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Wir brachen das Schweigen

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Trotz des grundsätzlich apolitischen Charakters des Klubs haben ihre Mitglieder nicht im Sinn, sich jeglicher politischer Tätigkeit zu enthalten, besonders in solchen Bereichen, wo sie zur Konsolidierung der Kräfte und der Einigkeit der Nation beitragen können und die im Interesse des Staates liegen. Ein Beispiel solch einer beschränkten Teilnahme der Katholiken im politischen Leben war das Kandidieren von katholischen Aktivisten, die Bewegung der Klubs vertretend, in den Wahlen zum Polnischen Sejm (Parlament). Es ging darum, daß die Stimme der katholischen Abgeordneten auch im Sejm zum allgemeinen Nutzen gehört wird.

Die Rolle dieser Abgeordneten wurde von Antoni Goiubiew wie folgt charakterisiert: Im Seym werden nicht viele Abgeordnete aus' dem katholischen Milieu sein, in keiner Abstimmung wird ihre Stimme eine Bedeutung haben — und wir sind uns dieser grundsätzlichen Tatsache vollständig bewußt; in den gegenwärtigen Verhältnissen kann es übrigens gar nicht anders sein. In der Arbeit des Seyms ist jedoch nicht nur die Abstimmung von Bedeutung, ebenso bedeutungsvoll ist der Beitrag an Gedanken, neuen Formulierungen und Konzepten, neue schöpferische Arbeit an verschiedenen Problemen. Uns geht die Gesamtheit des Lebens an, welches sich im Geiste der Gerechtigkeit und Rechtmäßigkeit formen sollte. Von der Wahrheit, an welche wir glauben, wollen wir nicht nur in Deklarationen Zeugnis geben, sondern auch in konkreter Arbeit und durch Realisierung des moralischen und materiellen Wohles. Die Stimme der Katholiken kann eine große Bedeutung haben in ökonomischen Problemen sowie auch auf dem Gebiete der Kultur, der Bildung und im Kampf mit der moralischen Verwilderung. Und sollte es notwendig sein, einen eindeutigen Standpunkt in Sachen Kirche und Religion einzunehmen, so ist es unsere Meinung. daß es nicht richtig wäre, wenn von der Tribüne des Sejms die Stimme von Menschen nicht gehört würde, deren Kredo mehr ist als nur eine formelle und ideelle Deklaration.

Die Sejmwahlen wurden von der ganzen katholischen Oeffentlichkeit mit großem Interesse verfolgt. Der Standpunkt gegenüber einer Tatsache von solch ungemein großer Wichtigkeit für das ganze Volk wurde von Jerzy Zawieyski, welcher als Abgeordneter von Warschau kandidierte, wie folgt formuliert:

„Trotz Verschiedenheit in der Weltanschauung zwischen Katholiken und Marxisten möchten wir innerhalb des sozialistischen Systems mitarbeiten in allem, was für das Individium und die Allgemeinheit gut ist, moralisch und bildend, was die Allgemeinheit zu einem höheren wirtschaftlichen, kulturellen und moralischen Lebensstandard führt. Wir verheimlichen den Unterschied zwischen unseren grundsätzlichen Anschauungen und in den Methoden des Handelns nicht, wir brauchen diese Unterschiede nicht zu verschleiern. Wichtiger als alle Unterschiede ist das, was uns verbinden kann in der gemeinsamen Arbeit und gemeinsamen Verantwortung im wirtschaftlichen und gesetzlichen Wiederaufbau, und zwar hauptsächlich auf dem Gebiete der Wiederherstellung des Vertrauens und der Erneuerung des moralischen und kulturellen Lebens. Wir wollen, daß die nationale Einheitsfront, deren Kandidaten wir sind, die uns verbindende Idee sei, nicht nur vor den Wahlen, sondern für immer, daß dies ein tief vernünftiges Gebot ist, aus dem Gefühl für die polnische Staats- raison erwachsend... Aus dem Gefühl für die polnische Staatsraison ergeben sich viele Gebote, fast für jeden Tag. Die Staatsraison verlangt vor allem ein Rechnen mit der Wirklichkeit... Tn den gegenwärtigen Umständen kann in Polen keine aridere Anordnung der politischen Kräfte sein, kein anderes System, nur das System, in welchem wir leben, das polnische Modell eines sozialistischen Systems. Im Rahmen dieses Systems können und müssen wir mit den obersten Behörden Zusammenarbeiten in allem, was unserem Volk zu einer günstigen Entwicklung verhilft. Diese Zusammenarbeit ist ein moralisches Gebot für alle Menschen guten Willens, für alle Polen... Die politische Kraft, welche im Stande ist, das Leben in Polen zu leiten, ohne es Erschütterungen und Gefahren auszusetzen, ist die Arbeiterpartei und ihre neue oberste Leitung. Die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei wird von dem, was in den früheren Perioden falsch war. gereinigt und tritt ihre historische Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft Polens an ... Die katholische Allgemeinheit und die Massen der Parteilosen bringen der Partei ihr Vertrauen entgegen und glauben, daß ihr Vertrauen nicht enttäuscht wird. Die Wahlen werden diese Tat sein, welche die ganze Nation stärkt in ihrem Streben nach einer besseren Zukunft. Darum sind sie von so großer Wichtigkeit, wichtiger denn je. Sehr viele Katholiken gaben am 20. Jänner ihre Stimme der Liste der Nationalen Einheitsfront, sich damit für die Weiterführung der im Oktober angefangenen Politik erklärend, für eine weitere Verwirklichung der Wiedergeburt ihres Vaterlandes. “

Im Sejm bildete sich die Gruppe der katholischen Abgeordneten „Znak“, welcher folgende Abgeordnete beitraten:' Boleslaw Jackiewicz (Kielce), Stefan Kisielewski (Wroclaw), Miron Kolakowski (Czestochowa), Pawel Kwoczek (Opele), Zbigniew Makarczyk (Lublin), Wanda Pieniezna (Olsztyn), Stanislaw Stomma (Krakow), Jerzy Zawieyski (Warszawa). Der Name des Klubs der katholischen Abgeordneten ist verbunden mit der Monatsschrift „Znak“, welche in den ersten Jahren nach dem Krieg die ideellen Grundsätze vieler Gruppen katholischer Denker formulierte. Stanislaw Stomma, der Vorsitzende der gegenwärtigen Gruppe, war der Redakteur dieser Zeitschrift. In Kürze wird dieselbe wieder erscheinen und wird das ideologische Organ der Gruppierung sein, welche durch den Klub der katholischen Abgeordneten im Seym vertreten ist.

In der Inauguratiopsrede während der ersten Sifzüng -W Seyiris 'dikläfte’ Stanislaw Storiima tä’t 'ändfeJerrf:

„Wir sind uns voll bewußt, daß wir im Seym nicht zahlreich vertreten sind. Wir kennen auch die Gründe, warum dem so ist. Wir zählen auf die Kraft des Ueberzeugenkönnens in der gerechten Sache, welche wir verteidigen, und damit, daß die viele Millionen zählende katholische Allgemeinheit mit uns ist. Wir sind hier im Seym aus patriotischem Pflichtbewußtsein. Als Abgeordnete des Seyms nehmen wir einen Teil der politischen Verantwortung auf uns. Diese Entscheidung war für uns nicht leicht, hauptsächlich in unserer konkreten Situation, wo wir keinen Einfluß auf die Regierung des Staates haben.“ Weiter sagte Stomma, daß die katholischen Abgeordneten aus der Idee des Oktobers vier Richtlinien ableiten, welche für sie Wegweiser im Handeln und zugleich ein Kriterium für die Bewertung politischer Tatsachen sind. Diese Richtlinien sind folgende: Gesetzlichkeit, weitere Entwicklung der Demokratisierung des Staatslebens, Erneuerung des wirtschaftlichen Lebens und eine bessere Anpassung des wirtschaftlichen Modelies an die spezifisch polnischen Bedingungen, Souveränität,. Handeln nach dem Gebote der Staatsraison in der Außenpolitik.

Die katholischen Abgeordneten wollen ihre spezielle Aufmerksamkeit darauf richten, daß alle sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme vom Seym in Uebereinstimmung mit den Grundsätzen der christlichen Ethik bearbeitet werden. In derselben Rede definierte der Abgeordnete Stomma das Verhältnis der polnischen Katholiken zu den Problemen der Außenpolitik und besonders zum Bündnis mit der Sowjetunion:

„Ideologische Angelegenheiten trennen uns Katholiken von der Sowjetunion. Trotz dieser grundsätzlichen Unterschiede erklären wir uns konsequent für das Bündnis mit der Sowjetunion auf dem Grundsatz der Souveränität, und was darin inbegriffen ist, auf dem Grundsatz der Respektierung der kulturellen Eigenart jeder Nation. Wir sind der Meinung, daß internationale Bündnisse nicht von ideologisch-weltanschaulichen Unterschieden abhängig sind. Für die polnischen Marxisten ist das Bündnis mit der Sowjetunion ein ideologisches Bündnis. Für uns ist es umgekehrt Es ist dies ein Bündnis gegen die Grundsätze unserer Ideologie. Wir erachten dieses Bündnis nicht als absolute Notwendigkeit und als Fundament unserer Außenpolitik. Für das Bündnis zwischen Polen und der Sowjetunion spricht ein allgemeines Argument so prinzipiell, wie die Interessengemeinschaft von Polen und der Sowjetunion. Es ist dies das gemeinsame Interesse an der Erhaltung des Friedens und an dem gegenwärtigen territorialen Status quo in Europa. Darum ist unser Bündnis eine natürliche Tatsache.“

Die Abgeordneten, welche die katholische Allgemeinheit repräsentieren, interessieren sich natürlich sehr für die Beziehungen zwischen Kirche und Staat. Abgeordneter Stomma widmete diesem Problem einen großen Teil seiner Rede im Sejm: „Wir stellen mit großer Befriedigung fest, daß in den Beziehungen zwischen Kirche und Staat seit Oktober vieles sich zum Besseren gewendet hat. Bezeichnend dafür war die Tatsache der Rückkehr von Kardinal WyszyÄski und seine Berufung als Kardinalprimas von Polen. Später erfolgten noch weitere positive Aenderungen. Von großer Wichtigkeit ist die Regulierung der Angelegenheit der religiösen Erziehung in der Schule. Wir bewerten die hier erreichte Verständigung als positiv. Aber als negativ bewerten müssen wir verschiedene unüberlegte Vorfälle, welche den in dieser Angelegenheit erreichten Kompromiß unterminieren. Wir sind der Meinung, daß dieser Kompromiß wertvoll ist und daß er im Geiste gegenseitigen Verständnisses und Toleranz ausgenützt werden soll. Wir sind sicher, daß in einer Atmosphäre von Ruhe und Toleranz alle strittigen Angelegenheiten ohne Störung der inneren Ruhe und Reizung der Allgemeinheit erledigt werden können. Wir wissen, daß die Verwirklichung der Verständigung zwischen Kirche und Staat in der Praxis noch auf verschiedene Schwierigkeiten stoßen wird, wir sind jedoch überzeugt davon, daß ihre Ueberwindung im Interesse des ganzen Volkes liegt, im Interesse der polnischen Volksrepublik.“

Die Bewegung der katholischen Klubs, vereinigt im Allpolnischen Klub, ist gegenwärtig die einzige authentische Vertretung der katholischen Allgemeinheit in Polen. Sie ist auch durch Staat und Partei anerkannt, konform mit dem tatsächlichen Stande, als maßgebender ideeller Beitrag der katholischen öffentlichen Meinung. (Die Herausgeber der Wochenschrift „Kierunki“ und der Zeitung „Slowo Powszechne" wurden verurteilt durch die offiziellen kirchlichen Behörden [C. S. Officii] als „Progressi-

sten“ und desavouiert wegen ihrer politischen Unterwürfigkeit in der Periode des Stalinismus sowie ihrer Stellungnahmen im Oktober für die antidemokratischen Kräfte. Offen ist noch der Status der sogenannten „Sezession“ von PAX, der Herausgeber der Wochenschrift „Za i przeciw“.)

Besonderes Interesse — und nicht selten verschiedene Zweifel — erweckte unter vielen von unseren Freunden und Gesinnungsgenossen, besonders in den westlichen Ländern, die Art, auf welche katholische Aktivisten, die echte ideelle Richtungen vertretend, ihre Teilnahme am öffentlichen Leben mit der Verwirklichung des sozialistischen Systems, welches ja weiter in Polen herrscht, in Einklang bringen. Das Verhältnis dieser Aktivisten zum Sozialismus kann man in Kürze wie folgt bezeichnen: Solange Stalinismus Sozialismus genannt wurde, war im öffentlichen Leben kein Platz für echte katholische Tätigkeit; aber wenn der Sozialismus seinen humanistischen Inhalt zurückerhält, mit Unterdrückung und Verlogenheit brechend, wenn in Polen ein neues, eigenes Modell eines Systems ersteht, dann soll man mit solch einem Sozialismus Zusammenarbeiten. Daher wollen die Katholiken auch bei der Schaffung einer besseren Zukunft ihres Landes mithelfen, nicht nur wegen der offenbaren Staatsraison, sondern auch darum, weil ihnen die Bestrebungen, welche wirklich zur Respektierung der Würde und Freiheit des Menschen und zu seiner immer höheren Entwicklung führen, nahe sind. In vollkommener Uebereinstimmung mit den Prinzipien der eigenen Doktrinen sind die Vertreter der Bewegung der katholischen Klubs der Meinung, daß in der gegenwärtigen Ordnung der Gesellschaftsverhältnisse. Elemente und Möglichkeiten für die Verwirklichung echten Fortschritts existieren, in Harmonie mit den Geboten christlicher sozialer Moral; die Verwirklichung eines Systems sozialer Gerechtigkeit, in welcher die wichtigsten Postulate der sozialen Lehre der Kirche ihre Anwendung finden. Diesen Geboten wollen sie dienen, und diese Postulate wollen sie verbreiten, ihr zurückhaltendes Auftreten im öffentlichen Leben als eine Uebernahme gemeinsamer Verantwortung für das Los des Landes ansehend.

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