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Zwischen Wind und Sonne

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Das Wahlergebnis des 1. März kann am 4. Oktober verändert werden. Theoretisch und praktisch. Darüber gibt es keinen Zweifel. SPÖ und ÖVP stehen einander im Parlament mit 81 zu 79 gegenüber. Ein Mandat für die ÖVP und es steht 80:80. Das aber würde den Bundespräsidenten zumindest zu einem Überdenken der Entscheidung vom 20. April zwingen. Es kann aber auch 83:77 für die SPÖ stehen. Und das würde die absolute Mehrheit bedeuten, wenngleich sich angesichts des Parlamentsvorsitzes in der Praxis nichts an der Minder-heitssituation ändern würde. Die Volkspartei posaunt den Wählern zu, daß sie es sich noch einmal aussuchen könnten. Und würde man die Fakten allein zu Buch schlagen, müßten es sich tatsächlich am Sonntag die Wiener in den drei betroffenen Wahlkreisen überlegen — die Leistunigen der Minderheitsregierung sind alles in allem bisher mehr als mager:

• Seit, dem Amtsantritt Doktor Kreiskys ist tatsächlich keine Materie von einiger Bedeutung durch das Parlament gekommen;

• die SPÖ hat als Partei eine Unzahl von Dingen versprochen, die die SPÖ-Regierung nun angesichts nackter Tatsachen in der Praxis nicht halten kann;

• die SPÖ hat sich an der Agrar-front in einen ernsten Konflikt mit der Bauernschaft manövriert — und wahrscheinlich stehen in dieser Frage die Sympathien der Mehrheit in Österreich nicht auf seiten der Regierung;

• die Regierung läßt bei der Bun-desheerreform Klugheit vermissen; die Verteidigungspolitik ist in einen Strudel der Anarchie gestürzt worden;

• eine Regierungsumbildung ist schon erfolgt — und man munkelt in den politischen Couloirs bereits von einer zweiten.

Doch trotz all dieser Schwierigkeiten und Pannen lebt die Regierung Kreisky mit einem zunehmend sicheren Polster des Vertrauens. Sie hat — gegen die natürlichen Gegensätze im Kabinett — die Budgeteinigung glänzend über die Runden gebracht. Sie hat keine innerparteilichen Krisen durchmacht, wie man dies schon für den Sommer prophezeite. Sie hat — wie (interne) Meinungsforschungen der Parteien ergeben — ein großes Maß an Goodwill in der Bevölkerung und sie stellt sich mit geschickten Public Relations und einem brillanten Fernsebsitar als Bundeskanzler in fröhlicher Selbstgefälligkeit dar. Ihr größtes Plus aber: sie hat im Augenblick keinen ernsthaften Gegner. Denn die große Oppositionspartei hat sich selbst vor diesen Nachwahlen in ein« Krise rutschen lassen, die sträflich, leichbsinig und geradezu selbstmörderisch erscheint Man kann die Volkspartei nicht eindringlich genug aufrufen, zu sich selbst zu finden; der Selbstzerfleischung ihrer Spitze ein Ende zu setzen, einen Kurs zu steuern, der an den Klippen der Lizitationspolitik ebenso vorbeiführt wie an den Felsen starrer Kon-«ervativität und eine Optik zu demonstrieren, die im Bejammern der Situation und im retrospektiven Lob der vergangenen Jahre besteht Und man kann ihr nur eindringlich raten, mit den Massenmedien zu leben, ihre Werbelinie zu überprüfen und ein besseres Verhältnis zu den Intellektuellen dieses Landes zu suchen. Wie sieht die Ausgangslage für den 4. Oktober tatsächlich aus? Seit dem 20. April hat die Volkspartei so gut wie keine Sachinitiative in oder außerhalb des Parlaments gesetzt, die sie entscheidend von den Sozialisten abgehoben hätte; sie hat sich verworren zum Budget geäußert und sich anschließend eine schwere personelle Krise geleistet, die zumindest aufschiebbar gewesen wäre. Und ihr Wahlkampf war so unpolitisch wie möglich, ein Wahlkampf ä la Persil, der mit keiner der wenigen Aussagen dem Österreicher uniter die Haut ging. Diese Werbung sagte dem ÖVP-Wähler vom 1. März zu wenig, warum er überhaupt wählen gehen soll. Ein Wahlkampf ohne Wahlziel; eine Auseinandersetzung ohne Tiefgang, ein (abkommenbeschränktes) Geplänkel auf der Ebene der Parteisekretariate.

Was kann da noch der heldenhafte Einsatz des Altbundeskanzlers Klaus bei harten Diskussionen in der Operngasse retten, was der distan-ziert-kluge Einsatz des Generalsekretärs in Fernsehdebatben? Die Volkspartei kämpft am kommenden Sonntag (übrigens auch in Tirol) mit dem Wind im Gesicht — zum Teil selbstverschuldet, zum Teil als Konsequenz einer Wählerstimmung. Denn die österreichische Öffentlichkeit ist nicht so unzufrieden mit der Regierung Kreisky, wie dies die Volkspartei gerne haben möchte:

• Dr. Kreisky und sein Team — das sind keine bösen Marxisten mehr, keine Klassenkampf er oder kommunismuisverdächtige Internationalisten.

• Seit dem Amtsantritt der SPÖ am BaUhausplatz und in den Ministerien ist „nix passiert“, was der Herr Österreicher als beruhigendes Zeichen wertet — denn eine Parla-mentsmehrlheit garantiert ihm ja, daß die sozialistischen Bäume nicht in den Himmel wachsen. Mag sein, daß viele Wähler über die Minderheitsregierung deshalb gar nicht unglücklich sind, weü es im österreichischen Wesen liegt, mit der Delegierung von absoluter Macht für eine Seite sparsam umzugehen.

• Der SPÖ-Slogan dieser Nachwahl, „Laßt Kreisky und sein Team arbeiten“, wird der eine Österreicher reserviert-zynisch bejahen, der andere hoffend-neugierig. Beide aber sind sich einig darüber, daß die bisherige Fünfmonateregierung noch nicht die Chance erhalten hat, zu zeigen, was in ihr wirklich steckt. Weist das ÖVP-Barometer auf „Wind“, so weist das Stimmungsbarometer für die SPÖ auf „Sonne“. Besonders dann, wenn das Barometer am 4. Oktober wirklich auf „Sonne“ steht und tausende Wiener in den Morgenstunden Wien für ein (möglicherweise letztes) schönes Herbstweekend verlassen.

Ein Verlierer freilich läßt sich mit größter Wahrscheinlichkeit schon jetzt vermuten: die FPÖ. Sie wird — und alles spricht dafür — im Tiroler Landtag am nächsten Sonntag ihr einziges Mandat verlieren — und sie dürfte sich Hoffnungen auf ein sechstes Mandat in Wien vergeblich gemacht haben. Die FPÖ kann nur — getreu einer derzeit praktizierten Linie — möglicherweise am Abend des 4. Oktober neuerlich bestätigt finden, daß sie immer nur der SPÖ in die Hände arbeitet. Die FPÖ hat diese Nachwahlen durch ihre Anfechtung provoziert — sie trägt die Schuld zur ungeteilten Hand, wenn es am Sonntag vielleicht eine absolute sozialistische Mehrheit gibt.

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