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Zwei Tabus

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Seit zehn Jahren haben die Argumente und die programmatischen Forderungen in der österreichischen Innenpolitik eine bedeutsame Wandlung erfahren, die sich im letzten Wahlkampf geradezu drastisch zeigte. Bis 1949 waren dagegen OeVP und SPOe irgendwie noch eine Fortsetzung der ihnen entsprechenden politischen Gruppen aus der Zeit der Ersten Republik.

Die angedeutete Wandlung zeigte sich vor allem durch die Einführung zweier Tabus in der österreichischen Politik. Eine magische Kraft, gepaart mit nüchterner wahlmathematischer Ueberlegung, schien die Parteien daran zu hindern, bestimmte weltanschauliche Fragen eindeutig und vor allem massenverständlich zu beführen. Die zwei Tabus sind die Frage des Verhältnisses der Parteien zur katholischen Kirche und zum Nationalliberalismus.

Eine nicht immer erklärliche Vorsicht, wenn nicht Aengstlichkeit (vornehm „Taktik“ genannt) ließ die drei nichtkommunistischen politischen Gruppen davon Abstand nehmen, in der Art, wie ihre Vorgänger in der Ersten Republik es noch getan hatten, zu Fragen von Kirche, Religiosität und christlicher Lebenshaltung Stellung zu nehmen. Man zog sich auf -die - staatsrechtliche Regelung der Beziehungen zurti Heiligen Stuhl (Konkordat) und aufi die Wiedergutmachung zurück, wobei in der Sache des Vermögensvertrages mit den Kirchen eine Einmütigkeit bestand, als ob es nie andere denn christliche Parteien in unserem Land gegeben hätte.

Die Kirche findet heute in den Parteien und in der Presse kaum eine offen ausgewiesene ernst zu nehmende Gegnerschaft. Alles, von der Industrie bis zum Altmarxisten, vermeidet peinlich, die Kirche als Kirche anzugreifen. Das tut man nur indirekt, indem man sich einen christlichen Sozialreformer heraüsholt und ihn hochnäsig als „Utopisten“ abtut, wobei man heute diesen Begriff als eine Umschreibung für einen liebenswürdigen Dummkopf verwendet. Wohl gibt es auch noch den Kampf gegen die Kirche als solche. Er spielt sich aber lautlos ab, in Aemtern etwa und in den Schulungskursen der Interessenvertretungen. Man sagt dann freilich nicht Kirche, meint sie aber. Offen sind alle politisch bedeutsamen Gruppen entweder betont neutral (FPOe), betont freundlich (SPOe) oder katholischen Argumenten gegenüber betont aufgeschlossen (OeVP).

Gleiches gilt für die Erscheinung des N a- t i o n a J1 i b e r a 1 i sm u s. Welche der drei heute im Parlam nt vertretenen Parteien hätte den Mut, noch dazu vor Wahlen (und das .ist allmählich alle drei Jahre), sich gegen den Nationalliberalismus zu erklären? Seit dem staatsbürgerlich unvertretbaren pauschalen Entzug des aktiven Wahlrechtes waren große Teile des nationalen Bürgertums als „Käuferschichte“ für die Parteien weitgehend ausgefallen. Ab 1949 konnte man die „Nationalen“ aber wieder haben. Daher wurden nun die Wahlargumente so formuliert, daß es den Nationalen schließlich ungemein schwer, fiel, sich zu entscheiden, um so mehr, als so etwas wie eine echte nationalliberale Partei, vergleichbar den Großdeutschen und dem Landbund, nicht mehr errichtet werden konnte, einfach deswegen, weil die Persönlichkeiten fehlten, die ausreichende Attraktionskraft für die Massen der Nationalen besessen hätten. Was an nationalliberalen Persönlichkeiten noch da war, erwies sich als politisch verbraucht. Nun werden seit zehn Jahren die Nationalen als „noch frei“ geführt und da, wo sie sich verkaufen, derart umworben, daß man jedem, der 1945 auf einer Registrierungsliste gestanden ist, heute nur gratulieren kann: es ist eine „wertvolle Legitimation“ wie nur

1938 der Nachweis der „Illegalität“. Widerstandskämpfer und solche, gegen die Widerstand geleistet wurde, stehen auf gleichen Mitglieds- und Kandidatenlisten, und niemand findet etwas daran.

So ist man heute nicht mehr anti-katholisch und anti-nationalliberal, sondern nur unverbindlich anti-bürgerlich, anti-sozialistisch Und anti-österreichisch. Bei diesen drei „Anfis“ geht es zudem nicht um staatsbürgerliche oder Weltanschauungsfragen (auch nicht beim letzten „Anti“), sondern eindeutig um wirtschaftliche Probleme, die man aber nicht gern als solche kennzeichnet, weil das unfein ist.

Was ist nun die Folge davon, daß alle drei politischen Parteien vorgeben, sie seien für bekennende Katholiken in gleicher Weise wie für Nationale wählbar?

Vor allem zeigt sich eine Vereinheitlichung in jenen Teilen der Parteikonzepte, die weltanschaulich von Belang sind. In Sache Weltanschauung wollen alle Parteien allen alles sein, wenn auch noch Unterschiede in den Formulierungen bestehen, die dem Kundigen einiges sagen. Der Durchschnittswähler ist aber kein „Kundiger“, sondern will mit einfachen Worten angesprochen werden, mit Bildchen und Spruchbändern. Um die Versprechungen ;lund Programme zu prüfen, muß man daher .heute mehr nach dem sehen, was nicht gesagt wird, aber an Problemen da ist. So legt sich also das große Schweigen über die elementaren, vor allem gesellschaftspolitischen Anliegen, die dem christlichen Sittengesetz entstammen und im Raum der Politik gelöst werden müßten. Noch mehr: So hat die OeVP nur sehr blasse Konturen eines Programms entworfen, um ja nicht irgendwo anzustoßen. Wie klar, trotz seiner zu knappen Fassung, war dagegen beispielsweise das christliclvsoziale Programm, wie es noch unter Ignaz Seipel 1926 beschlossen worden war. Trotz der unnützen Vereinfachungen enthielt etwa der Punkt IV dieses Programms in der Sache „Freie Wirtschaft“ mehr, als heute wortreiche Erklärungen auszusagen vermögen.

Eine weitere Folge , der Tabuierung gewisser Fragen in der Parteipolitik ist nun eine weitgehende Verwirrung beachtlicher Gruppen von gläubigen Katholiken und der Mehrheit der Deutschnationalen, wenn sie nicht aus Tradition meinen, ihren politischen Weg bis zum Lebensende vorgewiesen zu haben. Ein von Wahl zu Wahl wachsender Teil der Wähler glaubt jedenfalls, seine Efitscheidung jeweils neu fällen zu müssen; seit 1949 war es so bei den Nationalen, seit 1956 ist es — wenn auch in einem geringeren Umfang — bei den Katholiken ähnlich.

Dabei soll man nicht glauben, frühere politische Konzepte seien randvoll mit Glaubensthesen gewesen und die politischen Kämpfe hätten nur den Charakter von Glaubenskämpfen gehabt. Hinter vielen, bestens und sturzsicher mit weltanschaulichen Argumenten verpackten Forderungen standen auch früher handfeste wirtschaftliche Interessen. Da wir aber Parteigeschichte allzusehr als Ideengeschichte allein betreiben, übersehen wir zuweilen diese Dinge. Andererseits muß man die Offenheit begrüßen, mit der man heute „Interesse" sagt, wenn man Interesse meint. Gott sei Dank wird auch die HeiligebSchrrii-fgafet seltėtf-ziir Ddöfafing ?flfes Mankos an eigenen. Argumenten zitiert i

Bedenklich dagegen ist das fast völlige Ausschalten der weltanschaulichen Qualitäten des politischen Handelns. Zwischen der hysterischen Betonung der weltanschaulichen Dinge, einem oft unmenschlichen Entweder-Oder, und der offen zur Schau getragenen Apathie in Fragen der Weltanschauung liegt noch das weite Feld der Chancen, die Forderungen des Deka- logs auch in politische Formeln zu übersetzen.

Wenn nun die Parteien lediglich Wirtschaftsparteien sein wollen, und falls sie sich des

Jedenfalls tut man so, als ob es in Oesterreich kein 1934. kein 1938 und kein 1945 gegeben hätte. Andererseits erwies es sich aber gerade bei den Ereignissen, die mit den drei Jahreszahlen angedeutet sind, daß es die G laubig e n aller Riten waren, die zur Fahne standen, nicht jene Parteigänger, die lediglich durch den Hinweis auf materielle Vorteile gewonnen werden konnten. Diese — perfekte Alibisten — hatten bereits ihre unterschiedlichen Bescheinigungen oder die für solche Fälle abgezweigten Bestechungsgelder in der Tasche. Sie verließen rechtzeitig ohne Schmerz und bei Nacht die Stätten ihres bisherigen Wirkens. Am nächsten Morgen standen sie schon vor den Parteikanzleien der anderen Schlange, um sich eine niedrige Mitgliedsnummer zu sichern.' Was ihnen meist auch gelang, wenn sie zum Anmeldungsformular noch einiges dazulegten.

Eine Amerikanisierung unserer Politik hat ihre unleugbaren Vorteile. Wer erinnert sich nicht der unleidigen Verabsolutierung weltanschaulicher Gegensätze in Oesterreich, einer Zeit, in der unser Land in so viel Teilgesellschaften aufgegliedert war, als es Parteien gab? Trotzdem dürfen wir die zu weit gehende Vernachlässigung des Weltanschaulichen in der politisch en - -Di-s k u sį i o n nicht begrüß e if.0’ KäfhBlizismus und (deufežKer) 14a- tionalliberalismus (in allen seinen Spielarten) sind Wirklichkeit ,''Ilie urisefe Geschichte Bestimmt haben und sie heute noch nachdrücklich beeinflussen. Uebersieht man dies, kommt es unvermeidbar zu einer sich schon andeutenden Verlagerung der weltanschaulich-politischen Auseinandersetzungen auf die zweite Ebene der Politik, in das politische Vorfeld. Ob es aber gut ist, neben den offiziell errichteten Parteien noch Quasiparteien entstehen und die weltanschaulichen wie gesellschaftspolitischen Fragen ausschließlich jenseits des Parlaments und der Partei austragen zu lassen?

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