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„Wir sind nicht Kinder Gottes, sondern einfach Unterdrückte”

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„Warum gelten wir als minderwertig?”. Seit ihrer Kindheit beschäftigt sich die Juristin Mayawati aus dem indischen Bundesstaat Uttar Pradesh (siehe rechts unten) mit dieser Frage.

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„Warum gelten wir als minderwertig?”. Seit ihrer Kindheit beschäftigt sich die Juristin Mayawati aus dem indischen Bundesstaat Uttar Pradesh (siehe rechts unten) mit dieser Frage.

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DIEFURCHE: Wie wollen Sie die Menschen, die über Jahrtausende daran gewohnt sind, in Kasten und vor allem Unterkasten zu denken, dazu bringen, sich plötzlich über Kastenbarrieren hinweg zu solidarisieren? mayawati: „Schafft die Kasten ab, eint die Gesellschaft”, unter diesem Slogan veranstalten wir überall Kundgebungen. Wir möchten die Menschen durch Kaderarbeit und Massenveranstaltungen bewußter machen. Wir organisieren Seminare und erklären den Leuten, daß die brahmanische Ordnung die Masse der Inder über Tausende Jahre in diese unzähligen Kasten unterteilt hat, um sie zu spalten. Daher konnten sich die Entrechteten nicht solidarisieren und einen organisierten Widerstand gegen die Herrschenden bilden, obwohl doch ihre Sorgen und Probleme im Grunde identisch sind. Jetzt aber sagen wir ihnen, wenn ihr euch organisiert und zusammenhaltet, wird euer Stimmenanteil als Block viel größer sein. Schließlich seid ihr 85 Prozent der Bevölkerung. Wenn ihr euch vereint, wird die politische Macht in eure Hände kommen.

Babasaheb Ambedkar (ein Unberührbarer, erster Justizminister des unabhängigen Indien und Autor der indischen Verfassung, Anm.d.Red.) hat genau das gesagt. Ihr sollt nicht um Eure Rechte bitten, Ihr sollt sie euch nehmen. Dabei hat er nicht gemeint gewaltsam, aber indem Ihr Euch organisiert.

DIEFURCHE: Sie haben mit Ihrer Pro-Ambedkar- und Anti-Gandhi-Linie heftige Empörung ausgelöst Sie werfen Gandhi vor, nichts für die Unberührbaren getan zu haben Sie lehnen den Begriff Harijans, Kinder Gottes, den der Mahatma für die Un-berührbaren gewählt hat, ab und bevorzugen das Wort Dalits, Unterdrückte. mayawati: Gandhi wollte nie etwas für die Unberührbaren tun. Ihm lag ihr Wohl nicht am Herzen. Ambedkar hingegen sehr wohl. Ich habe die Lebensgeschichten beider gelesen, Ambedkar ist der wirkliche Retter der Unberührbaren.

Ambedkar wollte, daß sie auf ihren eigenen Füßen stehen. Gandhi wollte, daß sie Sklaven bleiben. Ambedkar veröffentlichte ein Buch „Was der Kongreß und Gandhi den

Unberührbaren getan haben”. Dort zitierte er Gandhi mit den Worten, daß er gegen die Unberührbarkeit war, aber nicht gegen das Kastensystem. Er glaubte also ans Kastenwesen. Es ist aber dieses System, das die Unberührbaren in Unterdrückung hielt. Gandhiismus wird ihnen nicht helfen. Ambedkarismus sehr wohl.

DIEFURCHE: Warum lehnen Sie den

_, Begriff Harijans ab?

Mayawati: Als Gandhi 1936 den Ausdruck einführte, war Ambedkar von Anfang dagegen und sagte, „das riecht nach Brahmanismus”. Wenn Harijan so ein schönes Wort ist, warum hat es Gandhi dann nicht vor seinen eigenen Namen gestellt? Warum haben Nehm oder die anderen Führer der Kongreß-Partei das nicht getan? 1982 erklärte das Parlament in Neu Delhi den Begriff Harijan für verfassungswidrig. Die Kongreß-Partei unterstützte damals den Beschluß. Aber jetzt sagen sie wie-, der, es ist ein gutes Wort, wir sollten nicht dagegen sein. Ich verstehe die Logik nicht.

DIEFURCHE: Hängt der Vorwurf, Sie hätten den Mahatma einen Sohn des Teufels genannt, mit ihrer Ablehnung des Begriffs Harijans zusammen3. Mayawati: Anfang März, als die ganze Kontroverse begonnen hat, habe ich vor allem Gaikwad, einen anderen Fürsprecher der Unberührbaren, zitiert. Gaikwad sagte, wir werden bestimmen, wie wir uns nennen. Er hat gemeint, wenn wir Kinder Gottes sind, sind dann alle anderen Kinder des Teufels? Ein

Journalist hat mich dann gefragt, heißt das also, auch Gandhi ist der Sohn des Teufels? Stimmen Sie dem zu? Und ich habe geantwortet: Ziehen Sie ihre eigenen Schlüsse. Aber dann hat er das verzerrt und mich mit den Worten zitiert, daß ich Gandhi einen Sohn des Teufels nannte. Aber das habe ich nicht gemeint.

DIEFURCHE: Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, wo Ambedkar für und Gandhi gegen die Interessen der Unberührbaren eintrat? mayawati: In den dreißiger Jahren wollte Ambedkar getrennte Wahllisten für Unberührbare, damit sie ihre eigenen Vertreter ins Bundesund in die Regionalparlamente entsenden können. Gandhi war dagegen und begann zu fasten, bis Ambedkar schließlich nachgab. Dieser Vorfall zeigt, daß, wann immer Ambedkar für die Rechte der Dalits kämpfte, es der Kongreß und Gandhi waren, die sich widersetzten und ihm Hindernisse in den Weg legten.

DIEFURCHE: Haben Sie nicht Sorge, mit Ihrer Anti-Gandhi-Haltung viele Angehörige unterer Kasten, die den Mahatma verehren, vor den Kopf zu stoßen und so wiederum die unteren Kasten zu spalten? mayawati: Der Erfolg meiner Partei und der Sozialistischen Partei in Uttar Pradesh zeigt, daß die Leute nicht so sehr an Gandhi glauben. Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß die Kongreß-Partei, die ja immer Gandhis Partei und die Vertreterin der Entrechteten war, lediglich 28 von insgesamt 425 Sitzen bekam, während die Partei, die Ambedkar folgt, dreimal so viele Mandate bekam und nun in der Regierung sitzt.

Das Gespräch fährte

Brigitte Voykowitsch in New Delhi

Kritik an Ghandi

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