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Zwist im Storting

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Insgesamt abgegebene Stimmen: 1,826.424.

So verschieden die politischen Verhältnisse in Norwegen im Vergleich zu den unsrigen in Österreich sind, lohnt es sich dennoch, den Ausgang der jüngsten Wahlen ins norwegische Parlament, in den Storting, zu studieren. Er trägt nämlich eine Reihe von Zügen, die für uns und manche unserer Parteien von Interesse sind.

So mögen zum Beispiel für unsere Sozialistische Partei die Umstände von Interesse sein, unter denen ihre norwegische Bruderpartei nun zum erstenmal seit Kriegsende ihre absolute Mehrheit im Parlament — ähnlich der „Mapai“ in Israel wenige Wochen vorher — eingebüßt hat.

Die norwegische Arbeiterpartei — die übrigens schon seit 193 5 kontinuierlich, auch während der Besetzung des Landes durch die deutsche Armee im Exil in London, die Regierung gebildet hat — wird als die soziale Reformpartei angesehen und kann auf zahlreiche Erfolge beim Aufbau des norwegischen Wohlfahrtsstaates und der Industrialisierung des Landes verweisen. Die deutsche Besetzung und alles, was es erlitten hat, haben Norwegen nach dem zweiten Weltkrieg (ebenso wie etwa Dänemark) jede Lust genommen, zu seiner früheren Neutralität zurückzukehren. Die Arbeiterparteiregierung trat deshalb der NATO bei und genoß hierbei die Llnterstiitzung aller anderen Parteien, mit Ausnahme der Kommunisten, eines kleinen Teils der Liberalen und des linken Flügels in der Arbeiterpartei selbst. Dieser linke Flügel plädierte in den letzten Jahren für den Austritt Norwegens aus der NATO, für eine neutralistische Haltung und gegen den Beitritt Norwegens in die EWG’PEs’ kam zur Absplitterung und zur Bildung einer neuen Partei, der Sozialistischen Volkspartei, die zur allgemeinen Überraschung zwei Mandate bei den jüngsten Wahlen errang. Den norwegischen Wahlverhältnissen zufolge (bei denen nicht die Gesamtzahl der für eine Partei abgegebenen Stimmen, sondern die proportionell im Wahlkreis gewonnenen Mandate maßgebend sind) hat die Sozialistische Volkspartei viermal soviel Stimmen gewonnen, als ihre „Mutterpartei", die Arbeiterpartei, eingebüßt hat. Dabei hat die Sozialistische Volkspartei eines ihrer beiden Mandate gleichfalls nicht der Arbeiterpartei abgenommen, sondern der Liberalen Partei in Oslo, nämlich dem dort neutralistisch eingestellten radikalen Flügel. Zweifellos aber hat auch die Sozialistische Volkspartei dazu beisetraeen. daß die Kom-

munisten diesmal ihr letztes und einziges Mandat im Storting eingebüßt haben. Der gegebene Anlaß hierfür waren selbstverständlich die jüngsten sowjetischen Atombombenversuche, die immerhin nur 650 Seemeilen von der norwegischen Küste vor sich gingen. So hat denn auch der ehemalige kommunistische Stortingabgeordnete Gottfried Hoelvold nach seiner Wahlniederlage nicht ohne Bitterkeit in aller

,,Öffentlichkeitwjerklärt: „Mich" iSM Chruschtschow aus dem Storting het- auSgetö ftRT’lÄe. ‘ItP hat 1945 zwöl’l Vertreter im Parlament gehabt.

Gegen und für etwas

Entscheidend für den Stimmenverlust der Arbeiterpartei dürfte auch gewesen sein, daß sich hier die Regel, daß es leichter ist, Wähler gegen etwas als für etwas zu mobilisieren, wieder einmal bewiesen hat. Wohlfahrtsstaat und die Herrschaft der Arbeiterpartei werden von ihren Anhängern als selbstverständlich angesehen, und so ist sogar das Auftreten „zorniger" Linker, wie der neuen Sozialistischen Volkspartei, kaum als etwas anderes, denn als eine Art Magenbitter gegen durch die Wohlfahrtssattheit hervorgerufene moralische Magenverstimmungen anzusehen, die charakteristischerweise vor allem außenpolitisch empfunden werden.

Gegen den Wohlfahrtsstaat hat sich keine der nichtsozialistischen Parteien in der Wahlpropaganda ausgesprochen, höchstens haben sie erklärt, daß er mit weniger Steuern und weniger staatlicher Einmischung und mehr Privatinitiative verknüpft werden soll und kann. Das hat ihnen zwar mehr Stimmen im großen und ganzen, aber nur wenig mehr Mandate eingebracht, jedenfalls nicht einmal genug, um eine bürgerliche regierungsfähige Minderheit zustande zu bringen.

Wohl aber wird die Arbeiterpartei, obwohl sie keine absolute Mehrheit mehr besitzt, imstande sein, wieder eine Regierung, aus ihren eigenen Reihen und ohne Aufnahme von anderen Parteivertretern, zu bilden. Sie wird in den meisten inner- und sozialpolitischen Fragen die Unterstützung der - wenn auch feindlichen — neuen sozialistischen Bruderpartei und damit eine — wenn auch prekäre — Mehrheit von einer Stimme erhalten. Sie wird anderseits in allen außenpolitischen Fragen - insbesondere des weiteren Verbleibens Norwegens in der NATO und der nach diesem Wahlausgang und der Zunahme bürgerlicher Stimmen ziemlich gewissen Annäherung Norwegens an die EWG — die Unterstützung der bürgerlichen Parteien gegen die zwei Vertreter der Sozialistischen Volkspartei genießen.

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