Wir verbessern Österreichs soziales Klima

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Eine ungewöhnliche Allianz unterzeichnet am Freitag im Parlament ein Bündnis, das an die Wurzeln der österreichischen Gesellschaft geht.

Ein Abend in Wien. Frau G. geht eine ruhige Straße entlang zur nächs-ten U-Bahn-Station. Sie stammt aus Vietnam, lebt aber schon lange in Österreich. Plötzlich hört sie eine aufgebrachte Männerstimme hinter sich. "Schlitzauge! Schleich dich!“ brüllt ihr ein Fremder nach. Sie geht weiter, er verfolgt sie. Erst als zufällig ein Streifenwagen um die Ecke biegt, läuft der Mann davon.

Mai 2012 in Graz: Bald soll die Grundsteinlegung für eine neue Moschee stattfinden. Derzeit steht auf dem Bauland ein Gebetszelt. Eines Nachts wird es von Unbekannten mit Schweineblut bespritzt. Vor dem Zelt liegen sechs Schweinekopfhälften.

Ein Spital in Österreich. Herr B., der aus Gambia stammt, ist dort als Leiharbeiter für die Essensausgabe zuständig. Seine Kollegen sind serbischer Herkunft. Einer davon äußert sich offen rassistisch gegenüber B.: "Ich möchte nicht mit einem Neger arbeiten“, sagt er zu ihm. Oder: "Ich will hier keine Ausländer sehen.“

Der Zara-Rassismus Report und die Gleichbehandlungsanwaltschaft dokumentieren unzählige Vorkommnisse dieser Art. Und die gehen nicht nur jene etwas an, die unmittelbar davon betroffen sind. Denn Rassismus und Intoleranz, das Kultivieren von Vorurteilen und Abqualifizieren von Personengruppen beeinflussen maßgeblich das gesellschaftliche Klima eines Landes. "Bei uns kann das zuweilen recht eisig sein“, meint Herbert Langthaler von der "asylkoordination österreich.“

Graswurzel-Veränderungen

Das zu ändern hat sich nun eine ungewöhnliche Allianz auf die Fahnen geschrieben: Einrichtungen aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung tun sich zusammen, um etwas europaweit Einzigartiges zu gründen: Ein neues Gesellschafts-Klimabündnis. Das wird am Freitag, 19. April, auf Einladung von Parlaments-Präsidentin Barbara Prammer feierlich aus der Taufe gehoben. Bei diesem Gründungsakt unterzeichnen alle Bündnisteilnehmer eine Deklaration mit einem klaren Auftrag: Sie verpflichten sich dazu, das Gesellschaftsklima in Österreich auf Basis von Diversität und Menschenrechten zu verbessern.

Auf den ersten Blick ist das nichts außergewöhnliches: Ähnlich klingende Lippenbekenntnisse hat man schon aus den unterschiedlichsten Ecken gehört. Neu ist allerdings die Zusammensetzung der Teilnehmer des Gesellschaftsklimabündnisses.

Die Initiative wurde vom Netzwerk Rechte-Chancen-Vielfalt ins Leben gerufen. Bei dieser österreichweiten NGO-Plattform sind Organisationen wie die Caritas Wien, die Volkshilfe, SOS-Mitmensch, die Diakonie, das Integrationshaus oder Zara dabei. Die üblichen Verdächtigen bei gesellschaftspolitischen Engagement also.

Konkretisiert wurde das Gesellschaftsklimabündnis aber im Austausch mit Organisationen aus ganz anderen Themenbereichen: Das Arbeitsmarktservice, die Arbeiterkammer und das Sozialministerium sind dabei. Die Wiener Volkshochschulen, die Bundesjugendvertretung und der Presseclub Concordia. Sogar der Städtebund und der ÖAMTC arbeiten mit.

Durch diese breite Allianz werden neue Partnerschaften begründet. "Damit können wir neue Teile der Gesellschaft erreichen“, hofft Langthaler. Nicht mehr vom Alten soll passieren - man will neue Lösungen für alte Probleme finden: "Es geht dabei für uns alle darum, eingefahrene Wege zu verlassen.“

Das betrifft auch die Reihenfolge, in der Änderungen forciert werden. Bisher setzte man auf das Modifizieren von politischen Rahmenbedingungen. Wenn erst einmal die Rechtslage anders ist, würden bestimmte Probleme nicht mehr auftauchen, hoffte man. Ein langwieriger, zäher Weg. Der sich noch dazu nicht immer bewährt hat.

Das Gesellschaftsklimabündnis will den umgekehrten Weg probieren: Über konkrete Projekte, die in allen Bereichen der Gesellschaft ansetzen, soll sich das Klima in Österreich verbessern. Der Politik, so die Annahme, wird dann gar nichts anderes übrig bleiben, als die Rahmenbedingungen anzupassen. "Wir hoffen auf einen Schneeballeffekt“, sagt Andrea Eraslan-Weninger vom Integrationshaus Wien.

Vielfalt und Gleichberechtigung

Denn das Gesellschaftsklimabündnis soll keine fromme Absichtserklärung bleiben. Konkrete Projekte, die alle Teilnehmer gemeinsam erarbeiten, sollen die gesellschaftsklimatischen Ambitionen in der Bevölkerung verankern. So wird gerade an einer Anti-Diskriminierungs-Betriebsvereinbarung gearbeitet. Die soll sinnvolle Ergebnisse im Hinblick auf Personalauswahlverfahren oder den Zugang zu Aus- und Weiterbildung liefern. Jede teilnehmende Organisation verpflichtet sich dazu, selbst mit gutem Beispiel voran zu gehen. Über Multiplikatoren wie etwa die Wiener Volkshochschulen oder den ÖAMTC können die Inhalte aber in Ecken der Gesellschaft vordringen, die von bisherigen Integrationsprojekten schlecht erreicht wurden.

Dabei geht es dem Gesellschaftsklima nicht ausschließlich um Zuwanderer. "Das ist ein Startschuss für einen längeren Prozess“, erklärt Verena Fabris von der Volkshilfe Österreich: "Uns geht es darum, Vielfalt - und zwar in allen Lebensbereichen - nicht nur anzuerkennen, sondern tatsächliche Gleichberechtigung zu schaffen. Bei Bildung und Berufswahl, Arbeit und Einkommen, Gesundheit, Wohnen, Freizeit und politischer Partizipation.“ Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek, ist daher auch mit an Bord. Tatsächlich liegt der Fokus des Gesellschaftsklimabündnis aber auf Integration.

"Das Thema Migration wurde in den letzten Jahren zu einem politischen Reibungspunkt gemacht“, meint Andrea Eraslan-Weninger, "Das hat das gesellschaftliche Klima maßgeblich beeinflusst.“ Frau B. bekommt das am Weg zur U-Bahn, Herr G. an seinem Arbeitsplatz am eigenen Leib zu spüren. Und auch alle anderen, die in Österreich leben oder arbeiten, sind - wenn auch indirekt - davon betroffen. Das Gesellschaftsklimabündnis möchte das ändern.

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