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Zwischen Bünde-Fliehkraft und Führungseffizienz

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Wenn der Sozialstaat funktionsfähig bleiben soll, dann darf er nicht mehr Leistungen anbieten, als er bezahlen kann.” Das sagte ÖVP-Obmann Karl Schleinzer auf dem Jubiläums-Parteitag 1975. Sieben Jahre vor Schleinzer hatte Finanzminister Stefan Koren mit seinem „Paukenschlag zur Wirtschaftspolitik” Maßnahmen zur Eindämmung des Budgetdefizits durch Ausgabenkürzungen eingeleitet, freilich auch Steuererhöhungen, damals jedoch im Kampf gegen den Preisauftrieb. Die Aufgaben wajren, wie man sieht, den heutigen sehr ähnlich. Die Probleme, Leistungen und Schwächen der Österreichischen Volkspartei werden in einem neuen Buch über die ÖVP seit 1945 ausführlich dargelegt, wobei nicht nur auf bedeutsame historische Vorgänge, sondern auch auf Grundsatzfragen von aktueller Bedeutung eingegangen wird.

Eine davon betrifft die Stellung der Bundesparteileitung gegenüber den Bünden und Landesorganisationen. Weil man die Bünde als die eigentlichen Säulen betrachtete, die nur ein gemeinsames Dach über sich haben, wurden mehrmals (schon seit Generalsekretär Hurdes 1945!) Versuche zur Reform unternommen, die aber wenig brachten. Parteiobmann Laus wollte 1964 die Bünde zu Arbeitsgemeinschaften „entmachten”, scheiterte aber. Der Einfluß der Bünde auf die Besetzung führender Posten in Partei und Regierung ist weiterhin stark, wobei heute die Teilorganisationen der Frauen und der Jugend vermehrtes Gewicht haben.

Einige Landesorganisationen haben sich immer wieder für die große Koalition eingesetzt, etwa jene Niederösterreichs, was bis auf die Zeiten von Figl und Raab zurückgeht. Die Steiermark hingegen zeigte sich seit dem allmählichen politischen Abgang von Julius Raab immer wieder entschlossen ihre eigenen Wege zu gehen, was mit dem Hinweis auf mangelndes Verständnis der Bundesstellen für die Anliegen des Landes zu einer Hinwendung zu den Freiheitlichen, ja sogar zu Gerüchten über eine Entwicklung ä la CSU führte. In Wien, das „seismographi1 sehe Funktionen für gesellschaftlichen Wandel ausübt”, konnte Erhard Busek mit seinen „bunten Vögeln” zunächst Gewinne verbuchen, kam aber auf die Dauer nicht gegen den etablierten Apparat (die „grauen Mäuse” oder „Saurier”) auf. Seine Kritiker meinten, er habe die Bewegung so weit geöffnet, daß sich hinter ihm die Reihen nicht mehr schlössen.

Das Aufbrechen verkrusteter Strukturen wurde in den letzten Jahren mehrfach durch eine Öffnung der Partei versucht, womit die Frage gestellt war, ob man neue Wählerschichten ansprechen sollte, auf die Gefahr hin, Teile der traditionellen Anhänger zu verlieren. Parteiobmann Schleinzer war in den siebziger Jahren der geistige Vater der Vorwahlen. Auch wollte man dem Wandel der Verhältnisse durch eine Modernisierung Rechnung tragen, so die Volkspartei Niederösterreich mit ihrem „Leitbild 80” und schon zuvor Josef Klaus mit seiner „Aktion 20”.

Korens Paukenschlag zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich war ein

Element der „innovativen Dynamik der Ära Klaus”. Dennoch schlug sich im Wählervotum von 1970 weniger die wirtschaftliche Einsicht als der Unmut über die mit dem Plan verbundenen Belastungen (und die Zugkraft populistischer Versprechungen der SPÖ) nieder. In den Wahlkämpfen seither zeigt sich überdies eine Gewichtsverlagerung von den Sachthemen zu den Personen. Das mußte schon Josef Taus nach dem für ihn unbefriedigenden Fernsehduell mit Bruno Kreisky erkennen, es hat sich bisher in der Ära Vranitzky bestätigt und wir müssen es auch jetzt bei den in den Mittelpunkt des Wahlkampfes gerückten TV-Konfrontationen zur Kenntnis nehmen.

Es war hoch an der Zeit für dieses Buch, denn die letzte ausführliche Geschichte der ÖVP ist vor 20 Jahren erschienen. In den zahlreichen Beiträgen findet sich viel - parteigeschichtlich Wesentliches, dazu kommen aufschlußreiche Artikel über die Volkspartei in den Bundesländern, freilich von unterschiedlicher Qualität. Das Bemühen um Aktualität bis in unsere Tage und der damit verbundene Zeitdruck scheinen auch ein paar ärgerliche Fehler verursacht zu haben, etwa den, daß die ÖVP vom Wiener Palais Todesco in die Lerchenfel-derstraße (statt in die Lichtenfelsgasse) übersiedelt sei.

„Die Zukunft der ÖVP liegt im Status der Volkspartei”, wird in einem Beitrag betont, in ihren Strukturen müsse sich, bei allen Schwierigkeiten und Widersprüchlichkeiten, die Vielfalt der gesellschaftlichen Realität widerspiegeln.

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