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Zum Wachstum verdammt?

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Als Dennis Meadows und seine Mitstreiter vor 25 Jahren „Die Grenzen des Wachstums” vorlegten, sahen sich die Einsichtigen wieder einmal im Besitz einer klaren Marschordnung. Was immer man gegen die Prognosen über den bevorstehenden Aufbrauch dieser oder jener Bessource vorbringen mochte: Die Unmöglichkeit dauernden exponen-tiellen Wachstums lag klar zutage. Woraus sich die Notwendigkeit ergab, es zu verringern, um es irgendwann zu beenden.

Damit war die Welt für die Guten wieder einmal einfach. Waren doch alle, die das Wachstum nicht beenden wollten oder konnten, die Bösen. Ebenso klar wie die Grenzen des Wachstums zeichnete sich die nächste Polarisierung ab.

Wer keine Argumente hat, igelt sich ein. In der Welt der Macher ist Wachstumskritik tabuiert. Der Sozialdemokratie ermöglichte nach dem Zweiten Weltkrieg der Rückzug auf die Verteilung von Zuwächsen den sozialpartnerschaftlichen Spagat: So konnten die Eigentumsverhältnisse festgeschrieben werden und die eigenen Eliten immer stärker an der ungleichen Verteilung der Einkommen partizipieren. Teile der Grünen gingen mit wehenden Fahnen ins Lager der Wachstumsfreunde über, wohl in der Hoffnung, dort auf grüneren Wiesen zu grasen.

Unterdessen wurde immer deutlicher, daß das Wachstum offenbar tiefere Gründe hat als Uneinsichtigkeit und politische Kalküle. Die Welt ist eben doch nicht so einfach. Die erste Frucht dieser Einsicht liegt nun auf dem Tisch: „Die Ursachen des Wachstums - Unsere Chancen zur Umkehr”, eine Sammlung von Aufsätzen von 15 Autoren unter der Herausgeberschaft von Rupert Riedl. Damit wird die Auseinandersetzung über das Wachstum auf die Ebene der wissenschaftlichen Analyse gehoben. Die Autoren des Bandes identifizieren sich mit der Evolutionären Erkenntnistheorie oder stehen ihr wenigstens wohlwollend gegenüber. Sie wurden zum harten Kern des Clubs of Vienna. Während sich der Club of Rome mit den Grenzen des Wachstums beschäftigt, will der Club of Vienna, in freundschaftlicher Arbeitsteilung mit dem Club of Rome, den Gründen, die zum Wachstum und zu dessen Fortsetzung treiben, auf den Grund gehen. (Siehe auch Seite 7)

Rupert Riedl hat recht, wenn er meint, in dieser Sammlung könne man mehr über die Gründe des Wachstums lesen als in irgendeiner anderen Quelle. Was freilich zeigt, daß die Kritiker des Wachstums die Wachstumsfaktoren bisher zu wenig beachteten. Die 15 Autoren ziehen mit ihren jeweiligen Methoden Such-gräben durch ein wenig bekanntes Terrain. Besser gesagt: Zwei Gruppen von Autoren. Um im Bild zu bleiben, kann man sagen, daß die einen von Norden nach Süden und die anderen von Osten nach Westen unterwegs sind und einander vermutlich demnächst treffen werden. Sie sehen das zu lösende Problem aus diametralen Winkeln, wobei ihre Ausschnitte einander ergänzen. Sie lassen sich locker um zwei Pole gruppieren.

Für Rupert Riedl und andere, der Evolutionären Erkenntnistheorie verpflichtete Autoren hat - stark vereinfacht ausgedrückt - der Mensch eine Welt errichtet, die seine kognitiven Möglichkeiten und damit zwangsweise auch die von ihm geschaffenen Entscheidungsmechanismen überfordert. Obwohl wir dieses hochvernetzte System selbst geschaffen haben, können wir es in seiner Komplexität im Grunde nicht verstehen. Riedl in seinem Aufsatz über „Das Umgehen mit komplexen Systemen”, wörtlich: „Was also können wir tun? Davon die Finger lassen? Das freilich, denn das tun fast alle. Aber es gehört sich nicht.” Aus diesem „Es gehört sich nicht” spricht gerade, weil es mit klassischer Einfachheit gesagt ist, ein starker moralischer Appell.

Wie ihm gerecht werden? Riedl zur furche: „Dahinter stehen natürlich mathematische Apparate, zum Beispiel, ob es in dem Phasenraum sehr vieler nichtlinearer Differentialgleichungen, mit dem wir es zu tun haben, Konstanten gibt, wie es die Fachleute ausdrücken, oder ob es fortgesetzt durcheinanderwurlt. Attrakto-ren nennen es die Mathematiker, ich bin kein Mathematiker. Attaktoren sind die Stellen, wo man eingreifen könnte. Es geht darum, diese verläßlich herauszufinden.”

Am anderen Pol finden wir beispielsweise den Ökonomen Mathias Binswanger, Sohn von Hans Christoph Binswanger, auf den der ursprüngliche, von verschiedenen Seiten modifizierte Vorschlag einer Energiebesteuerung zurückgeht. Mathias Binswanger gelangt zu dem Schluß, daß eine nicht wachsende Wirtschaft aus monetären Gründen „unter den gegebenen Bedingungen nicht möglich ist”, sieht aber in einer Energiesteuer „eine durchaus realistische Möglichkeit, um das System ,Geldwirtschaft' zu einer Adaption zu zwingen. Ob es dann funktioniert, kann man nur herausfinden, indem man handelt.”

Hier die Evolutionäre Erkenntnistheorie als theoretischer Wurf - und die Konsequenz, das überkomplex gewordene System, wenn schon nicht zu durchschauen, so doch, durch Erkenntnis der durch die Überkomplexität entstandenen apokalyptischen Potentiale, Problembewußtsein zu erzeugen. Und die Voraussetzungen für ein adäquates Handeln zu schaffen. Am anderen Pol die Instrumentarien der Wirtschaftswissenschaft, angewendet von Ökonomen, die sich nicht in den Diensfrder herrschenden Richtung stellen. Dazwischen viele interessante Schattierungen.

Ihr gemeinsamer Nenner ist der ethische Imperativ, die Übereinstimmung darin, was sich „nicht gehört”. 15 Wissenschaftler gaben ihre Statements ab. Heterogen, teilweise einander noch fremd. Das Buch bildet ja erst den Auftakt einer gemeinsamen Anstrengung. In seiner Heterogenität liegt die Chance, dem Problem des Wachstums zum ersten Mal interdisziplinär beizukommen. Auf die Synergieeffekte, um ein üblicherweise im Zusammenhang mit materiellem Wachstum und Gewinnmaximie-rung gebrauchtes Wort zu zitieren, darf man gespannt sein.

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