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Wirtschaftskommentar

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Das Regierungsprovisorium hat anfänglich wenig Gutes versprochen. Dazu kommt noch, daß die Ereignisse um den Regierungsrücktritt geradezu dramaturgisch gestaltet wurden. Daher hatte man allen Grund, das Schlimmste zu befürchten. Die Tatsache, daß statt regiert von bestellten Liquidatoren nur verwaltet werden konnte, hat jedoch auch dazu geführt, daß für manche und außerordentlich massive Forderungen an den Staatssäckel (also an uns alle) einfach der Adressat gefehlt hat. Die Regierung konnte trotz eines, wenn auch nur mäfjig wachsenden Sozialprodukts und konformen Hoffnungen auf Mehreinnahmen aus den unterschiedlichen Abgabetifeln ausgabewirksame Zusagen nur in einem beschränkten Umfang machen.

Das bereits angedrohfe Wachstum der Forderungen an „den” Staat und an den Mitbürger ist beachtlich, aber leider nicht auf das ökonomische Wachstum abgestimmt. Seriöse Politiker und Interessenvertreter, sonst durchaus abwägend urteilend, verlieren oft jedes Maß, wenn sie für sich oder für die von ihnen Betreuten Forderungen stellen. Dabei scheinen sie sich nicht dessen bewußt zu sein, daß ab einer kritischen Höhe der Forderungen einfach auf alle Staatsbürger Regreß genommen werden muß, worauf die Förderer selbstverständlich über diesen Rückgriff, den sie selbst mitveranlaßt haben, meist außerordentlich böse sind.

Die neue „regierende” Regierung wird jedenfalls mit einem Katalog von Forderungen konfrontiert werden — berechtigten und unberechtigten. Und dies in einer Situation der Wachstumsentwicklung, die in Österreich und auch anderswo keineswegs jene progressiven Zuwachsraten anzeigt, an die wir uns und vor allem berufliche Forderungsneurotiker bereits gewöhnt haben, welche lediglich durch die Rechtslage bewogen werden könnten, ihre bedingt ohnedies bereits akzeptierten Ansprüche zu prolongieren.

Das wirtschaftliche Wachstum nimmt jedenfalls in Österreich — wie auch in vielen anderen Ländern — nominell und bei Bedachtnahme auf die Preiserhöhungen real ab. An sich ist eine solche Reduktion der Zuwachsquoten noch keineswegs bedenklich und hängt von den hohen und immer höher werdenden Ausgangswerten ab, von denen aus die relative Entwicklung des österreichischen Bruttonationalprodukts gemessen wird, dessen Zuwächse zum Beispiel bei einem Stand von 200 Milliarden, in Prozenten gerechnet, geringer sind als bei 100 Milliarden. Die Verflachung des Zuwachses ist daher selbst eine Folge vorangegangener Zuwächse. Bedenklich ist nur, daß trotz Absinken des Zuwachses eine progressive Vermehrung der Ansprüche festzustellen ist, die bei allzu sehr parteipolitisch und allzuwenig wirtschaftlich interpretierenden Politikern kaum einen Widerstand finden. Und das um so weniger, je mehr die Parteien zu Allklassenparteien werden und allen alles offerieren wollen.

Das Wachstum der Anspruchskurve an das Sozialprodukt überdeckt jedenfalls derzeit erheblich dessen Wachstumskurve. Einfach: Es werden wirksam Geldscheine für Güter gefordert, die noch nicht produziert sind. Daher läuft — um einen Slogan zu wiederholen — „allzuviel Geld allzuwenig Gütern nach”. Die Folge sind Preiserhöhungen. Nicht, weil es „dem bösen Nachbarn nicht gefällt”, sondern weil dies eben in der Natur der Dinge liegt. Es gibt nun einmal eine ökonomische Logik, die man nicht wegdiskutieren kann. Wenn die effektive Nachfrage das effektive Anbot auf einem Markt übersteigt, kommt es zum Konkurrenzkampf der Kaufwilligen und zur „Rationierung über den Preis”.

Zu allem kommt noch eine spezifische Ursache, welche die Preisempfindlichkeit in den Wirtschaftsbereichen der westlichen Welt verstärkt. Die Produktion von Dienstleistungen wächst relativ; im Jahre 1964 umfaßten sie, zu Marktpreisen gerechnet, bereits 40,2 Prozent unseres Sozialprodukts. Die Nachtrage „entmaterialisiert” sich immer mehr und richtet ihr Begehren auf Service in unterschiedlichen Darstellungsfor- men. Die bundesdeutsche Lohnquote ist jedenfalls von 64,8 (1964) auf 66 Prozent gestiegen. Dienstleistungsbetriebe sind jedoch für Kostenänderungen etwa in Form von Lohnsteigerungen erheblich empfindlicher als andere Betriebe, weil sie einen Kostenanstieg lediglich in einem unzureichenden Umfang, wenn überhaupt, durch maschinelle oder organisato- riche Rationalisierungsmaßnchmen kompensieren können. (Primitives Beispiel: Wie soll ein Friseur eine Lohnerhöhung kompensieren?) Die Folge ist nun der Zwang, Mehrkosten auf die Preise weiterzugeben (daß diese Weitergabe oft in einem unvertretbaren Umfang erfolgt, ist ein anderes Kapitel), da der Lohn für Dienstleistungen relativ wenig reduzierbar ist.

Die Reduktion des Zuwachses hängt nicht nur mit der relativen Höhe des Ausgangsproduktes (etwa am Beginn jenes Jahres, für das die Rate der Vermehrung des Güteranbots gemessen werden solle) zusammen, sondern auch mit anderen Einflußfakten, u. a.:

• Mit dem bedenklichen Mangel an fachlich und moralisch geeigneten Arbeitskräften, welche die neuen Maschinen anforderungsgerecht bedienen und ökonomisch nutzbar machen können,

• mit der „spontanen” Verminderung der Arbeitszeit seitens nicht unbeträchtlicher Teile der Arbeitnehmer und auch so mancher Arbeitgeber.

• Auch der zeitweilige Rückgang der internationalen Nachfrage und der zeitweilige Verlust von einzelnen Auslandsmärkten wirkt auf die Wirtschaftsentwicklung bremsend. Die Folge ist eine Investitionsscheu bei den betroffenen Unternehmungen.

Angesichts der Tatsache, daß wir nun einmal nur verzehren können, was vorher produziert worden ist, scheint ein kurzfristiger Forderungsstopp geboten. Sogar für die sogenannte „Teuerung”. Wenn eine Teuerung abgegolten wird, kommt es dadurch allein noch nicht zur Beseitigung der Ursachen für die Teuerung. Im Gegenteil: Nicht selten wird die Entwicklung einer Teuerung durch eine „Teuerungszulage”, die wieder auf die Preise fortgewälzt werden muß, noch gefördert. Daher sollte eine Teuerung dosiert abgegolten und eine generalisierende Vergütung des Mehraufwandes der Haushaltungen, welche die Bezieher hoher Einkünfte begünstigt, zumindest für einige Zeit vermieden werden.

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