Abgrund - © Illustration: Rainer Messerklinger

Wirtschaft nach Corona: Sturmwarnung für die Märkte

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Ein neuer UN-Bericht zur Wirtschaftslage liefert erstmals Daten über Kernbereiche der Globalisierung und verheißt eine tiefe Krise. Er nennt aber auch „Gewinner“ der Covid-19-Pandemie. China profitiert dabei essentiell von der Schwäche Amerikas und Europas.

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Ein neuer UN-Bericht zur Wirtschaftslage liefert erstmals Daten über Kernbereiche der Globalisierung und verheißt eine tiefe Krise. Er nennt aber auch „Gewinner“ der Covid-19-Pandemie. China profitiert dabei essentiell von der Schwäche Amerikas und Europas.

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Eines der größten Hemmnisse der Entwicklung des Menschen zum Schönen und Guten liegt oft in seiner begrenzten Aufnahmefähigkeit für wichtige Informationen. Man lässt sich gerne von Geschehnissen unterhalten, bei denen grob gesprochen „die Fetzen fliegen“, wenn also Leute mit Worten, Prügeln oder anderen Mitteln aufeinander einschlagen. Nicht dass Konflikte nicht auch wichtig wären, aber sie ziehen enorm viel Aufmerksamkeit von anderen Dingen ab, die man gemeinhin als „Hintergrundrauschen“ bezeichnen könnte. Diese Woche etwa konnte man auf allen Kanälen und Titelseiten die Eröffnung des Impeachment-Verfahrens gegen Donald Trump beobachten, in Eu­ropa die Klage über die großflächige Ineffizienz der Covid-19-Lockdowns, garniert mit Impfstoffknappheitsdebatten und Covid-19-Clustern in alpinen Skidörfern.

Als „Hintergrundrauschen“ all dieser größeren und kleineren Ereignisse drängt sich die allgegenwärtige Wirtschaftskrise auf, die vor etwa einem Jahr begonnen hat und deren konkretes Ausmaß nun zum ersten Mal übersehen und abgeschätzt werden kann. Dieses nicht erfreuliche Panoramabild vermittelt eine scheinbar öde ökonomische Studie der Vereinten Nationen über „Auslandsinvestitionen in globaler Perspektive“. Das klingt schon sehr tröge im Vergleich zu Trump und Covid-19. Doch die abstrakten Zahlen dieses Berichtes lassen eine sehr turbulente Lage erwarten, die unter Umständen bis 2030 anhält. Hier die Details und Analysen.

Auslandsinvestitionen sind einer der wichtigsten Gradmesser des Zustands der globalen Wirtschaft. Sie sind ein Indikator für den grenzüberschreitenden Austausch von Kapital, Vermögenstransfers, Betriebsgründungen, Fusionen und – mit Abstrichen – auch die Arbeitsplatzschaffung. Mit anderen Worten, bei hohem Investitionsaktivitäten geht es der globalen Wertschöpfung gut. Aktuell aber, so ein Bericht der UNCTAD (UN Conference on Trade and Development), es geht ihr gar nicht gut. Im Jahr 2020 sind die Auslandsinvestitionen im Vergleich zu 2019 um mehr als 40 Prozent eingebrochen. Das ist mehr als dreißig Prozent unter dem tiefsten Wert nach der Finanzkrise von 2009 und spiegelt sich auch im globalen BIP wider, das um 4,3 Prozent geschrumpft ist.

EU als großer Verlierer

Während die USA als Wirtschaftsmacht Nummer eins mit 46 Prozent minus im Mittelfeld rangieren, hat es Europa wesentlich stärker getroffen. Das Auslandsinvestitionsvolumen ist von 344 Milliarden auf minus vier Milliarden gefallen. Das heißt: Im Vergleich zu 2019 sind Neuinvestitionen nicht nur zur Gänze ausgeblieben, die internationalen Investoren haben zusätzlich auch noch Mittel abgezogen oder Kredite fällig gestellt, die sie europäischen Tochterunternehmen gewährt hatten. Unter den großen Verlierern Europas stechen vor allem Industrienationen wie Großbritannien und Italien hervor. Beide mussten einen starken Abzug von Investkapital verkraften. Insgesamt liegt Europa damit heute auf einem Niveau, das es zuletzt vor 25 Jahren hatte.

Die Ursache für diesen Absturz liegt in einem laut UN-Experten vorliegenden Dreifachschock, den die Pandemie mit sich gebracht hat, indem Covid-19 und die deshalb getroffenen Maßnahmen das globale Angebot, die Nachfrage und auch die bis dahin geltenden liberalen Wirtschaftspolitiken untergraben haben.

Durch die Unsicherheit, was den Erfolg der Impfungen und bisher gesetzten Maßnahmen betrifft, geraten auch die Aussichten ins Wanken. Denn die meisten Investoren halten sich mit Zusagen bezüglich neuer Investitionen bis 2022 zurück. Auch für heuer muss deshalb mit einer Investitionsschrumpfung gerechnet werden. Besonders intensiv fällt sie ausgerechnet in jenen Branchen aus, in denen die meisten Arbeitsplätze angesiedelt sind. So betrifft die Zurückhaltung an Zusagen vor allem die Eröffnung neuer Produktionsstandorte in der Lebensmittelproduktion, der Konsumgüterproduktion, insbesondere in der Kleider-, Elektronik- und Automobilindustrie sowie im Großhandel. Damit werden auf mittlere Sicht die Schaffung und Sicherung hunderttausender Arbeitsplätze verhindert.

Waren im ersten Jahr der Krise die Industrienationen die Hauptleidtragenden der Investitionszurückhaltung, so zeigt sich für die Entwicklungsländer ein sehr unterschiedliches Bild. Zum einen haben sie insgesamt ihren Anteil am globalen Gesamtinvestitionsvolumen drastisch erhöht, von 45 Prozent 2019 auf 72 Prozent 2020. Doch nur wenige Nationen konnten einen Zugewinn an Investitionen verbuchen. An der Spitze, wie zu erwarten, China (plus vier Prozent) und Indien (plus 13 Prozent im Vergleich zu 2019). China hat also (und ganz abseits jeder Verschwörungstheorie) durch den Covid-19-Absturz der USA und Europas einen großen Sprung Richtung globaler Dominanz gemacht. Nicht umsonst hat die neue US-Finanzministerin Janet Yellen in ihrer ersten Prioritätenliste den Handelskonflikt mit Peking genannt und auf die Einhaltung internationaler Vereinbarungen durch das kommunistische Regime bestanden.

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