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Das Volk hat den Verführer vorgeführt, abgewählt, in den Abgrund getreten - und hat ihn verinnerlicht. Denn Jörg Haider verschwindet nicht. Er setzt sich fest in den Hirnen, den Nieren, den Bäuchen von Generationen.

Mit Jörg Haiders Abgang ist der Spuk vorbei. Österreich ist wieder frei - bescheiden triumphiert Wolfgang Schüssel, stellt sich als Symbol der Wiederherstellung der Zweiten Republik dar; er heilt alle Wunden, reinigt die Symbole Österreichs, die von Haider durch den Schmutz gezogen worden waren, die Fahne glänzt wieder rot-weiß-rot, die Hymne ergreift uns, als hätten wir die Weltmeisterschaft gewonnen. Österreich ist wieder wer.

Das Volk hat den Verführer vorgeführt, hat ihn abgewählt, hat ihn, dem Volkes Stimme so schön und Volkes Vorurteil so süß klangen, in den Abgrund getreten, in die Bedeutungslosigkeit. Österreich ist frei! Wer kann sich nicht des Figlschen Pathos erinnern, als dieser den erkämpften Staatsvertrag vom Balkon des Belvedere ins Volk reckte, ein Bild, das den Kindern dieses Landes eingebrannt wurde, die lernten: Das Leben Österreichs beginnt 1955. Mit der Reblaus bei den Russen, als die lustigen Österreicher den Towarisch unter den Tisch soffen und mit ihm gleich die ganze miese eigene Vergangenheit hinuntergespült werden sollte in den Orkus, der Geschichte heißt und den Österreichern nur dann etwas bedeutet, wenn sie am Gaumen zergeht wie die Mozartkugel oder die heilig-heile Welt konserviert durch den Weltmeister des Hinunterspülens, dem Hohepriester des Musikantenstadels, Moik oder wie immer er heißt.

Haider - verstörte Erinnerung

Nun beginnt das Leben also 2002 erneut von vorn, die Würde des Österreichers ist wiederhergestellt, nichts mehr erinnert an das schaurige Bild aus dem wunderbaren Film "Hundstage", in dem ein Prolet den anderen zwingt, die Bundeshymne abzusingen nach zahllosen Schlägen, er blutet, man hat ihm eine brennende Kerze in den Hintern gesteckt, Volk begnadet für das Schöne, Heimat großer Söhne und das ganze Brimborium.

Haider ist weg, das große Volk hat seinen großen Sohn abgewählt - in einem beispiellosen Anflug von Zivilcourage, heimlich abgewählt den großen Sohn, der doch noch so viel Großes vorhatte mit der Heimat der Äcker und der Dome.

Was wird bleiben von diesem Haider? Eine verstörte Erinnerung. Bilder seines Lebens, die ineinander verschwimmen. Frauengestalten, Nachtgestalten, Männerfreunde, Kameraden, Soldaten. Der Disco-König, der Putschist, der Naturfreund, der Porschefahrer, der Speichellecker der Nationalsozialisten, der verstohlene Sympathisant der Antisemiten, der asoziale Extremist, der wie kein anderer die Massen fesseln konnte in dieser kleinen Republik. Ach, wie konnte sie nur auf einen solchen reinfallen! Wir hatten es immer schon gewusst, wir hatten gewarnt, beschworen, händeringend, hatten den Untergang kommen sehen, und hatten mit all dem nichts zu tun.

Die israelische Schriftstellerin Zohar Shavit hat in einer Untersuchung von deutschen Kinderbüchern gezeigt, dass die Deutschen nach 1945 Juden wie Nazis gleichermaßen als Fremdlinge im eigenen Land empfunden hätten. Die Außerirdischen waren gekommen, und hatte die anderen Außerirdischen vertrieben - wie konnte das bloß geschehen! Wenn wir das gewusst hätten. Wir haben nichts gewusst. Wie hätten wir gehandelt. Wir haben nicht gehandelt.

Wolfgang Schüssel, der neue, alte sanfte Kanzler, er wird den Österreichern die Hand reichen. Wird ihnen liebevoll erklären, was Vergebung heißt. Wir haben nichts gewusst, was können wir dafür. Österreicherinnen und Österreicher, vereinigt Euch, im gemeinsamen Vergessen wollen wir die Wende fortsetzen, die dem Land soviel Neues gebracht hat.

In der Tat: Österreich, wie es einmal war, es existiert nicht mehr. Der Refrain von der wiedergewonnenen Unschuld der Zweiten Republik ist verklungen, weil Haider nicht überwunden, sondern verinnerlicht wurde. Jörg Haider und mit ihm die Zuneigung zu Nazis und Antisemiten regierungsfähig zu machen - das war Schüssels Werk. Ein ekelhaftes Werk, ein schmutziges Geschäft. Jetzt lacht Schüssel. Ganz fröhlich: Hab ich es Euch nicht gesagt? Man überwindet das Böse, indem man den Schulterschluss mit ihm sucht.

Haider - liegt im Magen

Trotzig stellte sich der Kanzler den Protest aus dem Ausland, hielt sein Gesicht in die Gischt, die von den giftigen Wellen der Ostküste und Israels herkam. Österreich ist frei, Österreich ist freiheitlich. Es braucht Haider nicht mehr. Am Montag abend konnte man als Auslandsösterreicher die "Zeit im Bild 2" sehen, das letzte Fenster zur Welt. Herr Haupt - welch anständiger Mann. Man werde das Parteiausschlussverfahren einleiten gegen die Abtrünnigen, im besonderen gegen den ehemaligen Finanzminister. Die Uniform sitzt, der Ton scharf, die Augen bitterböse. Morbide Stimmen aus Kärnten. Ein Rücktritt sei erst ein Rücktritt wenn einer zurücktritt. Finstre Gesichter, verschrobene Leute, Männer zumeist. Frau Klasnic im Bild, ein Mann in Frauengestalt. Hektisches Gehabe in der Hofburg, Herr Klestil windet sich, als hätte er eine Schlange im Rücken, jener Klestil, der noch vor wenigen Jahren mit versteinerter Miene die Regierung kaum anzugeloben bereit war.

Österreich hat, auf die Einwohnerzahl gerechnet, in der Zeit des Dritten Reiches mehr Juden umgebracht als jedes Land in Europa. Danach kam der Neuanfang. Nun hat Österreich Jörg Haider verschluckt, mit Haut und Haaren. Die Kröte liegt im Magen, gelegentlich stößt einer auf, rülpst, schreit "Knittelfeld!", verschwindet wieder im Urschlamm. Aber nun kommt wieder ein Neuanfang. Die anderen müssen ihre Wunden lecken, sagte großherzig Herr Khol, Klubobmann seit Menschengedenken.

Haider - der einigende Faktor

Die größte Wunde hat Österreich davon getragen. Jörg Haider ist der Sieger der Zweiten Republik. Er ist der einigende Faktor des Landes, das Phantom, dem alle zugetan bleiben, sei es in Ablehnung oder Anbetung. Haider ist das Nachtgesicht, das in Schüssels Träumen auftauchen wird, ihn necken, treiben, verhöhnen, quälen. Jörg Haider ist zu einem Kontinuum Österreichs geworden. Er wird alle necken, treiben, verhöhnen. Jörg Haider verschwindet nicht. Er bleibt und setzt sich fest in den Hirnen, den Nieren, den Bäuchern von Generationen. Es wird geboren unter dem Stern Haiders und gestorben unter diesem. Mit dem erbärmlichen Scheitern Haiders ist auch Österreich gescheitert. Man, und im besonderen der alte, neue sanfte Bundeskanzler, hat Haider zu einer Institution gemacht. Ob er physisch lebt ist unerheblich. Sein Geist liegt über den Wassern, bedeckt die Seenlandschaft mit einem stinkenden, undurchdringlichen Nebel. Österreich ist frei. Und kann nicht atmen.

Der Autor ist Chefredakteur der deutschen Internetzeitung "Netzeitung" (www.netzeitung.de).

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