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Wir brauchen die Integration

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Österreich hat sich bewußt der Europäischen Freihandelszone angeschlossen und ist heute in die EFTA integriert. Großbritannien, die führende Macht dieser Wirtschaftsgruppe, versucht zur Zeit dem Gemeinsamen Markt beizutreten, allerdings unter spezifischen Bedingungen, mit dem Ziel, sich nicht an sämtliche Regeln des römischen Abkommens halten zu müssen. Ob und inwieweit dies gelingen wird, ist derzeit schwer zu sagen. Eines aber ist sicher: Was immer England entscheidet — ob es den römischen Vertrag annimmt und der Sechsergemeinschaft beitritt oder ob es diesen ablehnt und die „splendid isolation“, den glänzenden Alleingang, wählt —, die Haltung Londons wird die Probleme seiner EFTA-Partner, insbesondere auch unseres Landes, keineswegs lösen. Es ist daher an uns, die eigene Linie festzulegen und eine unseren Interessen angepaßte Politik zu betreiben.

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Österreich hat sich bewußt der Europäischen Freihandelszone angeschlossen und ist heute in die EFTA integriert. Großbritannien, die führende Macht dieser Wirtschaftsgruppe, versucht zur Zeit dem Gemeinsamen Markt beizutreten, allerdings unter spezifischen Bedingungen, mit dem Ziel, sich nicht an sämtliche Regeln des römischen Abkommens halten zu müssen. Ob und inwieweit dies gelingen wird, ist derzeit schwer zu sagen. Eines aber ist sicher: Was immer England entscheidet — ob es den römischen Vertrag annimmt und der Sechsergemeinschaft beitritt oder ob es diesen ablehnt und die „splendid isolation“, den glänzenden Alleingang, wählt —, die Haltung Londons wird die Probleme seiner EFTA-Partner, insbesondere auch unseres Landes, keineswegs lösen. Es ist daher an uns, die eigene Linie festzulegen und eine unseren Interessen angepaßte Politik zu betreiben.

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Der wirtschaftliche Zusammenschluß Europas ist heute schon weit fortgeschritten. Über die Grenzen einzelner Staaten hinweg werden laufend Abmachungen geschlossen, ja sogar Betriebe verschmolzen. Einige Beispiele — wie die Verträge zwischen Fiat und Citroen in der Automobilindustrie, zwischen Hoechst und Roussel UCLAF In der Sparte Chemie, zwischen Commerz Banfe und Credit Lyonnais im Bankenwesen — genügen, um aufzuzeigen, wie sich die großen Wirt-schaftsunternehmen Europas, im Hinblick auf die gemeinsamen Interessen am Weltmarkt, zusammenzuschließen beginnen. Dank der Leichtigkeit und Geschwindigkeit moderner Verbindungsmöglichkeiten können sich heute Geschäftsleute über Tausende von Kilometern hinweg sehen, sprechen und gemeinsame Entschlüsse fassen. Während somit die wirtschaftliche Einheit Europas in vollem Vormarsch ist, bleibt demgegenüber das politische Europa leider weit zurück. Es bremst dadurch auch eine Reihe weiterer wirtschaftlicher Entwicklungsmöglichkeiten ab, die allen Bewohnern unseres Erdteiles nachhaltigen Nutzen bringen könnten. Unter diesen Umständen ist es einleuchtend, daß Österreich — welchen Weg es auch immer wählt — auf keinen Fall isoliert innerhalb der eigenen Grenzen leben kann. Es wird sich mit anderen verbinden müssen. Der Zusammenschluß Europas ist bereits in ein Stadium getreten, wo er, infolge der engen wirtschaftlichen Verknüpfungen, nicht mehr aufzuhalten ist. Im Herzen unseres Kontinents gelegen, kann es sich unser Österreich schon gar nicht leisten, dieser Entwicklung teilnahmslos und passiv zuzusehen.

Und hier stellt sich nun die Frage nach unserer Europareife; mit anderen Worten nach der Verpflichtung, alle uns zur Verfügung stehenden Mittel voll zu entwickeln. Wirtschaftlich gesprochen bedeutet dies für uns, Industrie, Handel und Landwirtschaft, auszubauen, und zwar im Einklang mit unseren geographischen Gegebenheiten, unseren Rohstoffquellen und der geistigen und arbeitstechnischen Fähigkeit unserer Bevölkerung.

Was unsere derzeitigen Außenkontakte betrifft, sind heute 80 Prozent unseres internationalen Handels in Richtung Westen orientiert, und daher müssen wir in Kontourrenz mit dieser hochentwickelten Region produzieren. Anderseits liegen wir im Zentrum Europas, an einem Schnittpunkt zwischen Ost und West. Aber nur ein kleiner Teil unseres Außenhandels wickelt sich mit dem europäischen Osten ab. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, daß sich eines Tages unsere Nachbarländer, von denen uns noch der Eiserne Vorhang trennt, einer wirtschaftlichen Durchdringung öffnen könnten, die allen Beteiligten zum Nutzen gereichen wird. Für jene Stunde sollten wir vorbereitet sein. Schließlich dürfen wir auch die außereuropäischen Länder — ob diese schon zur Industriemacht geworden sind oder erst im Entwicklungsstadiium stehen — nicht aus den Augen verlieren. In Richtung dieser ausgedehnten, bereits bestehenden oder noch zukünftigen Märkte müssen sich unsere Handelsverbindungen ausweiten und festigen, wollen wir nicht den Anschluß an die kommenden großen interkontinentalen Beziehungen versäumen.

In dem Bestreben, unsere Möglichkeiten auszubauen, sollten wir aber nicht nur mit unserer eigenen Kraft rechnen, so bemerkenswert diese auch ist, sondern ebensosehr mit der Hilfe unserer Freunde im Ausland, die uns, was Wirtschaftsführung, technische Kenntnisse, Forschung und Kapitalsbeteiligung betrifft, wertvolle Dienste leisten können. Hier wird man mir entgegenhalten, daß wir als Deutschsprachige die engsten Kontakte mit Deutschland haben und daher Gefahr laufen könnten, eine Wirtschaftskolonie unseres mächtigen Nachbarlandes au werden, sollten wir die Grenzen au weit offenhalten. Es ist nicht schwer, dieses Argument zu widerlegen. Schließlich hängt es von uns ab, unsere Partner zu wählen und eben diejenigen zu unseren Hauptfreunden zu machen, die wir uns als solche wünschen.

In diesem Zusammenhang stellt sich die ernste Frage, warum sich das Ausland zur Zeit so wenig um unser Land kümmert. Persönlich sehe ich drei Hauptgründe, die diesen Tatbestand erklären: das übermäßige Gewicht der verstaatlichten Industrien; wirtschaftliche Strukturen, die ohne eine ständige Modernisierung und Anpassung der Konkurrenz nicht widerstehen können, und schließlich inangelnde Information und Propaganda im Ausland. Ein Großteil der österreichischen Industrie ist direkt oder inidirekt verstaatlicht. Es ist aber eine bekannte Tatsache, daß man in einer nationalisierten Wirtschaft zwar von Geschäftszahlen und Bilanzen spricht, selten aber von Gewinn, Rentabilität und produktiver Kraft. Mit ihrer Geschäftsführung sind solche Betriebe niemanden als dem

Staate verantwortlich. Dieser aber verhält sich meist gleichgültig, ist zwar des öfteren bereit, finanzielle Zuschüsse zu gewähren, sobald das Unternehmen in rote Ziffern gerät, ist dafür aber wenig anspruchsvoll, wenn es um Dividenden geht. So wird der Faktor Risiko und Verantwortung in der Geschäftsführung mehr und mehr ausgeschaltet. Die an der Spitze der verstaatlichten Unternehmen stehenden Staatsbeamten oder Politiker brauchen weder die oft strenge Kontrolle von privaten Aktionären noch die Sanktionen zu befürchten, die den Privatunternehmer im Falle fehlerhafter Geschäftsführung treffen. Sie ziehen daher die leichtere Lösung der Staatspatronanz dem harten Ringen gegen Kontourrenz und Risiken, dem Kampf um Rentabilität und Entfaltung vor. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich die Schlußfolgerung, daß

kein Staat wirklich fähig und berufen ist, in jene Sparten einzudringen, die in privaten Händen besser geführt und rentabler wären. Leider greift in unserem Österreich der Staat fast überall in die Wirtschaft ein: entweder direkt, als Finanzier und Geschäftsführer, oder doch zumindest mit seinem erdrük-kenden und kleinlichen Steuerwesen, das mit der Zeit auch kräftige Unternehmen zugrunde richtet. Es ist daher kein Wunder, daß nur wenige ausländische Kapitalien bereit sind, sich in ein Abenteuer zu stürzen, das ihren natürlichen Tendenzen und Interessen widerspricht. Der Sektor der Privatindustrie, der sich, trotz allem, in unserem Lande am meisten entwickelt hat, ist der Fremdenverkehr. Zwei Zahlen genügen, um dies zu veranschaulichen. Im Jahre 1957 hat es in Österreich ungefähr 11.300 Hotels, Gasthöfe und Pensionen gegeben mit insgesamt 226.500 Betten, dazu eine Gesamtzahl von 3,400.000 Touristen. Im Jahr 1967 beliefen sich die gleichen Ziffern auf 18.600, 424.000 und 6,700.000. Seit einiger Zeit allerdings haben auch andere Länder den Wert des Fremdenverkehrs erkannt und bedeutende Investitionen gemacht, um diese Wirtschaftssparte bei sich auszubauen und den Strom der Fremden anzuziehen. Dadurch könnten wir eines Tages vor die Tatsache gestellt werden, daß sich das Gesetz des Angebots und der Nachfrage gegen uns auswirkt. Früher gab es genügend Touristen für die relativ wenigen in Europa zur Verfügung stehenden Unterkunftsmöglichkeiten. Seither hat der Strom der Touristen zwar gewaltig zugenommen. Aber während bei uns die Anzahl der Betten verdoppelt wurde, ist sie in anderen Gebieten um das Vier-, ja das Fünffache angestiegen. Die Länder des europäischen Ostens oder die Anrainerstaaten des Mittelmeeres ziehen heute durch Preise, die niedriger sind als die unseren, durch modernere Ausrüstung und durch besser geplante Transportmöglichkeiten eine ständig wachsende Masse von Fremden an. Es steht zu befürchten, daß, wenn wir nicht rasch genug reagieren und alle unsere Kräfte mobilisieren, um einen originellen und haltbaren Plan zu entwerfen, bessere Dienste und anziehendere Preise zu schaffen, auch diese heute noch prosperierende Sparte unserer Wirtschaft schwere Zeiten erleben könnte.

Die Wirtschaft unseres Landes schließlich — mit Ausnahme des Fremdenverkehrs und seiner geschickten und geschmackvollen Propaganda — hat bisher nur wenige Initiativen ergriffen, um sich im Ausland bekannt zu machen. Allerdings hätte Österreich eine einmalige Chance für seine Werbung gehabt; es hat diese aber brachliegen lassen. Viel und mit Recht ist über die Abwanderung unserer Techniker und Fachleute geklagt worden. Viele dieser freiwilligen oder gezwungenen Auswanderer haben sich neue Existenzen in den entferntesten Gebieten, wie Südamerika oder Australien, ausgebaut. Sie haben sich dort auf sämtliche Sparten der Wirtschaft verteilt. Fast alle sind sie dem Heimatland im Herzen treu geblieben, oder sie haben sich gerade erst im Ausland zu österreichischen Patrioten entwickelt. Sie lieben ihre alte Heimat und wären sicher gerne bereit, für diese zu werben. Diese ganze Gruppe von Menschen guten Willens ist aber nicht aufgerufen worden; im Gegensatz zu den Schweizern, die ihre Landsleute in der gesamten Welt mobilisieren, damit sie, jeder in seinem Kreis, als ihre Wirtschafts- und Handelsbotschafter wirken.

Wir halben die Mängel unseres Landes aufgezeigt. Diese Studie wäre einseitig, wenn wir nicht auch die sehr wertvollen Trümpfe Österreichs nennen würden. Österreich verfügt über bedeutende Rohmaterialien; seine Bevölkerung besitzt erfinderischen Geist und eine gewissenhafte Arbeitsmoral; schließlich aber' ist Österreich, schon infolge seiner geographischen Lage,, der natürliche Verbindungsweg zwischen West und Ost, Nond und Süd. Diese Werte aber, für die viele im Ausland Österreich beneiden könnten, müssen voll ausgenützt werden, und zwar in dem Bestreben, daß unser Land integrierender Teil des Großen Europäischen Marktes werde, der heute im Entstehen begriffen ist und dessen Macht eines Tages mit jener der heutigen Vereinigten Staaten vergleichbar sein wird.

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