Wo ein Völkermörder als Sieger gilt

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Zum Helden verklärt

Auch in Serbien wird Ratko Mladić als Held verehrt hier mittels Graffiti in Belgrad. Rechts im Bild: Bosnische Serben (oben) und Verwandte bosniakischer Srebrenica-Opfer (unten) verfolgen den Den Haager Urteilsspruch über Mladi´c live im Fernsehen.

Ratko Mladić

Der bosnische Serbe war von 1992 bis 1996 Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Republika Srpska. Im November wurde er wegen Völkermordes verurteilt.

In Gacko scheint niemand Ratko Mladi ´c für einen Kriegsverbrecher zu halten. Kommt man in das kleine Städtchen, steht man schnell vor einem Haus, auf dem das Konterfei des Generals prangt - auf mehreren Metern.

"Mladić hat uns vor den Türken verteidigt", sagt eine 50-jährige Frau, die mit Einkaufstüten aus dem kleinen Laden in dem Haus mit dem Mladi´c-Mural kommt. "Türke" ist eine unter bosnischen Serben verbreitete abwertende Bezeichnung für bosnische Muslime, also jene Bevölkerungsgruppe, die Mladićs Einheiten systematisch töteten. Dass Mladi´c ein Kriegsverbrecher sein soll, kann die Frau nicht nachvollziehen: "Wir wurden angegriffen und er hat uns verteidigt", sagt sie.

Zu Kampfhandlungen, vor denen die Serben hätten verteidigt werden müssen, kam es in dem Städtchen aber gar nicht. Trotzdem wurde fast die gesamte nichtserbische Bevölkerung von dort vertrieben. Mladi´c soll sich auf seiner 14 Jahre dauernden Flucht zeitweise hier, rund 90 Kilometer von seinem Heimatort Bozanovi´ci entfernt, aufgehalten haben, als er einer der meistgesuchten Männer der Welt war.

Drei Versionen der Geschichte

Dafür sprechen Augenzeugenberichte, die von den bosnischen Behörden als glaubwürdig eingeschätzt werden, sowie das Verhalten einiger von Mladi´cs Verwandten, die zeitweise jeden Telefonkontakt vermieden. Die Passanten vor dem Mural sind geteilter Meinung, ob sich Mladi´c hier tatsächlich versteckt hielt. Sie machen aber keinen Hehl daraus, dass sie stolz darauf wären, dem verurteilten Kriegsverbrecher Unterschlupf zu gewähren.

Unweit des Murals sitzen drei Männer in einem Café, ebenfalls um die 50. Auch sie betonen, sich nur verteidigt zu haben. Der Wortführer der drei, mit einem prägnanten Ziegenbärtchen, sagt: "Es gibt in Bosnien-Herzegowina drei verschiedene Versionen der Geschichte. Für uns ist Mladi´c ein Held und für die anderen ein Verbrecher. Genauso wie wir die anderen Generäle als Verbrecher sehen, die von Muslimen und Kroaten als Helden gefeiert werden."

Vor dem Krieg lebten in Gacko genauso viele Serben wie Bosniaken. Heute gibt es in der Stadt fast keine Bosniaken mehr. Eigentlich sieht der Friedensvertrag von Dayton vor, dass Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren dürfen, doch die regierenden Nationalisten in den serbisch dominierten Teilen Bosnien-Herzegowinas tun alles, um das zu verhindern. Über 20 Jahre nach dem Ende des Krieges haben sich die meisten Vertriebenen woanders ein Leben aufgebaut und werden nicht mehr in ihre alten Heimatorte zurückkehren. Die "ethnischen Säuberungen", für die Ratko Mladi´c verurteilt wurde, haben bis heute Bestand.

Um zu verstehen, wie Mladi´c sich der Justiz über 14 Jahre lang entziehen konnte, muss man auf die andere Seite der Drina, nach Serbien, blicken. Als die Nato 1997 begann, aktiv nach Kriegsverbrechern zu suchen, ging Mladi´c nach Serbien, wo er von dem Milosevic-Regime protegiert wurde. Eine Entourage von einem Dutzend Bodyguards, einem persönlichen Chauffeur, einem Koch und sogar einem Kellner wurde für den Mann zur Verfügung gestellt, der 8000 Menschen in Srebrenica ermorden und Sarajevo fast vier Jahre lang belagern ließ.

"Die Passanten vor dem Mladi´c-Konterfei machen keinen Hehl daraus, dass sie stolz darauf wären, dem verurteilten Kriegsverbrecher Unterschlupf zu gewähren."

Seilschaften im Geheimdienst

Im Oktober 2000 gingen dann Hundertausende Serben auf die Straße und fegten das Milosevic-Regime hinfort, das den Balkan für fast ein Jahrzehnt in ein Schlachtfeld verwandelt hatte. Aus demokratischen Wahlen ging der Hoffnungsträger Zoran Ɖjinđi´c als Premierminister hervor, der versprach, mit dem Kriegsverbrechertribunal zusammenzuarbeiten und der selbst Slobodan Milosevic an Den Haag ausliefern ließ.

Doch bei Militär und Geheimdienst hatten noch die alten Kader das Sagen -und die schützten die meistgesuchten serbischen Kriegsverbrecher Ratko Mladi´c und Radovan Karadzic. Ɖjinđi´cs Versuche, gegen die engen Seilschaften aus Geheimdienst, organisiertem Verbrechen, Militär und Paramilitärs vorzugehen, wurden ihm letztlich zum Verhängnis. Am 12. März 2003 wurde er, mitten im Belgrader Regierungsviertel, von einem Scharfschützen durch Schüsse in den Bauch und Rücken ermordet.

Mladić konnte sich weiterhin verstecken, doch so komfortabel wie in den ersten Jahren nach dem Krieg sollte sein Leben nie wieder werden. Serbien strebte nun in die EU und die forderte die Auslieferung von Mladić. Die Flucht des "Schlächters von Srebrenica" fand im Mai 2011 ein Ende, als er in einem schlechten Gesundheitszustand im nordserbischen Dorf Lazarevo gefasst wurde.

Ratko Mladić wurde zu lebenslanger Haft verurteilt und wird im Gefängnis sterben, doch sein Erbe lebt weiter: Dieses Erbe ist die Republika Srpska, ein Staat im Staate, der 49 Prozent des Territoriums Bosnien-Herzegowinas ausmacht. In weiten Teilen des Teilstaates gab es vor dem Bosnienkrieg keine serbische Bevölkerungsmehrheit. Sie entstand erst durch systematische Vertreibungen, Massaker und den Genozid von Srebrenica, für die Ratko Mladi´c nun schuldig gesprochen wurde.

Auch für den amtierenden Präsidenten des serbischen Teilstaates ist Ratko Mladi´c kein Kriegsverbrecher. Noch am Tag vor der Urteilsverkündung sagte Milorad Dodik im staatlichen Fernsehen: "Ratko Mladi´c hat professionell und patriotisch seine Pflicht getan. Für die Serben wird er eine Legende bleiben."

Mladić-T-Shirts für sieben Euro

Eine Fahrt durch die Republika Srpska ist eine Reise durch die Leugnung der schlimmsten Kriegsverbrechen auf europäischem Boden seit Ende des zweiten Weltkriegs. In Banja Luka, der Hauptstadt des Parastaates, kann man für sieben Euro Mladi´c-T-Shirts kaufen. Sie hängen neben Shirts mit Putins Konterfei und serbischen Nazikollaborateuren. Was dort nicht hängt, ist die Flagge Bosnien-Herzegowinas.

Als Ratko Mladić im Juli 1995 in Srebrenica einmarschierte, sagte er: "Ich schenke diese Stadt dem serbischen Volk." Das hat er getan: Srebrenica gehört heute zur Republika Srpska. Obwohl Serben dort mit den Hinterbliebenen der Opfer zusammenleben, wollen die meisten nichts vom Genozid von Srebrenica wissen. Für viele bosnische Serben ist Mladić bis heute ein Held.

Der Völkermord und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, für die Ratko Mladić nun verurteilt wurde, werden das Zusammenleben von Bosniaken, Serben und Kroaten auf Jahrzehnte erschweren: Die Republika Srpska wird sich nicht in den bosnischen Gesamtstaat integrieren. Der Großteil der Vertriebenen wird nicht mehr zurückkehren. Mladi´c hat die meisten seiner politischen Ziele erreicht.

Als Radovan Karadzic vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verurteilt wurde, hat die Regierung der Republika Srpska ein Studentenwohnheim in Pale nach ihmbenannt. Es sollte also niemanden überraschen, wenn die bosnischen Serben nun öffentliche Gebäude in Gacko und anderen Städten nach Ratko Mladić benennen.

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