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Wir hatten das Wort

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Der Streit um Südtirol vor den Vereinten Nationen ist ein Schauspiel, aus dem wir viel lernen können: über Weltmacht und Machtübung, über Diplomatie, über die Einschätzung und Wertung Österreichs.

Am meisten können wir vielleicht von Italien lernen. Der italienischen Diplomatie gelang Außerordentliches: ein Spiel auf mindestens drei Klavieren. Während die Luft noch von den Gewittern, die Chruschtschow entfesselt hatte, zitterte, gelang es der Diplomatie der römischen Regierung, sich als wichtiger NATO-Partner aufzuspielen, gleichzeitig die antikommunistischen Regierungen Brasiliens und Argentiniens und anderer stark antiöstlicher Regime für sich zu gewinnen, und, in Gesprächen mit Polen, den Ostblock mit seiner gegenwärtigen antideutschen und Anti-Bonner Politik an die eigene Kandare zu nehmen.

Fürwahr, eine erstaunliche Leistung, die nicht zuletzt in der Bundesrepublik Deutschland Beachtung verdient!

Nur Nichtkenner der Verhältnisse sind über die brüske Ablehnung der österreichischen Anliegen durch die USA erstaunt. Wir warnen vor einem dummen und gefährlichen Antiamerikanismus; dessen Geschäfte werden bereits von einer gewissen Linken und Rechten betrieben. Wir erlauben uns aber, darauf hinzuweisen, daß diese Art der Behandlung kleiner Nationen, wie sie hier Österreich durch die USA zuteil wurde, ihren Eindruck auf viele andere kleine Nationen in der UNO nicht verfehlte. Die Wiener „Presse“, seit vielen Jahren vielbemüht um die amerikanisch-österreichischen Beziehungen, zitierte das Wort eines in New York weilenden skandinavischen Staatsmannes: „Die Österreicher haben eben Pech, sie haben eine der schwächsten kommunistischen Parteien der Welt, da kann Amerika es sich leisten, ihm einen Fußtritt zu geben.“ Dramatisieren wir diesen Fußtritt nicht, zu übersehen ist er aber auch nicht: i-mdeutig haben die USA und andere NATO-Staaten hier mit dem Blick auf die Raketenbasen in Italien und Südtirol das Recht dieses Volkes übersehen.

Übersehen wir nun aber auch nicht eine tiefe Fragwürdigkeit unserer in Österreich selbst betriebenen Südtirolpropaganda. Rom hätte nicht sosehr das Gespenst des Pangermanismus an die Wand malen können, wenn nicht auch hierzulande allzu breit und unklar mit der Parole „Südtirol bleibt deutsch“, gearbeitet worden wäre. Die Unreife des Bewußtseins der österreichischen Eigenständigkeit, ja, seine Bekämpfung von vielen Seiten, trägt hier reife Früchte: Das sind bittere Folgen einer Zeit, die vom „Deutsch-Österreich“ nach 1918 über Österreich als zweiter deutscher Staat“ zur Gegenwart führen. Südtirol kann auf die Dauer nur wirksam von uns verteidigt werden, wenn wir viel mehr Österreicher als bisher werden, und zwar in der Regierung und im Volk, und wenn wir bewußt, wach, klug und nüchtern Weltpolitik im kleinen machen: im Ausbau unserer Beziehungen zu den Völkern und Staaten Asiens und Afrikas, die, wie die Ausführungen der Vertreter Liberias, Mexikos, Kubas und anderer nicht-weißer Staaten in der politischen Sonderkommission der UNO eindeutig zeigen, Sachkenntnis und politische Anteilnahme am Schicksal Österreichs bekundet haben. Von den vielen Komplimenten für Österreichs Kultur, Tradition und Humanität in der Vergangenheit, die andere große und kleinere Mächte an unsere Adresse gerichtet haben, in freundlicher Verbindung mit einem klaren Übersehen unserer Rechtsforderungen, wollen wir jetzt schweigen. Sie verdienen, einmal gesondert unter die Lupe genommen zu werden, im gesamten einer falschen Österreichschwärmerei für das charming people in Tyrol, Salzburg, Vienna...

Vorderhand bleibt genug für uns, aus dem gegenwärtigen Schauspiel in New York zu lernen. Wenn wir also aus diesen unseren Erfahrungen in der Südtiroldebatte 1960 in der UNO zu lernen beginnen, dann dürfen wir ohne falsche Sentimentalität und ohne Raunzerei und Selbstbemitleidung auch diesen Erfolg sehen. Zum erstenmal haben sich wirklich die Vertreter der 99 Nationen in der UNO mit Österreich befaßt: Das danken wir Südtirol, dessen Name von nicht wenigen Staatsmännern hier zum erstenmal vernommen wurde. Bereiten wir uns also in Ruhe und Umsicht auf den zweiten Rechtsgang für Südtirol vor, eingedenk der UNO-Charta, die eben jetzt, am 24. Oktober, ihren 15. Jahrestag beging. Hammarskjöld erklärte dazu: Viele neue Nationen hoffen auf die Unterstützung der UNO; „Diese Unterstützung kann' gewährt werden, wenn alle Mitglieder die UNO-Organisation mit Loyalität und Unterordnung unter ihre Ziele benützen.“ Eben in diesem Sinne wendet sich Österreich heute und morgen und weiterhin an die UNO — für Südtirol. Die Weltöffentlichkeit darf Südtirol nicht mehr aus den Augen verlieren, bevor nicht die Zukunft seiner Bevölkerung gesichert ist.

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