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Nach langem Tauziehen gibt es im Libanon wieder eine Regierung. Politik hat in diesem Land mit Religion zu tun, wie auch das Gespräch mit Erzbischof Paul Matar von Beirut zeigt. Das Gespräch führte Otto Friedrich

Eigentlich war Paul Matar in Wien, um am Kolloquium der Stiftung Pro Oriente zwischen der katholischen Kirche und den Kirchen der syrischen Tradition teilzunehmen. Das FURCHE-Gespräch mit dem maronitischen Erzbischof von Beirut dreht sich hingegen um die fragile Lage in seiner libanesischen Heimat.

Die Furche: Der Libanon leidet unter Spannungen und kommt nicht zur Ruhe. Nach langem Hin und Her konnte dieser Tage endlich eine Regierung gebildet werden, kurz davor brachte die israelische Marine ein Schiff auf, das Waffen für die Hisbollah geladen hat. Wie beurteilen Sie die Lage in Ihrem Land?

Erzbischof Paul Matar: Wenn Sie ins Jahr 2006 zurückgehen, da war der Krieg, den Israel gegen die Hisbollah geführt hat. Dieser Krieg hat viel zerstört. Es gab die Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates, aufgrund der die UNO 15.000 Soldaten südlich des Litani-Flusses stationiert hat. Seit damals wird diese Resolution nicht so respektiert, wie wir das gerne hätten. Israel dringt fortgesetzt mit Flugzeugen weit in den libanesischen Luftraum ein, die Hisbollah versucht fortgesetzt, ihre militärische Stärke zu vergrößern. Und da sind immer noch zwei libanesische Gebiete, die von Israel besetzt sind. Deshalb gibt es immer noch große Spannungen im Südlibanon. Und das beeinflusst die Lage im ganzen Land.

Die Furche: Was bedeutet das Wahlergebnis vom Juni 2009, bei dem das „prowestliche“ Parteienbündnis die Mehrheit erhielt?

Matar: Das Land ist in zwei Lager gespalten: Das Lager, das nun die Mehrheit stellt, sagt: Wir müssen versuchen, unsere Probleme zuerst mit Dialog zu lösen. Und dieses Lager sagt: Vielleicht ist die Hisbollah nicht nur eine libanesische Kraft. Die Hisbollah erhält Waffen vom Iran und ist vielleicht unter iranischer Kontrolle. Der Iran benutzt die Hisbollah als Vorwand, um am Mittelmeer anzukommen, um Einfluss gegen Israel zu gewinnen. Das ist der Konflikt. Denn auf der anderen Seite sagt das Lager der Minderheit – darunter auch der Maronit Michel Aoun –, sie würden ihre Armeen behalten. Die Minderheitsfraktion wollte unbedingt eine Regierung der nationalen Einheit, um nicht außerhalb der Regierung zu bleiben. Es war ein politischer Kampf, wie diese Regierung, der alle angehören, zustande kam. Wir hatten vier Monate lang keine Regierung!

Die Furche: Sie haben Michel Aoun genannt, der ein maronitischer Christ ist. Wie verhält sich Ihre Kirche in einer Gesellschaft, in der auch die Christen gespalten sind?

Matar: Das ist ein Problem innerhalb der Maroniten. Das ist nicht Neues. Aber wird sind eine demokratische Gesellschaft. Und darin gibt es unterschiedliche Parteiungen. Schauen Sie sich Österreich an, da gibt es Rechte und Linke – und sie sind alle Österreicher! Und wir haben in der maronitischen Gemeinschaft Rechte und Linke – und beide sind Maroniten! Ich sehe natürlich, dass es hierbei Probleme gibt . Wenn Sie Michel Aoun nur als Verbündeten der Hisbollah sehen, stimmt das so nicht. Er ist mehr als das und geht auf das Abkommen von Taif zurück …

Die Furche: … das 1989 den libanesischen Bürgerkrieg beendet hat.

Matar: Aoun war gegen das Abkommen von Taif, dann wurde er 1990 nach Frankreich ausgewiesen. Die Christen hatten vor dem Abkommen mehr Macht und Aoun wollte diesen Machtverlust nicht hinnehmen. Viele sahen und sehen in Aoun denjenigen, der die Christen wieder in ihre alte starke Position bringen kann. Als Aoun 2005 aus Frankreich zurückkehrte, sagten ihm die anderen Christen: Du repräsentierst keineswegs die Mehrheit der Christen. Bei den Wahlen errang seine Partei 21 Sitze im Parlament und er fühlte sich langsam ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund hat er sich mit der Hisbollah verbündet. Es ist für einen maronitischen Bischof sehr kompliziert. Wir versuchen, alle Maroniten in Dialog zu bringen. Wir wollen keine Konflikte oder Kämpfe in unserer Gemeinschaft. Wir bringen die Menschen zu gegenseitigem Verständnis. Das ist nicht immer leicht. Es kompliziert die Lage, aber man muss sich den Tatsachen stellen. Was kann man denn sonst machen?

Die Furche: Sie müssen auf der ersten Ebene innerhalb Ihrer Kirche Dialog führen, auf einer zweiten Ebene innerhalb der Christen und dann drittens auf der Eben der gesamten Gesellschaft …

Matar: … zwischen Christen und Muslimen. Und die Muslime sind ihrerseits gespalten zwischen Schiiten und Sunniten. Das ist sehr gefährlich, denn es gibt viele Konflikte mit den Schiiten in der Region – angefangen im Irak, das hat sich dann in den Jemen ausgebreitet und auf die Golfstaaten: überall dort verursachen die Schiiten Probleme. Wenn es irgendwo in der arabischen Welt Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten gibt, dann beeinflusst das auch die Lage im Libanon. Wir benötigen also einen dreifachen Frieden: Frieden unter den Christen, Frieden innerhalb der Muslime und Frieden zwischen Christen und Muslimen. Wir müssen an all diesen Fronten gleichzeitig arbeiten, um das Land zu einem wirklichen Frieden zu bringen.

Die Furche: Seit bald 40 Jahren gilt der Libanon als Land der Konflikte. Haben Sie eine Perspektive, wie das Land da wieder heraus kommen kann?

Matar: Ich hoffe das. Die Koexistenz von Christen und Muslimen im Libanon ist ja nicht erst im 20. Jahrhundert entstanden, sondern es gibt sie, seitdem der Islam ins Land gekommen ist. In den gleichen Dörfern zusammenzuleben – das ist eine Realität und keine Fiktion. Daher die Hoffnung, dass wir gegenseitiges Verstehen erreichen, wenn wir die Einflüsse und Interventionen von außen neutralisieren können. Das ist die Herausforderung! Aber wir haben keine Wahl. Und sind zum Erfolg verdammt.

Die Furche: Handelt es sich bei den Spannungen Im Libanon um Stellvertreterkonflikte vom Iran oder von Israel etc.?

Matar: Wenn in deiner Region eine Krankheit ausbricht und dein Körper schwach ist, dann wirst du erkranken. Wenn dein Körper stark ist, dann bist du immun gegen diese Krankheit. Wir im Libanon sind nicht immun genug …

Die Furche: Der Libanon war berühmt für seine Formel zur Aufteilung der Macht zwischen den Religionen: Der Präsident ist Christ, der Ministerpräsident ein Sunnit, der Parlamentssprecher ein Schiit. Funktioniert diese Formel immer noch?

Matar: Sie funktioniert und ich sehe keine andere Möglichkeit. Das libanesische System ist vielleicht nicht das beste System der Welt, aber in der Region gibt es kein anderes Modell.

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