Zwei radikale Schwestern im Kampf um Gerechtigkeit

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Vor 61 Jahren bestieg die damals 21-jährige Margaretha Moises im französischen Hafen Le Havre ein Schiff, mit dem sie drei Wochen später in Cartagena an der kolumbianischen Karibikküste landete. Cartagena ist ein Juwel der südamerikanischen Kolonialarchitektur und als solches ein beliebtes Touristenziel. Jahrhundertelang war es der wichtigste Umschlagplatz Amerikas für die Einfuhr der Sklaven aus Afrika. Die dunkle Hautfarbe vieler Bewohnerinnen und Bewohner der kolumbianischen Karibikregion weist heute noch auf diese tragische Epoche der europäischen Geschichte hin.

Die junge Schwester Margaretha kam nach Cartagena, um Pädagogik zu studieren. Danach unterrichtete sie und engagierte sich in der Jugendarbeit. Wie bei vielen europäischen Geistlichen und Ordensleuten, die in Lateinamerika den "wahren" Glauben verbreiten wollten, führte der Zusammenstoß mit einer unerwarteten Wirklichkeit haarsträubender sozialer Ungerechtigkeit auch bei ihr bald zu einem radikalen Umdenken. Während manche spanische Priester in Kolumbien den Weg der Waffen, der Guerilla, wählten, schlugen die Salzburger Schwestern Moises den Weg der pädagogischen und entwicklungspolitischen Bewusstseinsbildung ein. "Bei der Missionsarbeit geht es nicht mehr um das Seelenheil, sondern um das Wohl des Menschen als Ganzes", umschreibt Schwester Margarethe ihren Lernprozess in Kolumbien. Und sie freut sich über den neuen Wind aus dem Vatikan: "Ich war immer schon eine Verfechterin der Befreiungstheologie, und heute spricht auch der neue Papst von Befreiung -das stimmt mich glücklich."

Hartnäckig und unbeugsam

Ein Jahr vor Margarethe war ihre 1928 geborene, leibliche und geistliche Schwester Maria Herlinde ebenfalls zur Atlantiküberquerung aufgebrochen. "Für mich war klar, dass ich mein Leben in den Dienst der Armen stellen möchte. Mit dem Eintritt in einen Missionsorden war sichergestellt, dass ich in ein Entwicklungsland komme", erklärte die Salzburger Bauerntochter später ihre Beweggründe für die weite Reise in die sogenannte Dritte Welt. Dass es ausgerechnet Kolumbien wurde, bestimmte nicht sie, sondern der Orden.

Es war allerdings kein Zufall, dass Maria Herlinde und Margaretha in der Missionsarbeit ihre Zukunft erblickten. Die sieben Kinder der Bauernfamilie Moises wuchsen in einem tief religiösen familiären Umfeld auf, das durch soziales Engagement dem Nationalsozialismus trotzte. Mit diesem Geist gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit, der im Hause Moises herrschte, waren die Position, die die beiden Schwestern in Kolumbien einnehmen sollten, so gut wie vorprogrammiert. Nicht nur, dass sie die soziale Ungleichheit im Lande schnell erkannten; ihrem analytischen Blick blieb auch die Ursache des Elends, in dem der Großteil der Bevölkerung lebte, nicht verborgen. Damals wie heute ist die ungerechte Landverteilung der Hauptgrund für die sozialen Spannungen und den bewaffneten Dauerkonflikt. Ihr Kampf um soziale Gerechtigkeit und ihre bedingungslose Parteinahme für die landlosen Bauernfamilien brachten die beiden Salzburger Schwestern bald in Konflikt mit dem Gesetz oder eher: mit den Grundbesitzern, auf deren Seite -damals ebenso wie heute -das Gesetz steht. Doch die kolumbianischen Behörden hatten die Hartnäckigkeit und Unbeugsamkeit der beiden Schwestern in ihrem Einsatz für die Armen unterschätzt.

Zeitsprung in den April 2014. In Pasacaballos, einer Ortschaft, die 20 km von Cartagena entfernt und durch eine Industriezone, die die Umwelt verpestet, mit der Großstadt verbunden ist, wird die "Schule Maria Herlinde" eröffnet. Mehrere Rundfunksender berichten über das Ereignis, der 'Universal', die größte Tageszeitung der Karibikregion, druckt auf der Titelseite ein Foto. 1965 hat Schwester Maria Herlinde eine Hilfsorganisation für die lokale Bevölkerung gegründet, die "Sozialchristliche Stiftung"(FUNSCRI), die heute ihren Namen trägt.

Für die Kinder der Schule ist an diesem Tag Feiertag, ebenso für die anwesenden Eltern, in der Mehrzahl Mütter. Die weißen Hemden der Buben und Mädchen stehen in einem malerischen Kontrast zu ihrer dunklen Hautfarbe. Bei den Kleinsten im Kindergarten ist die Aufregung groß, genau wie der Geräuschpegel.

Den Müttern der Kinder ist heute die Bedeutung einer guten Schul-und Berufsausbildung bewusst. Die bei der Feier ebenfalls anwesende Schwester Margarethe sieht darin einen wichtigen Fortschritt: "Früher ist die Schule den Eltern gleichgültig gewesen. Die Kinder wurden daheim zum Arbeiten benötigt. Jetzt quellen die Schulen über vor Kindern. Darin liegt die Hoffnung, die ich für dieses Land hege."

Die im November 2006 verstorbene Maria Herlinde wird heute in Pasacaballos wie eine Heilige verehrt. Unzählige Geschichten über ihren Kampf um soziale Gerechtigkeit, gegen die Grundbesitzer, ihre führende Rolle bei den Landbesetzungen, ihr karitatives Wirken ranken sich legendenhaft um ihr Leben.

Fremdwort: Ruhestand

Maria Herlinde hat sich nicht nur durch die Arbeit mit ihrer Stiftung in das Gedächtnis und die Dankbarkeit vieler Menschen festgeschrieben. Mit ihrer resoluten und oft auch unnachgiebigen Art, wenn es um das Wohl der Armen ging, hat sie zahlreiche, für die Bevölkerung von Pasacaballo wichtige Projekte initiiert, etwa den Bau einer Wasserleitung, die Errichtung von Gesundheitsposten und die Gründung einer technischen Fachschule, die heute von 2050 Schülerinnen und Schülern besucht wird! Gemäß dem Motto der Moises-Schwestern: Bildung ist Zukunft.

Nach dem Tod ihrer Schwester übernahm Margarethe die Leitung der Organisation, die bald darauf in "Stiftung Mutter Herlinde Moises" umbenannt wurde. Sie hatte 1975 bei den Jesuiten der renommierten Javeriana-Universität in Bogotá ihr Studium der Theologie und Erziehungswissenschaft abgeschlossen und sich in der Folge auf Bildungs-,Friedens- und Sozialarbeit spezialisiert. Ihr Tätigkeitsbereich erstreckte sich damals wie heute nicht nur auf Pasacaballos und Cartagena, sondern auch auf die Arbeit mit der marginalisierten Bevölkerung in den Großstädten des Landes sowie mit den indigenen Gemeinschaften im Amazonasgebiet.

Trotz ihres fortgeschrittenen Alters hat sich Schwester Margarethe ihren jugendlichen Elan und ihren befreiungstheologischen Geist ebenso erhalten wie ihren Pongauer Witz und Dialekt. Ihre Heimat und ihre zahlreichen Verwandten in Salzburg besucht sie immer wieder. Das Wort Ruhestand scheint ihr fremd zu sein; Ausdauer und Hartnäckigkeit dürften zum Familienerbe gehören. Ihr Urgroßvater, der beim Abbau des Tauerngoldes beschäftigt war, wurde im 19. Jahrhundert vom persischen Königshaus als Bergbaufachmann eingeladen. Er nahm die Einladung auch an -und ging zu Fuß in den Orient. Hin und zurück.

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