Wer noch vor acht Wochen gemeint hätte, Angela Merkel sei die unbestrittene Herrin Europas, wenn nicht sogar der Welt, jedenfalls aber die wichtigste Frau des Planeten, würde heute wohl schmunzeln über die Kurzlebigkeit von Rankings und großen Worten. Seit Wochen braute sich über der ehemals unantastbaren deutschen Kanzlerin ein Sturm zusammen, der sich just auf einem Parteitag entlud, der eigentlich ihre 10-jährige Kanzlerschaft hätte feiern sollen. Ein Intimfeind wie Horst Seehofer von der CSU kämpft eben mit harten Bandagen und er bindet sie umso härter, je angeschlagener der Gegner scheint.
Die Kanzlerin verließ also brüskiert den Parteitag, gezwungen durch den Affront des Gegners, der ihr durch die Blume die Gefolgschaft aufgekündigt hatte. Zehn Jahre Kanzlerin und dann so etwas? Vielleicht hat Merkel die eigene Härte der früheren Jahre vergessen. Damals in den 90ern, als die Vertreterin der CDU in Ostdeutschland von Helmut Kohl entdeckt und gleich zu Ministerehren erhoben wurde. Wie sich diese Treue zum politischen Übervater in eine Selbstermächtigung wandelte, die sie in die Konkurrenz zu Kohl trieb. Als sie dann mit an Brutalität grenzender Energie den Altkanzler aus der CDU trieb, mit einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in der sie den "ewigen Kanzler", oder wie sie ihn betitelte "das alte Schlachtross" Kohl, aus der Politik komplimentierte. Kohl, damals schwer angeschlagen durch einen Parteispendenskandal, wich -und ein paar Jahre später, 2005, saß Merkel selbst im Kanzlersessel.
Und sie war auch in diesen ersten Jahren als Kanzlerin nicht zimperlich beim Abseitsstellen ehemaliger Weggefährten und der Entsorgung innerparteilicher Konkurrenten. Der Ruf der Härte spiegelte sich in ihren gesellschaftspolitischen Aussagen: "Multikulti ist gescheitert", etwa. Und nun, ausgerechnet indem sie Menschlichkeit verlangt und verordnet in einer Politik, die Moral nur als rhetorische Floskel kennt. Indem sie meint, dass Deutschland die Flüchtlingslast aus Syrien notfalls auch allein stemmen könne. Indem sie das Menschen zu erklären versucht, die das nicht nachvollziehen können, aus guten oder weniger guten Gründen. Ausgerechnet jetzt zeigt sich, dass sich Merkel selbst zwar geändert haben mag, aber das politische Geschäft nicht. Es ist immer noch eine Frage der Macht, der Angst und der Konkurrenz. Und diese Prinzipien nehmen niemanden aus. Nicht den Bürgermeister und nicht die Kanzlerin.
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