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Zwischenbilanz für neue Dimensionen

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Seit Gerd Bacher vor zwei Jahren Generalintendant des österreichischen Bundfunks wurde, verliert die Volkspartei eine Wahl nach der anderen, lautet eine neue Standardformel, die denn doch eine unzulässige Vereinfachung ist und die — Wie jede Simplifikation — die Frage nach den eigentlichen Ursachen nicht stellt. Tatsache ist, daß der neue Stil, den Bundfunk und Fernsehen in ihren Nachrichten- und politischen Sendungen im weitesten Sinne des Wortes pflegen, wohl den Intentionen der Unterzeichner des Volksbegehrens entspricht: freie, nicht durch Bücksicht-nahme auf Parteien und den Einfluß von Parteiemissären in der Bundfunkredaktion gehemmte Berichterstattung und Kommentierung, Auswahl und Behandlung der Informationen nach ihrem Nachrichtenwert (oder was eben dafür gehalten wird).

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Seit Gerd Bacher vor zwei Jahren Generalintendant des österreichischen Bundfunks wurde, verliert die Volkspartei eine Wahl nach der anderen, lautet eine neue Standardformel, die denn doch eine unzulässige Vereinfachung ist und die — Wie jede Simplifikation — die Frage nach den eigentlichen Ursachen nicht stellt. Tatsache ist, daß der neue Stil, den Bundfunk und Fernsehen in ihren Nachrichten- und politischen Sendungen im weitesten Sinne des Wortes pflegen, wohl den Intentionen der Unterzeichner des Volksbegehrens entspricht: freie, nicht durch Bücksicht-nahme auf Parteien und den Einfluß von Parteiemissären in der Bundfunkredaktion gehemmte Berichterstattung und Kommentierung, Auswahl und Behandlung der Informationen nach ihrem Nachrichtenwert (oder was eben dafür gehalten wird).

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Dazu kommt selbstverständlich die in den westlichen Ländern seit Jahren gepflegte Technik der Interviews: „hart“, wie man so schön sagt, denn der Befragte soll unter den ständigen, bohrenden Fragen ständig zu Bekenntnissen gezwungen und bis an die Grenze seiner Lei-stungs- und Reaktionsfähigkeit, natürlich auch seiner Toleranz ausgepreßt werden. In der Tat, es ist ein grausames Spiel, das da getrieben wird.

Aber darum geht es nicht. Unleugbar hat der seit der Ruodiunkreform geänderte Stil der Berichterstattung und politischen Information auch seine vielen positiven Seiten. Wichtig ist vor allem die Erkenntnis, daß das Fernsehen eine neue politische Dimension erschlossen hat, was die Parteien und insbesondere die Politiker noch nicht erkannt zu haben scheinen.. Die Leidenschaft, mit der man das Femsehen in Anspruch nimmt, steht nicht im Gegensatz zu dieser Feststellung. Es ist klar, daß die Regierungspartei das erste Opfer eines solchen neuen Stils sein muß, da die „harte“ Technik, das Bemühen, die menschlichen, allzu menschlichen Seiten der Politik und der

Politiker herauszustreichen, geradezu gesetzmäßig gegen „die oben“ ausschlagen muß.

Man kann mit gutem Grund annehmen, daß ein Teil des derzeitigen Unbehagens in Österreichs, das rational und durch die Bilanz der Entwicklung nicht im mindesten gerechtfertigt ist, auf diesen neuen Stil des ORF zurückzuführen ist. Insofern wäre die eingangs genannte These, Bacher sei der wahre Schuldige, zu Recht erstellt. Aber das ist nicht die Schuld des Generalintendanten, das liegt in erster Linie an den Akteuren. Das Fernsehen kann nur zeigen, was wirklich geschieht. Gewiß, die Auswahl der Themen und ihre Darstellung erlegen den zuständigen leitenden Instanzen des Rundfunks eine schwere Verantwortung auf, es liegt darin auch eine geradezu diabolische Faszination. Einmal mehr bestätigt sich das von Lord Northcliffe gesprochene Wort „The power of the press is to suppress“. Man kann wohl annehmen, daß die Bewegung unter den Studenten in der Welt einen guten Teil ihrer Anstöße aus der geradezu lüsternen TV-Berichterstattung empfängt; in den USA

spricht man schon von einer „Tele-Synchronisation“ zwischen Protestaktionen und Fernsehberichterstat-tung darüber.

Weiter: Das Fernsehen präsentiert die Politiker so, wie sie sind. Selbstverständlich muß der bis zur Brutalität reichende Verzerrungseffekt dieses gnadenlosen Mediums einkalkuliert werden. Das wirft die immer wieder, seit es ein Fernsehen gibt, gestellte Frage auf: Soll die Auswahl der Politiker nach ihrer Telegenität erfolgen? Primitiv gesprochen: „Schöne“ Männer an die Front?

Es wäre eine Abwertung der Politik, die trotz allem Negativen immer ein Dienst an der Gemeinschaft bleibt, würde das ausschließliche Kriterium für einen Politiker seine fernsehgerechte Erscheinung sein. Ganz abgesehen davon ist die Spekulation auf ,,schöne“ Männer verfehlt, weil in dieser vaterlosen Zeit menschliche Ausstrahlung, Wärme und Vertrauenswürdigkeit einer Persönlichkeit oft mehr zu Buch schlagen können als filmstarhaftes Aussehen.

Man wird nicht alle Politiker ständig in Starrollen im Femsehen herausstellen können. Aber es sollte in einer Partei ein Kernteam von führenden Männern geben, die auch für die Präsentation im Femsehen entsprechend geschult sind. Ganz allgemein wäre aber von den Politikern zu verlangen, daß sie sich für Fernsehauftritte so gut wie möglich präparieren. Es würde allerdings nicht schaden, würden sich die Politiker ganz allgemein gegenüber dem Fernsehen ein wenig rarer machen. Weise Selbstbeschränkung statt Drängen zu den Kameras läge oft in ihrem eigenen Interesse. Es wäre damit auch die Gefahr, daß politische Akte nur um ihres Showeffektes gesetzt werden, verringert.

Eine Frage wird immer im Raum bleiben: Wer kontrolliert die Massenmedien? Dies ist nicht im Sinne einer Zensur gemeint. Aber das Femsehen insbesondere übt heute eine Macht aus, deren sich auch die politisch Mächtigen nicht immer bewußt sind. In seinem lesenswerten Buch über die „Neue Linke“ — „Die Zukunftsmacher“ — spricht Caspar Schrecl-NottAng davon, daß die Massenmedien als Machtgebilde einer öffentlichen Kontrolle unterliegen müßten. Aus der deutschen Sicht meint er, es wäre zu erwägen, die bei den einzelnen Runddiunkansitalten bestehenden Rundfunkgeräte zu richterlichen Gremien umzubauen. Auch der amerikanische Historiker und Diplomat George Kennan stellt aus tiefster Sorge um die Zukunft der amerikanischen Demokratie diese Frage, die heute noch nicht befriedigend beantwortet werden kann. Fest steht nur eines: daß in diesen Medien eine verschwindend kleine Gruppe von Männern, die weder immer die ethische Reife noch das Fachwissen dafür aufzuweisen haben, eine Macht ausübt wie nur wenige andere in einem modernen Staat. Macht erheischt aber immer, soll sie nicht in Zügellosigkeit ausarten, Kontrolle. I|m das „Wie“ wird jhan eines Tages nicht herumkommen.

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