Wo der Wein am schwersten ist

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Porto, das heißt ehrlicher Charme, guter Fußball und süßer Port

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Porto, das heißt ehrlicher Charme, guter Fußball und süßer Port

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Eng und steil führt das Gässchen empor. Es beginnt seinen Lauf am Fuß der gewaltigen Stahlbrücke "Ponte de Dom Luiz I.", es windet sich fort, gesäumt von wehender Wäsche und kläffenden Hunden und mündet schließlich, hoch oben am granitenen Altstadtfelsen, mit quälenden Stufen in den Platz vor der Kathedrale. Sehr bald wird klar: Diese Stadt ist nichts für Bustouristen, auch nichts für Menschen mit schwacher Kondition - oder Aversion gegen Fisch.

Porto, die Stadt am Douro kurz vor seiner Mündung in den Atlantik, war und ist die Stadt der Arbeiter und Kaufleute, die ewige Zweite hinter Lissabon. Doch man weint dem Prunk keine Träne nach, man wollte es so: Anders als in der portugiesischen Hauptstadt hatten hier seit jeher die bürgerlichen Kaufleute das Sagen - und der Adel samt König bis ins 17. Jahrhundert Niederlassungsverbot. Wozu hohe Herren und Monarchen, wo doch Fleiß und Genügsamkeit der Stadt zu beachtlichem Wohlstand verhalfen? "In Lissabon wird geprasst, in Porto gearbeitet", lautet bis heute das Sprichwort. Und so wundert es wenig, dass die Wirtschaftskraft Portos mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern im Großraum beinahe an jene der 2,5 Millionen-Metropole Lissabon heranreicht. Porto, das bedeutet vor allem chronisches Verkehrschaos. Auf eine städtische Entdeckungsreise macht man sich also besser zu Fuß - und müht sich bald schon über Stock und Stein, vorbei Kirchen mit blau-weißen Kachel-Fronten (Azulejos), vorbei am Wahrzeichen Portos, dem 75 Meter hohen "Torre dos Clerigos". Nicht zu Unrecht hat die UNESCO die historische Altstadt zum Weltkulturerbe erklärt. Hier tut sich ein Labyrinth an engen, hohen Gässchen auf, mit zahllosen Kneipen und Auslagen voll Spitzendeckchen oder baumelnden Schweinehälften. Auch die alte Straßenbahn prägt das Stadtbild von "Oporto", wie es die Portugiesen nennen. Ächzend und mit knarrendem Bretterboden schleppt sich die alte "Electrico Nr. 18" quer durch die Altstadtviertel entlang des Douro Richtung Meer. Von hier bietet sich ein imposanter Blick auf den Atlantik und den zweitgrößten Industriehafen Portugals.

Das Meer - es machte dieses Land am Rand Europas einst zur Weltmacht: Portugiesische Seefahrer umsegelten die Südspitze Afrikas (1487/88), entdeckten Indien (Vasco da Gama 1498), überquerten den Atlantik bis nach Brasilien (1500) und umschifften schließlich die ganze Welt (Ferdinand Magellan 1519/20). Diesem Land der Entdecker und Seefahrer verlieh die Stadt ihren Namen: Nach den römischen Siedlungen "Portus" am linken und "Cale" am rechten Douro-Ufer benannten die Mauren das Land einst "Portucale".

Süßes Gold Seit nunmehr 300 Jahren siedeln jenseits des Douro, in "Vila Nova de Gaia", zahllose Kellereien des schwersten aller Weine: des Port. Namen wie "Sandeman" und "Grahams" bürgen nicht nur für die Qualität der Tropfen, sondern zeugen auch vom Naheverhältnis der Stadt zu England, von dem sich einst der König Beistand gegen das feindliche Kastilien erhoffte. Nicht zuletzt deshalb besaßen britische Händler lange Zeit das Monopol im Portweinhandel. Der Reiz des Weins liegt nicht nur im Alkoholgehalt von stolzen 20 Prozent, sondern auch in einer wohlbekannten Silhouette: dem schwarzen "Don". In einen Studentenumhang gehüllt und mit breitkrempigem Hut prostet er schemenhaft dem Betrachter zu.

So geheimnisvoll wie der schwarze Mann auf den Flaschen von "Sandeman" ist auch ihr flüssiges Innenleben. Seit Jahrhunderten wird der junge Wein vom sonnenverwöhnten Douro-Tal in schmalen Transportbooten, den "Barcos Rabelos", nach Porto gebracht. Seine süße Note erhält das Elixier durch einen simplen Winzerkniff: "Durch die Zugabe von Weingeist wird die Gärung unterbrochen", erklärt uns ein weiblicher "Don" die Alchimie des Port und führt uns weiter durch das dunkle Fässer-Arsenal. Ob "White Port", "Ruby" oder bis zu 50 Jahre alter "Tawny": Der Wein schmeckt nicht nur zum Dessert - freilich immer nur in Maßen. Drei kleine Gläschen reichen zum Beweis.

Doch Porto, gemeinsam mit Rotterdam "Europäische Kulturhauptstadt 2001", hat mehr zu bieten als Arbeit, Alkohol und die Fußballstars des "FC Porto". Am "Cais da Ribeira", dem alten Flusshafen, verführen die Fischrestaurants zu kulinarischen Genüssen. Hier wird die beliebte "caldo verde" aufgetischt, eine sämige Kartoffel-Kohlsuppe, und danach "Bacalhau" in allen Varianten - Stockfisch gegrillt, gebacken oder in der Suppe. Allüberall auch süße Sünden: kleine Törtchen neben "Nonnenbäckchen", "Himmelsspeck" neben Cremeschnitten - höher als jedes Kiefergelenk erlaubt. Doch böse Zungen meinen, stärker als zur Lebenslust sei der Drang der Portugiesen zur Melancholie - zumindest seit dem Verlust des einstigen Kolonialreichs und dem folgenden Absturz in die vergleichsweise Bedeutungslosigkeit. "Saudade" nennt sich die Weltschmerzstimmung, die sich im Lamento des "Fado" (vom lateinischen fatum - Schicksal) am vortrefflichsten entlädt.

So bietet manch gehobenes Lokal noch heute "Fado" zum Diner. Der genaue Inhalt der Wehmutsbekundung lässt sich für Touristen freilich nur erahnen: Selbst Kennern anderer romanischer Sprachen bleibt das nasale Portugiesisch - Muttersprache von immerhin 140 Millionen Menschen - hartnäckig verschlossen. Was hilft, ist Mimik-Studium. Auch "Mama", die Chefin der kleinen Frühstückspension, pfeift auf Verständlichkeit und pocht verstärkt auf Herzlichkeit: Allmorgendlich ein Redeschwall samt "bom dia", allabendlich das gleiche Spiel. Spätestens vor dem Fernsehgerät im Stiegenhaus herrscht jedoch Einverständnis über alle Sprachbarrieren hinweg ... denn heute ist Fußball.

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