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Wohlstandsbudget

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Wir sind wieder einmal soweit. Vor den Kulissen und hinter den Kulissen wird mit Erbitterung und beachtlicher Routine darum gekämpft, wem nächstes Jahr ein größeres Stück, vom Kuchen des Staatshaushaltes zugeteilt . werden soll. Nachdem aber die poJiF tische Konstellation in Österreich von vornherein alle Versuche, sich ein größeres Stück abzuschneiden, zum Scheitern verurteilt und man schließlich und endlich nicht mit „leeren Händen“ vom Budgetfeldzug nach Hause kommen kann, ist die Lösung klar: Der Kuchen wird vergrößert, und jeder hat gewonnen. So einfach ist das.

Aber zunächst einmal, abgesehen vom skurrilen ökonomischen Gehalt, der budgetpolitische Äußerungen vielfach auszeichnet, gibt das jährlich wiederkehrende Gefeilsche um den Staatshaushalt des nächsten Jahres den Blick frei in die Abgründe und Abwege der politischen Willensbildung in Österreich. Mag sein, daß es anderswo ebenso zugeht, aber das wäre nichts weniger als eine Beruhigung.

Die Gefährlichkeit der weltpolitischen Krisenherde wächst, Krieg und Bürgerkrieg gehören wieder zur Tagesordnung, und wir leben in Österreich bislang durch Zufall oder glückliche Fügung auf einer Insel des Friedens.

Aber wie labil ist unsere innerpolitische Ordnung, wie klein ist das gemeinsame Fundament, auf dem die österreichische Demokratie ruht. Wie wenig tief ist demokratisches Denken im Bewußtsein der handelnden Menschen verankert.

In vielen Bereichen des politischen Lebens einer Demokratie gibt es keine einhellig akzeptierten politischen Zielsetzungen. Diese Gegensätze treten auch zutage und haben auch zutage zu treten. Daher gehört der Ausgleich von Zielkonflikten zum Wesen der demokratischen Willensbildung, und der Staatshaushalt ist, wenn man will, der zahlenmäßige Niederschlag dieses Ausgleiches der Zielkonflikte für einen bestimmten Zeitraum. An der Art, wie dieser Ausgleich zustande kommt, läßt sich erkennen, wie es um die Demokratie bestellt ist. wie breit oder wie schmal die gemeinsame Plattform ist und wer Vorrang hat, die Gesamtverantwortung oder der Gruppenegoismus.

Obwohl in Österreich bisher immer wieder ein „hinkender Ausgleich“ und damit ein Budget zustande gekommen ist, läßt sich der Eindruck nicht wegdisputieren, daß die Einigung lediglich taktischer und nicht demokratischer Natur gewesen ist, daß Zentrifugalkräfte am Werk sind, die auf eine günstige Stunde warten, um das Sv- stem nach ihren Vorstellungen zu ändern. Es gibt aber auch Kräfte, für die der Staat nichts anderes als ein Krämerladen ist, in dem man für eine kleine Leistung eine große Gegenleistung erhält. Solche Kräfte wirken ‘zerstörend und machen das demokratische System instabil. Das sollte sich jeder Österreicher vor Augen halten, denn außer verschwindenden Minder

Aber worum geht es wirtschaftlich bei diesem Staatshaushalt 1962? Was hat das Budget überhaupt für eine wirtschaftspolitische Funktion? Entgegen häufig zu hörenden atavistischen Behauptungen im Zuge der budget- politischen Diskussion wird man wohl zur Kenntnis nehmen müssen, daß die Thesen der klassischen Finanzwissenschaft mit den modernen wirtschafts-

politischen Postulaten des Wirtschaftswachstums, der Vollbeschäftigung und der Geldwertstabilität nicht in Einklang zu bringen sind. Der Staatshaushalt ist das wichtigste Instrument, er kann seine Funktionen aber nur dann erfüllen, wenn man sich über die ökonomischen Zusammenhänge im klaren ist und die hinter den wirt

Im wesentlichen hat das Budget die wirtschaftspolitische Aufgabe, die Konjunkturschwankungen und das Wirtschaftswachstum zu sichern. Das ist nur möglich mit einer bewußt auf diese Ziele gerichteten Finanzpolitik. Jeder Versuch, so etwas wie eine neutrale Budget- und Finanzpolitik zu treiben, ist heute sinnlos und kann nur dazu führen, daß die finanzpolitische und damit die gesellschafts-

politische Initiative verlorengeht.

Aber die Steuerungsfunktion des Staatshaushaltes erstreckt sich nicht nur auf Zeiten einer schwächeren Konjunktur, sondern sie ist mindestens ebenso notwendig in Zeiten einer Hochkonjunktur. Freilich fällt es dem Politiker nicht leicht, gerade in einer Hochkonjunktur zu sagen, daß nun der Staatshaushalt dämpfend wirken und daher dieses oder jenes Projekt zurückgestellt werden muß. Aber in einer Volkswirtschaft, deren Produktionskapazitäten ausgelastet sind, deren Arbeitskräftepotential ausgeschöpft ist, bringt ein expansiver

Sicherlich ist es möglich, auch in Boomzeiten die Politik eines ständig defizitären Staatshaushaltes ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Stabilität zu treiben, aber dann kommt die Wirtschaftspolitik in ein eminent ordnungspolitisches Fahrwasser, dann müssen private Vorhaben bewußt ausgeschaltet werden, dann muß der Einfluß des Staates bewußt und forciert ausgeweitet werden, denn die realen Möglichkeiten einer Volkswirtschaft können nicht überschritten werden.

Damit sind wir bei der österreichischen Situation angelangt. In dem Bemühen, in Österreich eine konjunkturgerechte Finanzpolitik zu treiben und die vom Staatshaushalt ausgehenden Auftriebstendenzen abzuschwächen, hat Finanzminister Dr. Klaus für 1962 mindestens einen ausgeglichenen Staatshaushalt gefordert. Es ist sicher nicht anzunehmen, daß dies einen Versuch bedeutet, zur Politik eines „neutralen Budgets“, eines ständigen jährlichen Budgetausgleiches, zurückzukehren, aus dem einfachen Grund, weil es heutzutage keine neutrale Budgetpolitik mehr gibt, und weiter, weil der ausgeglichene Staatshaushalt einen Verzicht auf eine konjunkturgerechte Budgetpolitik bedeuten würde. Es sei denn, man geht von der pessimistischen Annahme aus, daß jeder Versuch, vor allem in einer Hochkonjunktur, eine konjunkturgerechte Finanzpolitik zu treiben ohnedies sinnlos sei, weil die politischen Kräfte, die eine Expansion des Staatshaushaltes verlangen, viel zu stark sind, als daß ihnen Halt geboten werden könnte. Der Rückzug auf die Position des ausgeglichenen Staatshaushaltes wäre eben das geringste Übel. Eine solche Verteidigungsposition mag zwar aus politisch-taktischen Gründen einige Zeit durchzuhalten sein, auf die Dauer aber ist sie unhaltbar. Denn eines darf nicht übersehen werden: Es ist zwar wünschenswert, daß politische Macht und Sachverstand einander nicht ausschließen, es wäre aber, wenn man von der gegebenen Situation ausgeht, irreal, diesen Idealzustand gewissermaßen als Konstante in die politische Gleichung einzusetzen. Daher muß der Rückzug auf die ökonomisch anfechtbare Position des „ausgeglichenen Staatshaushaltes“ klar und deutlich als Rückzug auf die Position des kleinsten Übels bezeichnet werden. Wenn der Finanzminister für 1962 um einen ausgeglichenen oder wenig defizitären Staatshaushalt gegen Angriffe von allen Seiten kämpft, dann tut er es wahrscheinlich nur, weil vorderhand etwas Besseres nicht zu erreichen ist. Viele seiner Äußerungen deuten darauf hin.

Es ist daher höchste Zeit, daß die Öffentlichkeit zur Kenntnis nimmt, worum es geht: nämlich schlicht und einfach darum, ob es in Österreich möglich ist, eine den modernen Erkenntnissen der Finanzwissenschaften entsprechende Finanzpolitik zu treiben oder nicht. Wie die Dinge jetzt liegen, stehen die Chancen schlecht. Das Rezept seit Jahren lautet: Mehrausgaben und Steuersenkungen, und zwar hohe Mehrausgaben und beachtliche Steuersenkungen, Eindämmung des Staatseinflusses, gleichzeitig höhere Subventionen und dergleichen mehr. Ökonomische Zusammenhänge werden kaum beachtet. Was für das 19. Jahrhundert billig war, ist auch für uns noch recht. Das kann einige Jahre gutgehen, aber einmal kommt der Punkt, wo eine derartige Politik versagen muß. Daher hat der Kampf des Finanzministers um seine Rückzugsposition „wirtschaftlich ausgeglichenes Budget“ eine viel tiefere Bedeutung, als vielleicht angenommen wird.

Wir leben in einem Boom, und wir haben bereits wieder etwas zu verlieren. Alles, was wir haben und was wir erreichen können, ist aber gefährdet, wenn nicht endlich der Sachverstand über den Gruppenegoismus die Oberhand behält. Es gibt Prozesse, die werden ab einem gewissen Zustand irreversibel, das gilt es zu beachten. In der heutigen Situation mehr denn je. Noch ist es Zeit, das Verantwortungsbewußtsein und den Sachverstand über alles andere zu stellen.

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