Wladimir Putins Griff nach der Macht

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Putin hat seine Pläne als zukünftiger Präsident Rußlands bewußt vage formuliert. Noch braucht er jede Wählerstimme.

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Putin hat seine Pläne als zukünftiger Präsident Rußlands bewußt vage formuliert. Noch braucht er jede Wählerstimme.

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Zwei Faktoren prägen den unaufhaltsamen Aufstieg des Geheimdienstoffiziers Wladimir Putin zur Macht: Zum einen wurde der unscheinbare Bürokrat von den mächtigen "Familien" Rußlands - den berüchtigten Oligarchen - auserkoren, dem bisherigen Patron Jelzin nachzufolgen; als Bedingung dafür wurde Putin abverlangt, die materiellen Interessen dieser Führungsschichten zu garantieren. Zum anderen ist Putin auf den Trümmern Tschetscheniens zu einer in Rußland seit Jahren ungekannten Popularität aufgestiegen. Die trotz steigender Opferzahlen ungebrochene patriotische Mobilisierung der Gesellschaft hat Putin zur unumstrittenen Führungsfigur Rußlands gemacht.

Allerdings läßt sich die Popularität Putins nicht auf seine Funktion als oberster Feldherr in Tschetschenien reduzieren. Dazu kommt seine Fähigkeit, den Bürgern einen neuen, entschlossenen, mutigen und konsequenten Führungsstil zu vermitteln, der das Zaudern und kränkliche Zögern seines Vorgängers vergessen läßt. Die Zeit der Demütigung und des Zurückweichens Rußlands soll mit Putin zu Ende sein. In Putin setzen nahezu alle Schichten der rußländischen Gesellschaft überbordende Erwartungen. Um diese Hoffnungen nicht zu enttäuschen, hat es Putin bislang erfolgreich vermieden, sich inhaltlich festzulegen. Trotzdem lassen sich Hauptmerkmale der Präsidentschaft Putins bereits absehen: Die Wirtschafts- und Finanzpolitik wird sehr stark von Kontinuität bestimmt sein. Putin ist ein marktorientierter Politiker, der allerdings die Aufgabe des Staates darin sieht, kontrollierend und lenkend in den Wirtschaftsprozeß einzugreifen. Dies wird sich vor allem in einer verstärkten staatlichen Industriepolitik, insbesondere in der Hochtechnologie und dem Rüstungssektor widerspiegeln. Zu den erwarteten Reformschritten zählen die Durchführung einer radikalen Steuerreform, der Beschluß eines Bodengesetzes, das den freien Kauf und Verkauf von Land vorsieht und eine Reform des Konkurs- und Wettbewerbsrechtes.

Auch in der Außenpolitik Rußlands sind unter Präsident Putin keine Kurskorrekturen zu erwarten. Putin hat in den vergangenen Wochen klare Signale an die westlichen Staaten ausgesandt, an enger Zusammenarbeit interessiert zu sein. Rußlands Entgegenkommen im Bereich der Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik sowie bei der Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen soll durch eine großzügige internationale Schulden- und Kreditpolitik und verstärkte ausländische Direktinvestitionen abgegolten werden.

Die eigentliche Gefahr der Präsidentschaft Putins liegt in der zu erwartenden Verletzung demokratischer Normen und der Bürger- und Freiheitsrechte. Putin ist zwar kein entschiedener Gegner der Demokratie, aber er steht demokratischen Werten gleichgültig gegenüber, bereit, diese zu mißachten, wenn das Erreichen seiner Ziele dies erfordert.

Druck auf die Medien Anders als der kranke Jelzin wird Putin die exzessiven Rechte des Präsidentenamtes, die die rußländische Verfassung vorsieht, zu nützen wissen; eine Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten von vier auf sieben Jahre wird intensiv erwogen, über die Abschaffung der Direktwahl durch das Volk wird diskutiert. Durch die Schaffung der Präsidentenpartei "Einheit" kann eine gefügige Abstimmungsmehrheit in der Staatsduma sichergestellt werden.

Die Tätigkeit von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) wird stärkerer Kontrolle unterworfen, deren Arbeit behindert oder eingestellt werden. Regierungskritische Journalisten und Medien wurden bereits in den letzten Monaten verstärktem Druck ausgesetzt; die Aktionen gegen den unabhängigen Fernsehsender NTV, die Fälle Babizkij und Chinstein lassen erahnen, daß die Putinsche Staatsmacht hart gegen unabhängige Medien vorgehen wird.

In der Regionalpolitik droht Putin mit einer starken Rezentralisierung und der Beschneidung der regionalen Autonomie. Diskutiert wird die Abschaffung der Direktwahl der Regierungen in den Regionen; durch finanz-, steuer, transfer- und personalpolitische Maßnahmen wird das föderale Zentrum die Provinzen wieder enger an sich zu ketten versuchen.

Unter dem ehemaligen KGB-Offizier ist eine erneute Militarisierung der Gesellschaft zu erwarten: Neben der Wiedereinführung der obligatorischen Wehrkunde an den Schulen und der Einberufung von Reservisten zu militärischen Übungen wird dies in erhöhten staatlichen Verteidigungsausgaben deutlich. Stärker noch als die Stellung der Streitkräfte, wird die der Nachrichtendienste sein. Diskutiert wird über die Einführung einer direkt dem Präsidenten unterstellten "Koordinationsebene" aller Nachrichtendienste, in deren Zentrum der Inlandsgeheimdienst FSB stehen soll. Aus dem FSB hat Putin seine engsten Gefolgsleute rekrutiert.

Zu den Schlüsselfragen der kommenden Monate zählt, ob sich Putin aus den Fängen der oligarchischen Familie, der er seinen Aufstieg verdankt, befreien kann. Aufschluß darüber wird die Regierungsbildung geben, vor allem, wen Putin in das Amt des Ministerpräsidenten berufen wird. Wahrscheinlich ist eine Entwicklung, die den Oligarchen ihre wirtschaftliche Macht garantieren, aber ihren politischen Einfluß zurückdrängen wird.

Mehr ist von Putin, dem Wunschkind der rußländischen Plutokratie, nicht zu erwarten.

Der Autor ist Rußland- und Osteuropareferent des Österreichischen Instituts für Internationale Politik in Laxenburg/Wien.

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