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Zwischen Boom und Depression

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Napoleon soll einmal ausgerufen haben: „Wir haben keine Literatur? — das ist die Schuld des Innenministers." Modifiziert könnte man sagen: „Wir haben keine Einsicht in die Zukunft der Wirtschaft? — das ist die Schuld der Nationalökonomen.“ Aber dann wäre es ebenso richtig, den Technikern anzukreiden, daß es kein Perpetuum mobile gibt.

Die Angst vor den katastrophalen Auswirkungen einer langanhaltenden Depression löst das Verlangen nach einer Prognose der künftigen Wirtschaftsentwicklung aus. Besonders in Zeiten einer labilen konjunkturellen Situation sind ökonomische Propheten gefragt. Wir wissen zwar, daß die Konjunkturschwankungen einander ähnlich sind, wir wissen aber auch, daß kein Zyklus einem anderen vollständig gleicht und oftmals neue, bislang unbekannte Erscheinungen auftreten können. Es ist daher nicht sehr wahrscheinlich, daß eine Formel gefunden wird, die man benützen könnte, um künftige Konjunkturzyklen zu berechnen. Weit vernünftiger hingegen scheint es, Instrumente zu entwickeln, mit deren Hilfe man Konjunkturschwankungen meistern und ein stetiges Wachstum der Wirtschaft sichern kann.

Im Jahre 1958 machte sich auch in Oesterreich im Gefolge der amerikanischen Depression eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums bemerkbar. Während der Gesamtindex der Industrieproduktion 1956 234,5 (1957 = 100) betrug, sich 1957 auf 247,8 erhöhte, wurde 1958 das Wachstum der industriellen Produktion langsamer, und der Index hielt im Monatsdurchschnitt 1958 bei 254,9. In den ersten Monaten des laufenden Jahres erreichte die Industrieproduktion etwa das Niveau der entsprechenden Monate des Jahres vorher. Die saisonale Belebung im Frühjahr dürfte, soweit man das schon jetzt überblicken kann, aber eine, verglichen mit dem Vorjahr, höhere Industrieproduktion mit sich gebracht haben. Besonders arg von der Krise betroffen wurden die Eisenhütten, deren Produktionsindex- 1957 404,9 betragen hatte, 1958 im Monatsdurchschnitt aber nur 395,9 ausmachte. Auch der Bergbau, die Magnesitindustrie und die Papiererzeugung konnten das Produktionsniveau nicht halten. In diesen Industriezweigen, die zumeist exportintensiv sind, ist noch keine einschneidende Besserung zu bemerken. Auch der Außenhandel schrumpfte beträchtlich.

Besonders günstig entwickelte sich im Frühjahr 1959 der Arbeitsmarkt. Mit lediglich 103.000 vorgemerkten Arbeitslosen und sofort verfügbaren Lehrstellensuchenden und rund 2,2 Millionen Beschäftigten wurde im April das günstigste Ergebnis seit Jahren erreicht. Allerdings ist noch abzuwarten, ob dieses bei einer eingehenden Analyse nicht viel von seinem Glanz verliert. Während nämlich 1958 der Gesamtbeschäftigtenstand im Jahresdurchschnitt gegenüber 1957 noch etwas zunahm, blieb der Beschäftigtenstand in der Industrie unverändert. Es wäre nun nicht gerade günstig, würde das Frühjahrsergebnis 1959 lediglich durch den Beschäftigtenzuwachs der Bauwirtschaft und vielleicht des Dienstleistungssektors verursacht worden sein, ohne daß die Industrie eine entsprechende Steigerung ihres Beschäftigtenstandes zu verzeichnen hätte.

Obwohl die zu den wichtigsten Konjunkturstützen • zählende Ausfuhr beträchtliche Einbußen erlitt, stieg 1958 noch das Volkseinkommen, zwar langsamer als in den Jahren vorher, aber immerhin noch von 98,5 Milliarden Schilling 1957 auf 104,3 Milliarden Schilling 1958. Damit konnte bewiesen werden, daß auch ein Staat wie Oesterreich, dessen starke Abhängigkeit vom Außenhandel notorisch ist, Möglichkeiten hat, Rezessionserscheinungen einzudämmen.

Die Schwankungen der Investitionen haben eine Schwankung des Volkseinkommens zur Folge. Sind die Investitionen niedrig, geht dies zumeist Hand in Hand mit starker Arbeitslosigkeit und Nichtausnützung der volkswirtschaftlich verfügbaren Produktionsfaktoren. Vollbeschäftigung kann nur gehalten werden, wenn die Voll- beschäftigungsersparnisse durch Investitionen ausgeglichen werden. Sinkt nun die Investitionsneigung der Unternehmungen, muß der Staat durch entsprechende wirtschaftspolitische Maßnahmen das Gleichcewichtsniveau zu erhalten trachten. In Oesterreich wurde dies ausschließlich mit Hilfe der Finanzpolitik über das Budget getan, während man die Geldpolitik gänzlich außer acht ließ. Es ist wohl richtig, daß finanzpolitische Maßnahmen in der Regel wirksamer sind als geldpolitische, aber ein Wirtschaftskurs, zu dessen Prinzipien die Eindämmung des Staatseinflusses auf die Wirtschaft gehört, hätte zumindest versuchen müssen, die private Investitionstätigkeit mit Hilfe geldpolitischer Maßnahmen zu beleben.

Der österreichische Bundeshaushalt schloß für das Rechnungsjahr 1958 mit einem Gesamtgebarungsabgang von 5,4 Milliarden Schilling. Der Unterschied des Gebarungserfolges gegenüber dem Bundesvoranschlag 1958 betrug 2,7 Milliarden Schilling. Aus dem Bundeshaushalt wurden 1958 etwa 4 Milliarden Schilling für Bruttoinvestitionen und rund 2,1 Milliarden Schilling für Investitionsförderung im Bereich der Wirtschaft ausgegeben. Hingegen war das Nettoergebnis der Eingänge des Bundes um neun Prozent oder rund 1,7 Milliarden Schilling geringer als im Voranschlag für das Jahr 1958, da die Einnahmen des Bundes unter der Stagnation litten und sich auch die Steuersenkungen auswirkten. Auch für 1959 ist ein beachtlicher Gesamtgebarungsabgang — rund 4 Milliarden Schilling — vorgesehen.

Kein Zweifel herrscht mehr darüber, daß eine antizyklische Budgetpolitik ein notwendiges Instrument zur Sicherung der Vollbeschäftigung ist. Nichts weniger als Einigkeit besteht in der Frage, wann man Gas geben und wann man bremsen soll, da es nicht möglich ist, einigermaßen exakte Voraussagen zu liefern. Abhilfe könnte hier nur ein „Konjunkturbudget" schaffen, das außerhalb des normalen Budgets erstellt wird und über dessen Einsatz oder Nichteinsatz von einem kleinen Gremium rasch entschieden werden müßte. Allerdings fehlen dafür die gesetzlichen Voraussetzungen. Sie müßten geschaffen werden, um die Konjunkturpolitik zweckentsprechend gestalten zu können.

Im Zusammenhang mit dem Budgetdefizit drängt sich die Frage der Verschuldung des Staates und auch nach den Grenzen der Staatsschuld auf. Die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit der Auslandsverschuldung soll im folgenden nicht erörtert werden.

Zum 31. Dezember 1958 ergab sich eine effektive Schuldverpflichtung Oesterreichs in Höhe von 15,7 Milliarden Schilling, um etwa 40 Prozent mehr als am 31. Dezember 1957. Für die Bedienung der Staatsschuld (Verzinsung und Tilgung) mußten 1958 rund 1,2 Milliarden Schilling aufgebracht werden. 1959 sind im Budget dafür rund 1,7 Milliarden Schilling vorgesehen. Die österreichische Staatsschuld ist, verglichen mit anderen Staaten, recht bescheiden. Auch die Zinsenlast ist, absolut gesehen, nicht bedeutend, wohl aber relativ. Die gesamte Staatsschuld betrug 1958 nur rund 15 Prozent des Volkseinkommens, daher ist es recht beachtlich, wenn die Bedienung dieser Schuld rund 1,2 Prozent des Volkseinkommens ausmacht. In anderen Staaten ist die Staatsschuld oftmals höher als das gesamte Volkseinkommen, die Bedienung der Staatsschuld erfordert aber zumeist nur Beträge, die zwischen zwei und sieben Prozent des Volkseinkommens liegen. Es wird wahrscheinlich notwendig sein, die österreichische Staatsschuld noch weiter zu vergrößern, allerdings wird man dann trachten müssen, die Konditionenpolitik zu ändern, da, nur um etwas zu nennen, die verteilungspolitischen Effekte der Staatsschuld unerwünschte Folgen zeitigen würden.

Dem Problem der zulässigen Höhe der Staatsschuld wird zumeist gefühlsbestimmt zu Leibe gegangen und ihm eine Bedeutung zugemessen, die es, verglichen mit anderen Fragen, gar nicht hat. Hier soll nur soviel gesagt werden, daß eine richtig geführte Staatsschuldpolitik sehr heilsame und wohltuende Wirkungen auf den Ablauf des Wirtschaftsprozesses hat. Allerdings muß beachtet werden, daß unter Umständen eine große Staatsschuld die Wirksamkeit der Währungspolitik stark beeinträchtigen kann. Sinnlos und bar jeden wirtschaftlichen Verständnisses ist die Ansicht, daß die Höhe der österreichischen Staatsschuld gefährlich und die Verschuldung nicht notwendig gewesen wäre.

Für die wirtschaftliche Zukunft Oesterreichs von entscheidender Bedeutung wird die Ent- wi.cJQyng der, e u r p ä i szc h q n Integra t i o n sein. Bekanntlich gehören die Haupthandelspartner Oesterreichs, die Bundesrepublik Deutschland und Italien, der EWG (Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft) an. Oesterreich kann seiner Neutralität wegen diesem Block der Montanunionstaaten kaum beitreten. Ein immerwährend neutraler Staat wird daher, wenn nicht alle seine Partner die gleiche Form der Neutralität beobachten, an Wirtschaftszusammenschlüssen nur teilnehmen können, wenn sie ihm seine Außenhandelsfreiheit im wesentlichen belassen und von ihnen keine seine wirtschaftliche Unabhängigkeit beeinträchtigenden Tendenzen ausgehen, so daß er sich im Falle eines Krieges ohne tiefgreifende Schädigung seiner Wirtschaft aus ihnen lösen kann. (K. Zemanek, Wirtschaftliche Neutralität, „Juristische Blätter", Heft 10 11 vom 30. Mai 1959, S. 251.)

In absehbarer Zeit wird die österreichische Wirtschaft, wenn es nicht doch gelingen sollte, die Freihandelszone zustande zu bringen, in zunehmendem Maße die diskriminierenden Wirkungen des Blocks der sechs Montanunionstaaten zu spüren bekommen. Der Plan einer kleinen Freihandelszone zusammen mit Großbritannien, der Schweiz und den skandinavischen Staaten wird für Oesterreich nur von geringer wirtschaftlicher Bedeutung sein, wenngleich vielleicht die politischen Auswirkungen auf die EWG nicht unterschätzt werden sollten.

Zusammenfassend gilt, daß in der österreichischen Wirtschaft, ebenso wie in den Wirtschaften der anderen westlichen Länder unzweifelhaft eine Belebung der wirtschaftlichen Tätigkeit festzustellen ist. Die Auftriebstendenzen halten den Stagnationstendenzen etwa die Waage. Sollte es neuerlich zu einer Abschwächung der wirtschaftlichen Tätigkeit kommen, dürfte das Budgetdefizit im Zusammenhang mit anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen ausreichen, sie für Oesterreich in erträglichen Grenzen zu halten. Sollte es zu einem starken Aufschwung kommen, müßten sicher auftretende inflationäre Tendenzen durch geldpolitische Maßnahmen ausgeglichen werden. Sollte es hingegen zu einer starken Depression kommen, wird es notwendig sein, sie auf internationaler Basis energisch zu bekämpfen. Dann wird es sich zeigen, wie weit eine Zusammenarbeit der westlichen Staaten auf wirtschaftlichem Gebiet möglich ist und wieviel aus der Vergangenheit gelernt wurde.

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