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Zwischen Dichtung und Wahrheit

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Wer sind in Osterreich die eifrigsten Verfechter einer N A-TO-Osterweiterung und eines österreichischen NATO-Beitrit-tes? Als erstes sind die unmittelbaren Interessengruppen zu nennen: Militär, Rüstungswirtschaft und jene, die in ihrem Solde stehen. Hinzu kommen alle jene, die ein ideologisches Naheverhältnis zu allem Militärischen haben, wozu nicht nur Rechtsextremisten, sondern auch manche Konservative gehören. Uberraschend ist allerdings, daß plötzlich auch ehemals extreme Linke gemeinsam mit Haider in die NATO galoppieren wollen. Weltrevolutionäre werden zu NATO-Fans! Woher kommt die Liebe zu einer NATO ohne Feind? Zu einer NATO, die ihre defensiven Strukturen in offene Strukturen umbaut? Das seinerzeitige Argument, die NATO diene dazu, Rußland draußen, Amerika drinnen und Deutschland nieder zu halten, kann wohl nicht der Weisheit letzter Schluß für alle Zeiten sein. Oder liegt die Gemeinsamkeit darin, daß beide auf die Macht der Gewalt schwören?

Diese NATO-Allianz zwischen neuer Rechter und einer frustrierten Linken trägt dazu bei, daß es bisher in Österreich nicht zu jener differenzierten öffentlichen Diskussion über NATO und NATO-Osterweiterung gekommen ist, die in den USA, aber auch in Deutschland geführt wird. So schreibt die „New York Times” im Dezember 1996: „Die Zukunft Europas in Blaupausen des Kalten Krieges zu planen, ist ein Fehler.” In die gleiche Richtung gehen etwa die Kommentare des amerikanischen Diplomaten und Historikers George F. Kennan und des deutschen Politologen Ernst-Otto Czempiel, die zu dem Schluß kommen, daß die NATO-Osterweiterung ein fataler Fehler ist, der aber noch verhindert werden kann. Diese Diskussion sollte (natürlich verspätet) auch nach Österreich kommen. Wird dann das Engagement für den NATO-Beitritt die Erwartungen linker und rechter Populisten erfüllen, wenn seine negativen Konsequenzen sich nicht länger verbergen lassen?

Die NATO hat ihre Vorstellungen wiederholt klar geäußert, was die europäischen Mitgliedsländer im Falle eines Konfliktes zu tun haben: mitzuzahlen und mitzukämpfen. Nicht nur in Europa, sondern auch in Asien und Afrika. Mit und ohne UNO-Legiti-mation. Kann es im nationalen Interesse Österreichs liegen, zu einem solchen Beistand automatisch verpflichtet zu sein?

Es ist ein fester Bestandteil des N A-TO-Jargons, daß die NATO zur Sicherheit und Demokratisierung ihrer Mitgliedsländer beitrage. Die Türkei, seit 1952 NATO-Mitglied, stellt dies mit ihren Menschenrechtsverletzungen ja sehr deutlich unter Beweis ...

Die NATO will auch keine Trennlinien in Europa aufbauen, dennoch schließt sie Rußland und die GUS-Staaten von vornherein aus. Schließlich weist die NATO darauf hin, daß die Ost-Erweiterung nur den Sicherheitsinteressen der mittel-und osteuropäischen Staaten diene. Hier stellt sich mit Recht die Frage, ob diesen geschichtlich verständlichen Schutzinteressen nicht mit einer Sicherheitsgarantie viel besser, nämlich rasch, preiswert (ohne Aufrüstung) und ohne politische Nebenfolgen Rechnung getragen werden könnte. So aber erweckt die NATO-Osterweiterung den Eindruck, daß es weniger um Sicherheit und Demokratisierung, sondern mehr um Hegemonie und Einflußzonen geht. Hinzu kommt, daß das Reden über Krieg und Frieden bereits Or-wellschen Charakter erreicht hat. Das ist weder eine neue NATO, noch eine neue Politik.

Immer wieder heißt es, daß die NATO niemanden bedrohen wolle. Es kommt aber nicht auf die Absicht an, sondern auf die Wahrnehmung der Fakten. Wer kann bestreiten, daß die NATO von einem Verteidigungsbündnis zu einem globalen Interventionsinstrument umgebaut werden soll? Über die militärischen Einsätze entscheiden dann nicht friedenspolitische Zielsetzungen, sondern die nationalen Interessen der USA.

Niemand konnte bisher begründen, warum Österreich einer NATO beitreten soll, deren Zukunft völlig ungewiß ist. Obskure Interessen und Parolen treten anstelle von Argumenten. Richtig ist, daß der Zeitgeist aggressiver und militanter geworden ist. Die zunehmende Militarisierung Europas, zu der der Offensivcharakter und die Aufrüstungsstrategie der NATO beitragen, ist ein Teil dieses Zeitgeistes. Warum soll Österreich diese Militarisierung Europas durch einen NATO-Beitritt unterstützen? Österreich sollte vielmehr dem Druck der Medien und der Versuchung widerstehen, zu einem Trittbrettfahrer dieses aggressiven Zeitgeistes zu werden.

Die NATO kann ein Spalter Europas werden, sie kann überflüssig und sie kann Teil eines gesamteuropäischen Systems werden. Die Osterweiterung ohne Rußland tendiert in Richtung europäische Spaltung. In demokratischen Ländern können auch die Medien den Kurs der Politik, somit auch die Entwicklung der NATO, beeinflussen. Je kritischer, differenzierter und offener diese Berichterstattung und Diskussion in den Medien geführt wird, umso eher wird es zu einer NATO-Neu kommen, die diesen Namen verdient. Das wäre eine NATO, die sich auf die Verteidigung Europas beschränkt, die Rußland einbindet und die Initiativen zu einer radikalen Abrüstung ergreift. Davon hängt es ab, ob die N ATO-Neu, die Fvuropäisierung der NATO, Dichtung oder Wahrheit wird.

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