Wladimir Putins zweite SOWJETUNION

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Die Separatisten in der Ostukraine festigen ihre Macht. Doch ohne Geld aus Moskau können sie ihre Versprechen vom sozialen Wohlstand für alle nicht einhalten.

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Die Separatisten in der Ostukraine festigen ihre Macht. Doch ohne Geld aus Moskau können sie ihre Versprechen vom sozialen Wohlstand für alle nicht einhalten.

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Falls nötig, würde Alexander Konstantinow zur Kalaschnikow greifen. Alexander wohnt mit seiner Frau Svetlana in einer Datsche im Osten von Donezk. In einem Schrebergarten baut das Ehepaar Gemüse an, Schäferhund Rischek bewacht das Grundstück. Im Sommer, erzählt Alexander, schlugen in der Nähe seines Hauses Granaten ein. Über die Fenster hat er deshalb Klebeband gezogen, damit das Glas bei einer Detonation nicht sofort zersplittert. In der Küche steht eine Bananenkiste mit Konserven, "falls wir für ein paar Tage in den Keller müssen", erklärt Alexander. Am Flughafen im Norden der Stadt steht der Feind, sagt der Mann mit dem Kurzhaarschnitt, und meint damit die ukrainische Armee.

"Sollte mein Haus zerstört werden, gehe ich zu den Separatisten", schwört Alexander. Wie er denken viele Donezker. Seit Monaten liefern sich Rebellen und Armee Gefechte um den Flughafen. Bei den Kämpfen sterben immer wieder Zivilisten. Vergangene Woche kamen zwei Schüler ums Leben, als Granaten neben einer Schule detonierten. Die Geschosse wurden höchst wahrscheinlich vom Flughafen abgefeuert, wo die Armee steht, vermutet die OSZE.

Sowjetnostalgie als Triebkraft

Die Separatisten verteufeln die angebliche "Junta" in Kiew und versprechen den Ostukrainern ein besseres Land - die "Volksrepublik Donezk". Auf Plakaten werben die Milizen mit Sicherheit, Arbeit, Bildung und einem "Staat ohne Oligarchen". Das weckt bei Älteren und Pensionisten Erinnerungen an die Sowjetunion, wo scheinbar alles besser war. "Wir waren abgesichert und es gab nicht diesen Bandenkapitalismus wie in der Ukraine", meint das Ehepaar Konstantinow. Überhaupt sei das Niveau in der Gesellschaft heute heruntergekommen, fügt Alexander hinzu. "Damals zählten noch Freundschaft und Familie, heute dreht sich alles nur ums Geld", findet er.

Donezk ist eine verhältnismäßig reiche Stadt. Stahl-und Energiekonzerne, die hauptsächlich dem Oligarchen Rinat Achmetow gehören, produzierten hier vor dem Bürgerkrieg. Hochhäuser und sauber gepflasterte Straßen künden vom wirtschaftlichen Erfolg. Der Fußballclub Schachtjor und die schicke Donbass-Arena waren der Stolz der Industriemetropole. Dass Donezk seinen Reichtum auch den Oligarchen zu verdanken hatte, spielt für Alexander Konstantinow keine Rolle. "Die Oligarchen haben das Volk bestohlen", schimpft er. Die Separatisten würden den Reichtum nun gerecht verteilen, hofft der 48-Jährige.

Anfang November ging das Ehepaar zu den Wahlen in der "Volksrepublik" und stimmte für Alexander Sachartschenko als "Premierminister". Sachartschenko war schon vorher "Staatsoberhaupt" und wurde dann auch mit 79 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Einen Gegenkandidaten gab es nicht. Auch bei der Wahl zum "Parlament", dem Volksrat, gab es keine Opposition. Zur Auswahl standen nur die gleichgeschalteten Parteien "Republik Donezk" und "Freier Donbass". Nicht einmal separatistische Bewegungen wie "Oplot" oder "Novorossija" durften an der Abstimmung teilnehmen. Mit den Wahlen wollen die Separatisten im Volk den Anschein von Legitimität erwecken. Aber sie dienen auch einem anderen Zweck: Sie sollen für Ordnung unter den Separatisten sorgen.

Denn aufseiten der Separatisten kämpfen höchst unterschiedliche, teils verfeindete Gruppen: Ukrainer, Russen, Kosaken sowie Freischärler aus dem Kaukasus. Auch die Bataillone, in denen sich prorussische Kämpfer zusammengeschlossen haben, sind zerstritten. "Zurzeit herrscht in den Kommandos komplette Anarchie", sagt der Kiewer Politologe Wadim Karasiow. Ein dem äußeren Anschein nach demokratisch gewählter Führer soll die bewaffneten Separatisten zusammenschweißen.

Passkontrollen an den Grenzen

Dass die Abstimmungen nichts mit Demokratie zu tun hatten, stört Alexander Konstantinow wenig. "Wir wollen nur von der Ukraine unabhängig sein", sagt der IT-Ingenieur. Er wünscht sich den Anschluss der Ostukraine an Russland. "Laut Pass bin ich noch Ukrainer, aber meine Nationalität ist russisch." Angeblich würde sich die Hälfte der Ostukrainer als Russen bezeichnen, behauptet Alexander. Auf den Einwand, dass sich in der russischsprachigen Stadt Charkow die Meisten zur Ukraine bekennen, antwortet er: "Das sind nur emotionale Äußerungen, die Leute werden doch vom Fernsehen beeinflusst."

Die Separatisten festigen ihre Macht. Vieles deutet darauf hin, dass mit den "Volksrepubliken Donezk und Luhansk" Defacto-Staaten entstehen. Auch die Regierung in Kiew schneidet die Separatistengebiete immer weiter ab. Demnächst will Kiew an den "Volksrepubliken" Passkontrollen einführen. Bisher verlangt die Armee nur Einsicht in die Pässe männlicher Reisender. Bald sollen alle Personen wie an einer Grenze kontrolliert werden, Ausländer sollen die Gebiete nur mit Sondererlaubnis betreten dürfen. Die Regierung gesteht damit ein, dass sie die Ostukraine in naher Zukunft nicht zurückerobern kann.

Bisher ist die Versorgung in Donezk intakt. Allerdings gibt es in der Stadt kein warmes Wasser. Alexander Konstantinow hat deshalb einen Warmwasserboiler installiert. Auch die Supermärkte sind voll, Cafés haben geöffnet und der Nahverkehr funktioniert. Dennoch hängen die "Volksrepubliken" am Tropf Russlands. Ohne Geld aus Moskau werden die Separatisten ihre Versprechen von sozialem Wohlstand nicht einhalten können. Kiew hat Sozialleistungen und Pensionen für die Bürger der "Volksrepubliken" gekappt. Nur Strom, Wasser und Gas wird weiterhin geliefert. Alexander Konstantinow ist dennoch nicht beunruhigt. "In der Sowjetunion lebten wir in Würde und so wollen wir auch in Zukunft leben", sagt er.

Ob es dem Ehepaar unter den Separatisten besser geht, als in der Ukraine, ist zweifelhaft. Die Rebellen nutzen die Sowjetnostalgie vieler Ostukrainer aus. Wahrmachen können sie ihre Versprechen nicht. Schulen und Kindergärten haben seit Monaten kein Geld mehr aus Kiew erhalten und Schulden in Höhe von umgerechnet vier Millionen US-Dollar angehäuft. Mit der Wirtschaft in Donezk sieht es ebenfalls düster aus. Ausländische Firmen machten dicht, die Fabriken von "Metinvest", dem größten Stahlkonzern der Region, stehen still. Und auch in der Donbass-Arena wird in naher Zukunft kein Fußballspiel mehr zu sehen sein.

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