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Wirtschaft ohne Unternehmer?

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Spätestens seit „Populorum pro- gressio“ weiß man, daß es auch das Schicksal kirchlicher, insbesondere päpstlicher Verkündigungen sein kann, einseitig ausgewertet zu werden, wenn Munition für den politischen Tageskampf gebraucht wird. Rekapitulierend muß man allerdings feststeilen, daß sich schon um die Übersetzung von „Mater et Magistrą“ im deutschen Sprachraum Dinge zugetragen haben, die, um es zurückhaltend auszudrücken, aufklärungsbedürftig waren.

Insbesondere was „Populorum progressio“ betrifft, muß man bei aller Ehrfurcht vor dem großen ethischen Gehalt der Enzyklika doch zu überlegen geben, ob die (französischen) Berater des Papstes die natio- nalökonomiische Literatur bewußt selektiv auswerteten und ob sie mit voller Überlegung Paul VI. Formulierungen verschlugen, die nun einmal zu Mißverständnissen Anlaß gaben. Eben dies hat auch in einer im Anschluß an die Veröffentlichung der Enzyklika geführten Diskussion vor christlichen Unternehmern in Wien Universitätsprofessor Doktor Weiler zugegeben, als er sagte, die mangelhafte Literaturkenntnis der Berater des Papstes sei zu bedauern. Ganz allgemein ist festzustellen, daß wohl die meisten, die „Populorum progressio“ zitiert haben, bestenfalls die von Nachrichtenagenturen ausgegebenen Auszüge kannten, sich aber nicht die Mühe machten, den vollen Wortlaut zu studieren. So wurden Passagen aus dem Zusammenhang gerissen und ihnen ein Sinn unterlegt, den sie gar nicht haben können.

Kein Platz für Unternehmer?

Leider müssen sich aber katholische Kreise den Vorwurf gefallen lassen, daß sie offenbar nichts dagegen tun, um den Eindruck, die Kirche sei unternehmerfeindlich, zu korrigieren. Dies war auch das Thema der bereits erwähnten Diskussion von ch,“'-«Üichen Unternehmern in Wien, wobei einer der Teilnehmer sagte, im Sammelbecken der Kirche sei eigentlich kein rechter Platz für den Unternehmer. Die Kirche huldige zwar einerseits dem Persönlichkeitsprinzip, stehe aber in der Praxis immer auf der Seite des Kollektivs; sie komme den Arbeitsmassen entgegen, so sehr sich diese von ihnen entfernt haben, nicht aber dem. Unternehmer. Und Professor Weiler meinte, daß es innerhalb der „Amtskirche“ eine nicht unbeträchtliche Zahl von tatsächlich unternehmerfeindlich gesinnten Menschen gebe.

Es ist verständlich, daß „die Kirche“ — dies hier bewußt in Anführungszeichen gesetzt, um auch ihren pluralistischen Charakter zu betonen — versucht, Fehler des vergangenen Jahrhunderts gutzumachen, indem sie sich um verstärkte Kontakte zur Arbeiterschaft bemüht. Allerdings schlägt das Pendel der Sympathie bisweilen zu stark aus.

Die Offenburger Erklärung

Im katholischen Raum hat die „Offenburger Erklärung" der Sozialausschüsse der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands geradezu Begeisterung hervorgerufen. Der führende Gesellschaftswissenschafter Götz Briefs hat zu dieser im Vorjahr veröffentlichten Erklärung mit Recht darauf hingewiesen, daß damit offenbar dem Liberalismus der Charakter einer Häresie gegeben und der Kapitalismus verketzert werden soll.

In dieser Erklärung heißt es näm lich, daß die Arbeit wichtiger als alles andere und der Mensch wichtiger als die Sache sei. Gewiß ist das eine politisch und ethisch sehr attraktive Formulierung. Aber sie ist nicht nur oberflächlich, sondern auch falsch. Dabei soll nämlich offenbar die Handarbeit glorifiziert werden. Es ist dies eine Romantisierung, über die die Zeit hinweggegangen ist. Die Verfasser denken anscheinend an ein handwerklich und gewerblich bestimmtes Zeitalter, nicht minder wie man in anderen Zusammenhängen häufig auf einen Agrarromantizismus stößt, der einfach nicht wahrhaben will, daß die moderne Landwirtschaft immer mehr zu industriellen Organisationsformen strebt.

Kapital und Arbeit

Weiter: Wo bleibt bei einer solchen Formulierung das Verständnis für die Grundlage und Antriebskraft jeder industriewirtschaftlich orientierten Gesellschaft, nämlich Forschung, Entwicklung, Untemehmer- geist und natürlich auch Kapital? Hier wird nämlich ein Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit konstruiert, und das in einer Zeit, da alle Lebenäbereiche zur „Integration" drängen. So nimmt es denn nicht wunder, daß aus derartigen Formulierungen Konsequenzen auch für den Eigentumsbegrifl und die Untemehmerfunktion gezogen werden.

Diese „Offenburger Erklärung“ wurde daher treffend als „labori- stisch" gekennzeichnet, ihr Ergebnis müsse der Gewerkschaftsstaat sein. Sie ist ein Anachronismus auch deswegen, weil in den kommunistischen Staaten der Ruf nach der Eigenverantwortlichkeit des Menschen und der unternehmerischen Persönlichkeit im wirtschaftlichen Bereich jetzt in dem Maße immer lauter wird, in dem die Hoffnung, den Westen allein durch den technisch-industriellen Fortschritt einzuholen, sich nicht erfüllt. Man muß nun 1m Zuge der Wirtschaftsreformen im Osten erkennen, daß die Forderung nach (wieder!) unternehmerischem Denken allein noch keine Gewähr für eine Verbesserung der Wirtschaftsführung bietet. Die jahrzehntelange Indizierung unternehmerischen Denkens läßt sich nämlich nicht mit einem Reformbeschluß von oben ungeschehen machen.

Wer einseitig die Arbeit hervorhebt, muß sich zweierlei Vorwürfe gefallen lassen: erstens, daß er die Wandlungen im modernen Kapitalismus bewußt übersieht, daß er nicht wahrhaben will, daß auch der soziale Fortschritt nur durch die evolutionäre Weiterentwicklung des Kapitalismus möglich war. Die beste Rechtfertigung bietet der zunehmende Gesinnungswandel im Osten. Zum zweiten muß er sich sagen lassen, daß das Kapital in einer modernen Wirtschaft eine eminente Sozialfunktion hat, daß es unerläßlich ist auch für die Hebung des sozialen Standards der breiten Massen.

Ein befugtes Wort

Professor Johannes Messner, der Nestor der katholischen Soziiallehre, hat in einer jüngst veröffentlichten fundierten Arbeit zum Thema „Schlagwort Antikapitalismus“ (erschienen in „Wort und Wahrheit“, November 1967) nachgewiesen, daß die Kirche keineswegs dem Antikapitalismus primitiver Observanz huldige. Er schreibt: »Wie könnte die kirchliche und die christliche Gesellschaftslehre antikapitalistisch sein in dem Zeitpunkt der Weltgeschichte, wo die soziale Frage, die immer ihr oberstes Anliegen war, in ihrer weltweiten Dimension ausschließlich kraft einer Produktivitätssteigerung der Industriewirtschaft bewältigt werden kann, die nur in einem dynamischen Kapital- verwertumgs- und Kapitalvermehrungsprozeß von bisher nicht geahntem Ausmaß erhofft werden kann mit dem Ziel, .mehr und besser zu produzieren (Populorum progressio)?“ Die christliche Gesellschaftslehre, so führt Johannes Messner weiter aus, sei auf dem Wege, sich an den Sachgesetzlichkei- ten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens zu orientieren.

Nach der Auffassung Professor Messners kann Innerhalb eines nichtsozialistischen Wirtschaftssystems die Ordnungsfunktion der Arbeit nur in Relation zur Ord- nungsfunkition des Privateigentums gesehen werden; beide werden durch das oberste, entscheidende Ordnungsprinzip, das Gemeinwohlprinzip, bestimmt.

Der Repräsentant des vial- geschmähten Kapitalismus ist nun einmal der Unternehmer. Er ist gerade heute, da es gilt, das Wohl- standsgefälle zwischen der entwik- keiten und der unterentwickelten Welt zu beseitigen (siehe die hohe Zielsetzung von „Populorum pro- gressio“) unentbehrlich. Vor wenigen Monaten konnte man des 100. Jahrestages des Erscheinens des ersten Bandes von Karl Marx „Das Kapital“ gedenken. Es tut diesem großen Werk, das zum europäischen Geisteserbe zählt, keinen Abbruch, wenn man sagt, daß Kari Marx — zum Glück! — in wesentlichen Prophezeiungen geirrt hat, daß sich die Welt — auch dank der Entwicklung des Kapitalismus — anders, nämlich besser gerade für den arbeitenden Menschen, entwickelt hat. Erst die Synthese von Arbeit, Wissen, Kapital und Untemehmerlelstung hat die Erreichung jenen Standards möglich gemacht, von dem auch ein Karl Marx nie zu träumen gewagt hätte. Es heißt, die Augen vor den Realitäten verschließen, wollte man nicht auch dem Kapitalismus zugute halten, daß er die Kraft zur Selbstreinigung und evolutionären Entwicklung in sich trägt. Die Jahrhundertauf- gabe des Abbaues des Wohlstandsgefälles in der Welt, das zum Himmel schreit, erfordert den aktiven, das Kapital sinnvoll nützenden Unternehmer. Der Unternehmer ist daher eine soziale Notwendigkeit.

Jenen, die ihn negieren, hat Paul VI. in einer Ansprache an die Teilnehmer des Nationalkongresses des christlichen Unternehmerverbandes Italiens am 8. Juli 1964 die Antwort gegeben. Der Papst sprach die Unternehmer wie folgt an: „Mit den Lehrern und den Ärzten zählt ihr zu den Berufsgruppen, die in besonderer Weise die Gesellschaft formen, die den größten Einfluß haben auf die Lebensbedingungen des Menschen und die ihm neue und ungeahnte Möglichkeiten eröffnen... Euer Berufsstand ist unentbehrlich ... Ihr seid die typischen Vertreter des modernen Lebens, das vollkommen von der Industrie bedingt und geprägt ist... Ihr seid die Männer mit den dynamischen Ideen, mit den genialen Initiativen, mit den gesunden Risiken, den segensreichen Opfern, der mutigen Voraussicht. Mit der Kraft der christlichen Liebe könnt ihr große Dinge schaffen.“

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