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Zwischenbilanz im „kleinen Wahljahr“

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Den 17. Oktober wollen wir uns schon heute im Kalender anstreichen. Für diesen Tag sind in Oesterreich Wahlen angesetzt. Zwar gilt es nicht, eine neue Volksvertretung durch das Bundesvolk zu bestellen, allein in Wien, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg fällt die Entscheidung über die künftige Zusammensetzung der Landtagsstuben. Daß im „Bundesland“ Wien Landtag und Gemeinderat nahezu identisch sind, ist eine Tatsache, die im Bewußtsein breiterer Schichten bis heute noch nicht verankert ist; sie sei deswegen in Erinnerung gerufen.

Weit über die Hälfte aller wahlberechtigten Oesterreicher werden in diesem Herbst zu den Urnen gehen. Ohne Zweifel ein innerpolitisches Ereignis ersten Ranges! Worum geht es zunächst in den Ländern? Wenn wir die eigenständige Entwicklung, die das Land vor dem Arlberg in vielen innerpolitischen Fragen einnimmt, diesmal außer acht lassen, so muß zunächst in Salzburg die Aktivität jener Kreise erwähnt werden, die unter dem „antiklerikalen“ Aspekt Sozialisten und Leute des „nationalen Lagers“ auf einen Nenner zu bringen versuchen, um die feste Stellung, die hier die Volkspartei in der Führung der Landespolitik hat, zu untergraben. Allein die offene Persönlichkeit des gegenwärtigen Landeshauptmanns . nimmt solchen Parolen vieles an Durchschlagskraft. In Niederösterreich und in Wien wird mit verkehrten Fronten gefochten. Im Land unter der Enns hat die Volkspartei gegenüber den hart nach- nachdrängenden Sozialisten ihre Mehrheit zu verteidigen. Dank schöner Erfolge auf vielen Gebieten der Verwaltung sowie durch einen Burgfrieden in dem Zwist zwischen den bäuerlichen Wählern und jenen aus den Kreisen des Handels und Gewerbes in der Frage der Genossenschaften darf man annehmen, daß die erste Regierungspartei sich hier behaupten wird. In Wien haben großzügige Zukunftsperspektiven realistischen Erwägungen Platz gemacht. Diskutierte man noch vor einigen Jahren da und dort eine „Eroberung des Rathauses“, so beschränkt man sich nun darauf, gegen die absolute sozialistische Mehrheit anzukämpfen. Einige tausend Wählerstimmen werden entscheiden. Hauptanliegen ist eine Aenderung der stark autoritäre Züge aufweisenden Gemeindeordnung, die es dem Bürgermeister möglich macht, jederzeit einen bei einem Stadtrat liegenden Akt zur Erledigung an sich zu ziehen. Interesse verdient auch die Entscheidung der bei der letzten Wahl auf 124.0Q0 sprunghaft angestiegenen WdU- Wähler. Unmöglich, sie alle der alten Firma zu erhalten; darüber macht man sich auch im Lager dieser Wahlpartei keine Illusionen. Allein: wird der „Trommler“ Stüber, der ja eine nicht unbeträchtliche Anzahl ehemaliger Wiener VdU-Aktivisten zu sich hinüberziehen konnte, die kornblumenblauen Kernschichten für seine Dissidentengruppe gewinnen können? Wenn ja, dann rückt das Ende des VdU in seiner gegenwärtigen Form nahe. Wie viele ehemalige WdU-Wähler dagegen werden sich diesmal für eine Großpartei entscheiden — und dann für welche? Fragen über Fragen, die der 17. Oktober beantworten wird.

An ihm fallen aber noch andere Entscheidungen.

Es bedürfte nicht einmal des schon etwas viel benutzten Schlagwortes von den „Barometerwahlen“, um deutlich zu machen, daß der Ausgang der „kleinen Wahlen“ im Herbst 1954 zweifelsohne auch Einfluß auf die Bundespolitik, ja auf den Termin der nächsten „großen Wahl“ in den Nationalrat haben wird. Es ist ein offenes Geheimnis, daß nur eine Festigung der Position der ersten Regierungspartei oder zumindest eine Stabilität in der Länderpolitik eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit der beiden großen Parteien am Regierungstisch sichert. Ein merkliches Ausschlagen der Barometernadel nach links könnte ohne Zweifel jene (weniger Stürmer, dafür aber) Dränger im Lager des österreichischen Sozialismus ermuntern, die ständig nach einer günstigen Gelegenheit Ausschau halten, das große Spiel zu wagen, um — endlich, endlich — vom zweiten auf den ersten Platz vorzurücken. Die weiteren Stationen unserer Innenpolitik ließen sich unschwer erraten: eine versteifte Haltung bei den Beratungen über den Staatshaushalt 1955, ergebnislose Verhandlungen, Regierungskrise, vorzeitige Parlamentsauflösung und Neuwahlen im Frühjahr 1955. Mit anderen Worten: die österreichische Politik träte in eine Phase äußerster Unsicherheit. Und das ist gerade das Gegenteil von dem, was wir angesichts der gegenwärtigen außenpolitischen Lage und — nicht zu vergessen — bei den vorhandenen virulenten wirtschaftspolitischen Fragen im Innern brauchen können.

Der hochpolitische Charakter, den die kommenden Urnengänge tragen, sei klar erkannt. Ebenso ist es bei der gegebenen Situation wohl naheliegend, daß sich am 17. Oktober hauptsächlich ein Duell zwischen den beiden großen Parteien abspielen wird. Wir halten das Wort „Duell“ fest. Und dies mit gutem Grund. Wenn man nämlich in den Kreis engerer Parteifunktionäre der einen oder anderen Couleur kommt, so könnte man nämlich aus ihren finsteren Mienen und ihrem Wortschatz entnehmen, daß sich an jenem Sonntag im Herbst — wir halten noch einmal fest, es sind eigentlich Landtagswahlen — ein Entscheidungskampf um das Schicksal Oesterreichs, ja, was heißt Oesterreichs: um die Zukunft des Abendlandes, um das Wohl und Wehe der Menschheit abspielen wird. Vor der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern kann es nicht entschlossener zugegangen sein

Natürlich wird die Entscheidung zwischen Volkspartei und Sozialisten ausgetragen; daneben aber sollte eigentlich nicht vergessen werden, daß es in diesem Staat auch noch andere politische Gruppen gibt, die, mögen sie auch zur Zeit zahlenmäßig gering sein, nicht aus den Aügen verloren werden dürfen. Die beiden großen Parteien aber werden nicht nur nach den Landtagswahlen, sondern auch noch — ein Blick auf die Weltlage wird jeden klardenkenden Menschen überzeugen — nach manchem anderen Wahlgang wieder ins Gespräch kommen müssen.

Die Fernwirkungen auch lokaler Wahlen klar zu erkennen, dabei aber nicht in eine der eigenen Sache und dem ganzen Volk nur schädlichen „Ueberdramatik“ zu verfallen: das scheint uns ein wesentlicher Posten in einer Zwischenbilanz im „kleinen Wahljahr“ 1954 zu sein.

Der österreichische Regierungschef weiß ein Lied davon zu singen, wie seit Wochen und Monaten jede sachliche Arbeit unter dem in Hinblick auf die Herbstwahlen durchgeführten parteitaktischen Manöver leidet. Daß cs über den Block der sogenannten „Wirtsdiaftsgesetze“ "mit einigen Ausnahmen doch noch vor den Parlamcntsferien zu einer Einigkeit kommen konnte, erscheint beinahe als ein kleines Wunder.

Ein solches „Wahlkampfklima“ nimmt man, wenn es gar nicht anders gehen will, alle vier Jahre geduldig in Kauf. Jedes Jahr oder womöglich jedes halbe Jahr aber erleben zu müssen, wie der Kessel der politischen Leidenschaften wegen irgendeines lokalen Wahftermines angefeuert wird, ist eine starke Nervenbelastung für die Männer am Steuerruder unseres Gemeinwesens und auch kein besonderes erbauliches Schauspiel für den denkenden Staatsbürger. Deshalb gewinnt die Einsicht an Boden, daß die verschiedenen „kleinen Wahlen“ in Zukunft wieder mit den „großen“ zusammenfallen sollen. Diese Einsicht, die auch der Bundeskanzler zu seiner eigenen gemacht hat, fand freilich auch ihre Kritiker. Diese wollen in der Zusammenlegung der Wahltermine eine „Gleichschaltung“ erblicken, die den Wählern ihr Recht nimmt, außer den Terminen der „großen Wahlen“ mit dem Stimmzettel ihren Beifall ebenso wir ihr Mißtrauen auszudrücken. Auch auf die Lehren, die die Parteien aus solchen Zwischenbilanzen — wenn sie klug sind — zu ziehen imstande sind, wird hingewiesen. Ein weiteres Argument der Kritik betont, daß bei der

Zusammenlegung der Wahltermine die Bundespolitik allzusehr die speziellen Fragen der Landes- und Gemeindepolitik überspielt. Gerade letzteres ins Treffen geführte Bedenken würde schwer wiegen, wenn bei den lokalen Wahlen wirklich lokale Fragen im Vordergrund der Diskussion stünden und nicht Probegalopps für künftige Bundes- wahlcn ausgetragen würden. Bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge geht es vielleicht noch bei Gemeindewahlen wirklich um

Fragen der Gemeindepolitik, Landtagswahlen aber werden ohne Zweifel stets von der „großen Politik“ des Bundes überschattet. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich ein klarer Kompromißvorschlag: Gemeinde wahlen sollen wie bisher ihre gesonderten Termine beibehalten, was aber die Landtagswahlen (für die Bundeshauptstadt sind sie gleichbedeutend mit der

Wahl in die Gemeindestube) betrifft, so spricht sehr viel dafür, durch Landesgesetze dafür zu sorgen, daß sie wieder mit den Nationalratswahlen terminmäßig abgestimmt werden.

Die alte Lehre gilt noch heute: Oft wählen ist beinahe genau so schlecht wie überhaupt nicht wählen.

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