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Wieder Pessimismus in Sudtirol

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Der Optimismus verschiedener österreichischer und Südtiroler Politiker bezüglich einer baldigen Lösung der Südtirolfrage, ist seit einigen Wochen erheblich gedämpft worden und hat mehrfach einer tiefen Resignation Platz gemacht.

Grund für diesen neuerwachten Pessimismus ist die Tatsache, daß die Lösungsversuche zum Sütirol-problem seit Ende 1964 nicht nur keinen Fortschritt, sondern eher eine Verschlechterung des Verhandlungsklimas aufzuweisen haben. Denn in einem der entscheidensten Streitpunkte, der schon so gut wie gelöst galt, haben sich die Fronten plötzlich aus kaum erklärbaren Gründen wieder versteift.

Es handelt sich dabei um die Frage einer internationalen Verankerung der zu erreichenden Südtirollösung. Bei dem letzten bilateralen Gespräch (sieht man vom „Geheimtreffen“ zwischen Ministerpräsident Moro und Bundeskanzler Klaus Ende August in einem Bergdorf des Trentino ab) zwischen Außenminister Dr. Kreisky und dem heutigen italienischen Staatspräsidenten Sara-gat am 16. Dezember 1964 in Paris, hatte Saragat für den österreichischen Wunsch nach Errichtung einer gut funktionierenden Schiedskommission zur Lösung künftiger Streitfragen volles Verständnis gezeigt.

Südtiroler Sondierungen in Rom ergaben im Frühjahr dieses Jahres jedoch, daß der Nachfolger Saragats in der Farnesia, Amintore Fanfani, kaum geneigt sei, sich der Meinung seines sozialdemokratischen Vorgängers anzuschließen. Tatsächlich hält Fanfani — wie auch Dr. Kreisky erst kürzlich auf einer Pressekonferenz feststellen mußte — die Durchsetzung des österreichischen Wunsches im italienischen Parlament „nicht für durchsetzbar“.

Die Auguren für die kommenden Außenministerverhandlungen, die entweder im Dezember oder im Frühjahr 1966 stattfinden sollen, stehen also nicht sonderlich gut. Zur Zeit wird ein neues Expertentreffen in London vorbereitet, das eine Reihe von komplizierten Rechtsfragen für die Minister verhandlungsreif machen soll.

Inzwischen hat die Trientiner Regionalregierung ein längst angekündigtes „Votum“ zur Südtirolfrage beschlossen, das nach der Genehmigung seitens der Südtiroler Volkspartei der Regierung in Rom vorgelegt werden soll. In diesem Votum wird die Regierung aufgefordert, „die im Gang befindlichen Gespräche in schnellem und zielführendem Rhythmus fortzusetzen“, unberührt davon kleinere Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen „für die positive Entwicklung der örtlichen politischen Lage“ durchzuführen und dafür am Sitz des Ministerpräsidiums ein „eigenes Organ zur Vorbereitung der zu ergreifenden Maßnahmen“ einzusetzen.

Das ist alles. Für diese paar mehr oder minder inhalts- und ideenlosen Sätze hat die Regionalregierung volle neun Monate gebraucht! Da kann man den „Dolomiten“ wlrkllth recht geben, die geschrieben haben, daß bei diesem Votum offenbar „der Berg eine Maus geboren habe“. Trotz dieses so enttäuschend mageren Gehaltes des erwähnten Schriftstückes polemisierte das Bozener Nationalistenblatt „Alto Adige“ im Chor der Rechtsparteien einschließlich der Liberalen gegen diesen „selbstmörderischen und unnützen“ Begehrensentwurf! Dabei ist darin nicht einmal von der Durchführung der Verhandlungsvorschläge der 19er-Kommission die Rede, auf welche die Südtiroler nun schon über zwei Jahre lang warten.

Die rasche Verwirklichung der Vorschläge der 19er-Kommission fordern jedoch nicht nur die Südtiroler, sondern erfreulicherweise auch die Nenni-Sozialisten, die dies erst anläßlich ihres Provinzialkon-gresses am 24. Oktober in Bozen ausdrücklich bekräftigt haben. Sie folgten damit einem Vorschlag ihres Parteiführers Nenni, der die gleiche Forderung einen Monat vorher auf einer Wahlversammlung in Caserta erhoben hatte — ohne beim DC-Koa-litionspartner offenbar viel Gehör zu finden.

Die Südtiroler Volkspartei wird dem Votum in dieser verwaschenen Form ihre Zustimmung verweigern und in einem Gegenvorschlag zumindest die baldige Durchführung liegen Gesamt-Österreichs sei, das sich weder als Wahlkampfthema noch für die „parteipolitische Auseinandersetzung“ eigne. Diese Warnung an das italienische Außenministerium, den kommenden österreichischen Wahlikampf (wie dies 1962 der Fall war) nicht für undurchsichtige diplomatische Manöver in der Südtirolpolitik zu mißbrauchen (z. B. Gegensätze zwischen den beiden großen österreichischen Parteien zu konstruieren zu versuchen), dürfte in Rom nicht übersehen worden sein.

Von diesem österreichischen „Lichtblick“ abgesehen, der noch der konkreten Erfüllung seitens der Parteien bedarf, hat sich die psychologische Situation in Südtirol in den letzten Monaten ohne Zweifel eher verschlechtert. Erklärungen des von der SVP abgesplitterten Altsenators Dr. Raffeiner im Südtiroler Landtag über die Optionen von 1939, und in einem Presseinterview für eine italienische Illustrierte, in denen er unter anderem die „Geduld der italienischen Regierungen“ mit den Südtirolern pries, Tirol kritisierte, weil es den 45. Jahrestag der Abtrennung Südtirols in Trauer beging und für die Sprengstoffanschläge in erster Linie den Pangermanismus verantwortlich machte, erzeugten berechtigte Polemiken, die besser vermieden worden wären.

Ein weiteres Minus stellt die kürzlich erfolgte Einstellung des Verfahrens gegen die an der berüchtigten „Polizeiaktion“ von Tesselberg im September 1964 beteiligten Karabi-nieri durch den Bozener Untersuchungsrichter dar. Von den angeklagten Karabinieri wurde Oberst Ma-rasco beschuldigt, seinen Untergebenen den Befehl erteilt zu haben, festgenommene Tesselberger an Händen und Füßen zu fesseln und sie auf die Erde zu legen, während sieben namentlich genannte Karabinieri des Diebstahls (von Geldbeträgen bis zu Honigdosen!), der Sachbeschädigung und der Körperverletzung beschuldigt wurden. Umgekehrt hatten die Karabinieri mehrere Tesselberger angeklagt, über sie „falsche und tendenziöse Meldungen“ verbreitet zu haben.

Dies zum Sachverhalt, der auch vom Bozener Untersuchungsrichter nicht widerlegt werden konnte. Neben der gesamten Bevölkerung des Pustertaler Bergdorfes verbürgten sich nämlich die drei Südtiroler Parlamentarier (die einen Tag nach der „Polizeiaktion“ am Schauplatz der Verwüstung eingetroffen waren) und über 50 Photos vom „Schauplatz der Handlung“ für die Wahrheit der beklagten Geschehnisse, die im freien Europa wohl einzig dastehen dürften.

Trotzdem nun der unfaßbare Freispruch, von dem die „Südtiroler Nachrichten“ meinten, daß es für alle, „die es mit einer Befriedung in Südtirol wirklich ernst meinen, einen bitteren Nachgeschmack hinterlasse“. Der Versuch, die Tesselberger Affäre sang- und klanglos aus der Welt zu schaffen, kommentierte das Blatt weiter, sei absolut nicht geeignet, das „seit dem Pfunderer-Prozeß und seit dem Freispruch der Folterkarabinieri in Trient sowieso schwer angeschlagene Vertrauen der Südtiroler in die italienische Justiz wiederzugewinnen''.

Wie üblich, sind am 4. November auch heuer trotz aller Südtiroler Proteste in Bozen die pompösen Feierlichkeiten zum sogenannten „Tag des Sieges“ abgehalten worden. Die Vertreter des demokratischen Italien (von den Neofaschisten bis zu den Kommunisten!) feierten unter dem gleichen monströsen faschistischen „Siegesdenkmal“, unter dem in den finstersten Zeiten Faschisten und reichsdeutsche Nationalsozialisten in vollster Eintracht ihre „Siegesfeiern“ abzuhalten pflegten. • Solange in Bozen jedoch dieser Geist noch lebendig ist, dürfte man von einer Lösung des leidvollen Südtirolproblemis noch recht weit entfernt sein.

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