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1000 Jahre chinesische Malerei

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„Je tiefer man in das Wesentliche der Kunst eindringt, desto einheitlicher, unwandelbarer erscheint sie, unbeschadet des Wandels in ihren Formen.“ Dieses Wort des jungen Hofmannsthal hätte ein treffliches Motto abgegeben für eine der schönsten Ausstellungen des bewegten Kunstjahres 1959, in dessen Verlauf — noch verwirrender als in früheren Jahren — der Formenwandel in den bildenden Künsten überreich zur Schau gestellt wurde. Der im Haus der Kunst in München gebotene Querschnitt durch „1000 Jahre chinesische Malerei“ mußte bei knapp zweihundert sorgfältig aus einer vielfachen Menge ausgewählten Bildern notgedrungen didaktisch-summarisch bleiben; dennoch war gerade diese Schau wie selten eine im vergangenen Jahrzehnt dazu geeignet, das „imaginäre Museum“ jedes Kunstfreundes entscheidend zu bereichern. Darüber hinaus bot sich jedem Besucher, der mehr als ein paar flüchtige Stunden der ruhigen Betrachtung der stillen, sublimen Meisterwerke aus einem Jahrtausend widmete, die (trotz Diskussionen und Fluten mehr oder weniger gediegener Kunstpublikationen kaum wahrgenommene) Gelegenheit, in das Wesentliche der Kunst einzudringen; eine Gelegenheit, die sich beispielsweise weder den Besuchern der „docu-menta II“ (in Kassel) noch den Betrachtern der unter dem Titel „Die Vitalität in der Kunst“ zusammengefaßten Werke (in Venedig) bot, um nur zwei von den trotz permanenten Propagandatrommelfeuer meistumstrittenen Ausstellungen des abgelaufenen Jahres zu nennen . .

Während es Literatur über die Malerei in China seit eineinhalb Jahrtausenden gibt, ist die objektive Einschätzung und wissenschaftliche Erforschung chinesischer Malerei im Westen ein Verdienst der Gelehrten der letzten hundert Jahre: Vor allem durch die Vermittlung Japans (Malerei des Zen-Buddhismus!) und des wegebahnenden Museum of 1 Fine Arts (Boston), das eine der reichsten Sammlungen orientalischer Kunst besitzt, wurde die Grundlage für die Münchner Ausstellung geschaffen, die dank fortgeschrittener philologischer, historischer und Siegelschnittvergleichsmethodik (die meisten Bilder tragen Aufschriften und Siegel!), dank Pigmentanalyse und anderer Untersuchungsverfahren ausschließlich echte Werke zeigen konnte.

Die Aufstellung der intimen Bilder im.Haus der Kunst (in drei. Sälen bei sehr gedämpfter Beleuchtung unter Glas, zum Teil in Vitrinen) widersprach allerdings in zweierlei Hinsicht dem Wesen und Zweck dieser Werke: wurden sie doch (abgesehen von religiösen Kultbildern) nicht als Wanddekoration geschaffen; daneben waren ungünstige Lichtverhältnisse und vielfältige Spiegelungen, die das Betrachten wiederholt sehr erschwerten, das zweifellos größere Übel.

Der Bogen der Ausstellung reichte von den manieriertesten Färb- und Tuschmalereien einiger T'ang-Meister über Quer- und Hängerollen aus neun Dynastien bis zu Albumblättern aus der Zeit der Mandschuherrscher. In den subtilen Pinsel- und Fingermalereien aus dem 9. bis 19. Jahrhundert fanden sich erstaunlich viele Stilrichtungen und „Ismen“ aus dem Bereich der europäischen Kunst vorweggenommen, obwohl es sich vorwiegend um Landschaftskompositionen In kleinen und kleinsten Formaten handelte. Und von den sparsamsten Fächerbildern — die als „Eineckbilder“ bekannt wurden, weil der relativ kleinen, auf einer Seite der Bildfläche angeordneten Darstellung ein verhältnismäßig großer, leerer Raum gegenübersteht — ging spürbar mehr Anspruch aus als von den meisten in Kassel ausgestellten Gemälden, die sich wohl nach Quadratmetern, doch kaum nach ästhetischen Gesichtspunkten bemessen ließen ...

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