burgenländische SPÖ; fatal ist es, wenn die Funktionäre das gar nicht merken. Die burgenländische SPÖ wird nur dann ein „schöneres Burgenland“ bauen können, wenn sie Männer an die führenden Positionen beruft, die über ein klares und selbständiges Urteil verfügen, mit einem Blick für die wirtschaftlichen Erfordernisse des Burgenlandes; junge Politiker, die fest zu den fortschrittlichen Grundsätzen des Wiener Programms und des burgenländischen Entwicklungskonzeptes stehen, aber großzügig, beweglich und zukunfts-, nicht vergangenheitsorientiert bei der Verwirklichung sind. Die Zeit drängt nach Lösungen. Die „Gründergeneration“ muß wissen, daß sie ihren Teil getan hat. Je früher die jüngere Generation in Schlüsselpositionen einrückt, um so besser wird es für die Landespoltik, aber auch für die Partei sein.

Die Entscheidungen müssen bald fallen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung