Umbau am Westbalkan - Neue Straßen in Gjirokastra stehen symbolisch für den Umbau und Neubau der Staaten am Westbalkan. Ziel ist der EU-Beitritt. Hindernisse sind zu wenig Rechtsstaatlichkeit und zu viel ­Korruption. - © Foto: Wolfgang Machreich

Zur EU-Baustelle am Westbalkan

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Vier Staaten, über 2400 Kilometer, viele Gespräche, unzählige Eindrücke – die FURCHE-Leserreise in den nahen, fremden Westbalkan machte diese weiße Landkarte um viele Farben bunter.

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Vier Staaten, über 2400 Kilometer, viele Gespräche, unzählige Eindrücke – die FURCHE-Leserreise in den nahen, fremden Westbalkan machte diese weiße Landkarte um viele Farben bunter.

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In Gjirokastra passte der Ton zum Bild: Die „Stadt der tausend Stufen“ empfing uns mit dem Singsang des Steineklopfens. Das Granitpflaster in dieser mit dem UNESCO-Welterbe-Siegel geadelten Stadt im Süden Albaniens wurde neu verlegt. Man sperrte einige Durchfahrten, Umwege waren nötig, Gepäck musste zum Hotel getragen statt gefahren werden …

Damit beschreiben Bild und Ton in Gjirokastra gleichzeitig sehr gut die Situation in ganz Albanien und ­darüber hinaus in den Staaten des Westbalkans. Denn wollte man die FURCHE-Leserreise im September zusammenfassen, dann ist der treffendste Begriff: Baustellenbesuch. Oder wie es der Vizepremier des Kosovo, Enver Hoxhaj, im Gespräch mit der Gruppe im Regierungsgebäude in Priština für sein Land beschrieb: „State Building, also Staatsaufbau, ist andernorts ein theoretisches Thema in politikwissenschaftlichen Seminaren, bei uns ist das tägliche Praxis, wir bauen unseren Staat neu auf.“ Kosovo, Mazedonien, Albanien und Montenegro, alle vier Länder auf der über 2400 Kilometer zählenden FURCHE-Reiseroute befinden sich in diesem Staatsbildungsprozess; sie starteten zwar an unterschiedlichen Ausgangspunkten, sind aber mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert und haben das gleiche Ziel: den EU-Beitritt.

In Gjirokastra passte das Bild nicht nur zur Gegenwart, sondern es bot auch einen Blick in die Vergangenheit: Rundgang durch das Geburtshaus von Albaniens Langzeit-Diktator Enver Hoxha, das heute ein ethnographisches Museum ist. Nur zwei Fotos verweisen auf den berüchtigten einstigen Bewohner dieses Hauses – dass ausgerechnet im Raum, in dem Hoxha geboren wurde, beim Besuch die Lampen ausfielen, wurde von Reiseteilnehmern treffend als Zeichen für die Dunkelheit gedeutet, die er bis zu seinem Tod 1985 und noch Jahre darüber hinaus über Land und Leute seines „europäischen Nordkoreas“ gebracht hatte.

Die Straße zum Geburtshaus heißt „Rruga Ismail Kadare“, benannt nach dem berühmtesten albanischen Schriftsteller, der seiner Heimatstadt mit dem Roman „Chronik in Stein“ ein literarisches Denkmal setzte: „Es war dies eine steile Stadt“, heißt es darin, „vielleicht die steilste auf der ganzen Welt; alle Gesetze der Architektur und des Städtebaus waren von ihr über den Haufen geworfen worden. (…) Es war dies­ wirklich eine sehr seltsame Stadt. Vieles war schwer zu glauben und vieles war wie im Traum.“

Kosovos schwere „Staatsgeburt“

Steil war schon die Fahrt nach Gjirokastra, vom mazedonischen Ohridsee kommend, die Bergstraßen hinauf und hinunter, vorbei an den zerbröselnden Mini-Bunkern aus der Zeit der Diktatur, die über das Land verteilt wie Eierschalen am Boden an eine schlüpfende Neugeburt denken ließen. „Newborn“ heißt auch das kosovarische Unabhängigkeitsdenkmal in der Hauptstadt Priština, bei dem die Gruppe nach dem Treffen mit dem Vizepremier­ vorbei schaute. Sieben drei Meter hohe Großbuchstaben aus vier Millimeter dicken Metallplatten bilden auf 24 Metern Länge das englische Wort für „Neugeborenes“. Am 17. Februar 2008, am Tag der Unabhängigkeitserklärung von Serbien, wurde das Monument auf dem Platz vor dem Jugend-, Kultur- und Sportpalast mit den Unterschriften von mehr als 150.000 Kosovarinnen und Kosovaren eingeweiht.

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