Zeit der Furcht, Zeit der Rechten

Werbung
Werbung
Werbung

Knesset-Abgeordnete Einat Wilf erklärt in der „Süddeutschen Zeitung“, warum die neuen Machtverhältnisse in Israel wenig Grund zur Sorge geben.

Angesichts des Ergebnisses der israelischen Wahlen in der vergangenen Woche fassen sich viele Beobachter des Landes an den Kopf: Was ist denn da los? Wer hat gewonnen? Was wollen die Israelis? Und was bedeutet das alles – besonders für die Friedensaussichten? Wer die Antworten darauf finden will, der sollte die Parteiführer ignorieren und die Knesset betrachten. Wenn die Israelis Wahlkabinen betreten, wählen sie Parteien für die Knesset, das Parlament, und nichts anderes. Die Israelis wählen nicht ihren Premierminister, ganz egal, wie viele Reklametafeln von Livni oder Netanjahu den öffentlichen Raum verschandeln. Die Israelis wählen nicht einmal unmittelbar die Abgeordneten. Sie haben nur eine einzige Stimme, und das kleine, quadratische Stück Papier, das sie in den Umschlag stecken, enthält nur den Namen einer politischen Partei. Die Israelis wählen Parteien fürs Parlament, den Rest erledigen die Parteien. […]

Die Knesset ist sozusagen der oberste Souverän und auf nationaler Ebene die einzige gewählte Körperschaft des Staates Israel. Die Regierung herrscht nur, solange die Knesset ihre Herrschaft unterstützt. Sobald die Knesset ihre Unterstützung entzieht, zerkrümelt die Regierung. Das ist der Grund, weshalb im 62. Jahr des Staates Israel nun zwar die 18. Wahlperiode der Knesset beginnt (was bedeutet, das ihre Legislaturperioden im Schnitt dreieinhalb Jahre dauern; ein akzeptabler Zeitraum), dass dabei aber bereits die 33. Regierung zusammengeschustert werden muss. Mit anderen Worten: Pro Knesset gibt es fast zwei Regierungen.

Kritiker dieses politischen Systems mögen diese Instabilität der Regierungen hervorheben. Seine Unterstützer hingegen, wie ich, rühmen seine Flexibilität. Die Knesset ist immer wieder in der Lage, neue Regierungen zu bilden – und zwar jeweils gemäß veränderter Bedrohungen oder Gelegenheiten. Offenbart sich eine große Bedrohung, verbünden sich Parteien, die sonst miteinander rivalisieren – um das Land durch die Gefahr zu steuern. Offenbart sich eine große Gelegenheit, schließen sich befreundete Parteien zusammen, um Nutzen aus der neuen Realität zu ziehen. Manchmal zerbrechen Parteien auch, um sich veränderten Bedingungen anzupassen. Und wenn sich selbst dieses Maß an Flexibilität als ungenügend erweist, dann gibt es eben vorgezogene Wahlen, um die Zusammensetzung der Knesset zu ändern. […]

Was also erzählt uns die Knesset-Wahl? Sie erzählt uns, dass eine klare Mehrheit der Israelis weder an die Möglichkeit noch an die Notwendigkeit eines sofortigen Friedens glaubt. Und außerdem, dass eine beachtliche Minderheit sich weigert, die Hoffnung darauf aufzugeben – obwohl auch sie nicht glaubt, dass der Frieden schon bald ausbrechen wird. Darüber hinaus erzählt uns die Wahl, wie gespannt das Verhältnis zwischen den jüdischen und den arabischen Bürgern Israels allmählich wird. Eine wachsende Zahl israelischer Juden fürchtet die arabischen Bürger ebenso sehr wie die Palästinenser im Westjordanland und in Gaza, manchmal sogar noch mehr. Die Wahl erzählt uns, dass eine Zwei-Staaten-Lösung zutiefst ungewiss ist. Sie dürfte mehr und mehr davon abhängig werden, wie sich das Verhältnis von Juden und Arabern innerhalb Israels entwickelt. […]

Letztlich gibt es in der Politik nur zwei Kräfte: Hoffnung und Furcht. Wenn die Furcht größer ist als die Hoffnung, dann wird die Rechte gestärkt; das ist auf der ganzen Welt so. Wenn aber Hoffnung die Furcht übertrifft, dann kehrt die Linke zurück. Im Jahr 2006 votierte die Mehrheit der Israelis für Hoffnung, wenn auch vorsichtig. Im Jahr 2009 hingegen spürte die Mehrheit, dass die Hoffnung getrogen hatte, und sie wählte auf der Grundlage von Furcht. Aber sollte es Anlass geben, wieder hoffnungsvoll zu sein, dann wird die Knesset ihren Job tun. Und die Politik wird ihr folgen.

* Aus „Süddeutsche Zeitung“, 19. Februar 2009

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung