Subtiler Antisemitismus: Zwischen den Zeilen

19451960198020002020

Nicht nur in der rechten Reichshälfte: So hört man heute die Parole "Kampf dem internationalen Finanzkapital" auf Neonazi-Kundgebungen ebenso wie bei den Demos der Globalisierungsgegner.

19451960198020002020

Nicht nur in der rechten Reichshälfte: So hört man heute die Parole "Kampf dem internationalen Finanzkapital" auf Neonazi-Kundgebungen ebenso wie bei den Demos der Globalisierungsgegner.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Antisemitismus nach Auschwitz wird als einer ohne Juden und Jüdinnen analysiert. Damit wird auch der sozialwissenschaftlichen Erkenntnis Rechnung getragen, wonach ein umgekehrter Zusammenhang besteht zwischen der Anzahl von Juden und Jüdinnen in der unmittelbaren Wohnumgebung und der Verbreitung von antisemitischen Ressentiments. Diese sind dort am verbreitetsten, wo deren Objekte nicht (mehr) leben, also in ländlichen Regionen. Die Empirie deckt sich hier mit der Theorie, wonach der Antisemitismus seine Ursachen eben nicht in der Anwesenheit der Juden und Jüdinnen oder in deren Eigenschaften und Verhalten hat. Vielmehr ist die Ursachenforschung zum und in das antisemitische(n) Subjekt zu verlegen.

Navigator

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Aber auch der antisemitische Diskurs selbst kommt heute ohne direkt als solche bezeichnete Juden aus. Das Feindbild wird nicht mehr beim Namen genannt, sondern auf vielfältige Art und Weise umschrieben. Der Antisemitismus nach 1945 entwickelte eine spezifische Geheimsprache, ein System von Codes. Dies nicht nur deswegen, weil der Antisemitismus nun tabuisiert und seine offene Artikulation mit Strafdrohung (NS-Verbotsgesetz, Verhetzungsparagraph) belegt wurde. Die Geheimsprache hat auch eine Funktion für die Bildung der antisemitischen Gemeinschaft: Die Fähigkeit zum Entschlüsseln der Codes stiftet ein exklusives Zusammengehörigkeitsgefühl. Ähnlich den Esoterikern teilen auch die Antisemiten ein geheimes Wissen, welches sie aus der Masse heraushebt. Dies bedient den kollektiven Narzissmus der ansonsten kleinen Leute auch in anderer Hinsicht: Die antisemitischen Massenmenschen wissen sich mit dem idealisierten Führer vereint, wenn dieser - wie etwa im laufenden Wahlkampf - den "Spindoctor Greenberg von der Ostküste" ins Visier nimmt und sie umgehend verstehen, was damit gemeint ist.

Spiel mit "jüdischen" Namen

Das frivole Spiel mit "jüdischen" Namen, welchen die Eigenschaft eines Stigmas zukommt, gehört zu den zentralen Elementen dieser Geheimsprache. Antisemiten pflegten etwa den damaligen Unterrichtsminister Rudolf Scholten "Pfefferkorn" zu nennen. Daran geknüpft war der (zumeist unausgesprochene) Vorwurf, dass sich da ein durch und durch perfider Jude wieder mal hinter einem anderen, unverfänglichen Namen verstecke. Und nichts tut der Antisemit/ die Antisemitin lieber als vermeintlich zu entlarven.

Mit dem expliziten wie impliziten Hinweis auf die Fremdheit der Namen soll die Fremdheit ihrer TrägerInnen suggeriert werden. Dem FPÖ-Parteiblatt Neue Freie Zeitung (Nr. 49/2000) fiel zum Beispiel am damaligen französischen Europaminister Moscovici dessen "nicht sehr französisch klingender Name" auf.

In der rechtsextremen Aula, dem burschenschaftlichen Vorfeldorgan der FPÖ, wurde im Sommer 1999 Frankfurt am Main als "das größte deutsche Jagdrevier der internationalen Geldherren" bezeichnet. Weiter heißt es dort: "In keiner Epoche der uns bekannten Weltgeschichte galt so wörtlich wie heute: Geld regiert die Welt. Nicht die Jelzins, Clintons oder Schröders ziehen die Fäden, sondern die großen Banker und Spekulanten: Greenspans, Soros, Beresowskys."

"International", "Geldherren"

Neben der neuerlichen Stigmatisierung durch die bloße Nennung von Namen haben wir hier fast alle Figuren des indirekten antisemitischen Diskurses vereint: Mit dem Adjektiv international soll ebenfalls auf die Fremdheit der ruhelos umherziehenden Juden und Jüdinnen verwiesen werden. Die stellvertretenden Bezeichnungen als Geldherren, Banker und Spekulanten knüpfen an die antisemitische Tradition der Identifizierung von Juden und Jüdinnen mit der Zirkulationssphäre an.

Auch im aktuellen FPÖ-Programm finden "internationale(r) Spekulanten" als Feindbild Erwähnung. Die dahinter liegende Aufteilung des Kapitalismus in eine Sphäre der Produktion oder des Schaffens und eine der Zirkulation oder des Raffens entstammt dem handwerklich-kleinbürgerlichen Antisemitismus christlich-sozialer Provenienz und wurde von den Nationalsozialisten auf die Spitze getrieben.

Bis heute stellt sie den Kern eines Antikapitalismus von rechts dar. So fand sich 1997 in einer regionalen Aussendung der steirischen FPÖ die graphische Darstellung der "arbeitende(n) Bevölkerung", wie sie von "Sozialismus" und "Kapitalismus" in die Zange genommen werde.

Ersterer, so heißt es dort, betreibe die "Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung mittels Steuern durch die Umverteilungspolitik der eigentlichen Machthaber der internationalen sozialistischen Parteien und Gewerkschaften", zweiterer "mittels Zinsen durch die Profitgeldgeschäfte der die internationale Hochfinanz beherrschenden Banken und Spekulanten". Und darunter in bester Nazi-Tradition: "Der Sozialismus und der Kapitalismus teilen sich in geheimer Komplizenschaft die Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung."

Ausgehend vom Vorwurf des Gottesmordes wird im antisemitischen Diskurs Juden und Jüdinnen eine unheimliche Machtfülle zugeschrieben. Sie erscheinen als die prototypischen VerschwörerInnen im Hintergrund, wo sie im Geheimen die Fäden ziehen. Gleich den Parasiten - ein weiterer beliebter antisemitischer Code - leben sie von der Arbeit der Tüchtigen und Fleißigen, die sie auch noch (mittels ihrer Medienmacht) über die wahren Ursachen ihrer Malaise täuschen.

In Ländern mit ausgeprägter antisemitischen Tradition, in welchen das Wissen um das wahre Wesen der Juden und Jüdinnen geradezu ein (nicht immer bewusstes) Kulturgut darstellt, reicht oft die Nennung vermeintlich "jüdischer" Eigenschaften wie "Internationalismus", "Mauscheln" oder "Geldgier", um den Feind zu markieren.

Das müssen auch Nicht-Antisemiten berücksichtigen, wenn sie etwa im Anti-Globalisierungsdiskurs Stellung beziehen. Denn mit ihrer allzu oft verkürzten Kapitalismuskritik, die sich in Personalisierungen und der Anklage der Spekulation ergeht, leisten sie mindestens dem Antisemitismus Vorschub.

Auch Globalisierungsgegner ...

Tatsächlich kann man die Parole "Kampf dem internationalen Finanzkapital" heute nicht nur auf linken Demonstrationen finden, auch deutsche Neonazis halten sie am 1. Mai hoch. Schon der historische Antikapitalismus war Antisemitismus bis zu dem Moment, als er zur Kritik der politischen Ökonomie systematisiert wurde.

Karl Marx selbst personifiziert diese Entwicklung: Zum Zeitpunkt der Abfassung seiner umstrittenen Schrift "Zur Judenfrage" (1843) verfügte er noch nicht über das analytische und begriffliche Rüstzeug, um den Kapitalismus vollständig zu erfassen, und setzte statt dessen diesen mit dem "Judentum" gleich. Heute, da diese Kritik des Kapitalismus als Strukturprinzip weitgehend ersetzt wurde durch moralisierende Anklagen der Groß-Kapitalisten oder Globalisierer, droht der Antikapitalismus wieder zu werden, was er war.

Das hat die extreme Rechte früh erkannt und für sich zu nutzen gewusst, während die Linke in ihrem Zustand der theoretischen Verlotterung von einem Wirtschafts-Gipfel zum nächsten eilt, um gegen die Skrupellosigkeit und Profitgier der "Geldleute" zu demonstrieren. Wie gesagt, dass diese Juden und Jüdinnen sind, denken sich die Antisemitinnen und Antisemiten dazu.

Der Autor ist Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes und Mitautor des Bandes "Dreck am Stecken".

Navigator

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf mehr als 175.000 Artikel seit 1945 – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf mehr als 175.000 Artikel seit 1945 – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung