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130 Bilder und kein rechter Eindruck

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In der Ausstellung amerikanischer Malerei in der Akademie der Bildenden Künste sieht man 130 Bilder und Zeichnungen! aber ein bezeichnendes Bild von der gegenwärtigen Malerei in den USA erhält man In Ihr nicht. Liegt es an den Künstlern? Die Namen der Leihgeber, einige Bekanntschaften, die wir Im vergangenen Jahr auf der venezianischen Biennale geschlossen haben und hier wieder' finden und die zweifellos auf Repräsentation bedachte Gestaltung dieser Ausstellung, die ja durch halb Europa wandern soll, lassen immerhin schließen, daß die Künstler, deren Bilder hier gezeigt werden, zu den Arrivierten und Anerkannten unter den amerikanischen Malern gehören. Wenn dem aber wirklich so ist, dann kann man von einer amerikanischen Malerei im eigentlichen Sinn vorderhand kaum sprechen: denn diese Stile und Ismen kommen aus Paris, Italien und Deutschland, und jedes dieser Bilder — mit Ausnahme einer Reihe von eher illustrativen Zeichnungen — könnte auch anderswo entstanden sein. Es fällt uns allerdings auf, daß die Aussteller fast durchwegs der Generation um 1900 angehören, von der Produktion der etwa Dreißigjährigen — die im europäischen Kunstleben eine wirklich recht bedeutende Rolle spielen — aber nichts gezeigt wird. Mag sein, daß sie dem unklaren Eindruck, den die Akademieausstellung von der Malerei der Neuen Welt bietet, schärfere und charakteristische Kontüren verleihen könnten. Wir wissen es nicht. Wohl aber scheint es uns, daß diese Exposition weitaus größere Aufmerksamkeit beanspruchen könnte, wenn man nicht einen allgemeinen Uberblick hätte erzielen wollen, sondern statt dessen einigen wirklichen Spitzenkönnern größeren Raum gegönnt hätte.

Eine oder zwei Arbeiten genügen in den seltensten Fällen, um einem Beschauer, der voraussetzungslos an sie herantritt, die wirkliche Begabung und Bedeutung des betreffenden Künstlers offenbar zu machen. Der Kritiker zum Beispiel hat — teils au» Zufall, teils weil es seine Profession ist — Reproduktionen von etwa zwanzig Bildern Ben S h a h n s gesehen und kann sich infolgedessen die Annahme gestatten, daß Ben Shahn ein bemerkenswerter Maler ist und mit Elan und einer gewissen groben Intelligenz wuchtige Kompositionen baut, die zwar selten befriedigen, aber fast immer einen ziemlich nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Seme zwei — auch noch wert auseinandergehängten — Bildet in der Akademie allein ließen auf eine solche Begabung kaum schließen: die robust gemalten Arbeiterköpfe auf dem einen und der kannibalisch bunte Melonenesser auf dem anderen wirken zwar jedes für sich interessant — das eine als Beispiel eines „sozialen Realismus“, wie er wohl zu imponieren vermöchte, das andere als Exempel einer sehr modernen Flächenmalerei —, aber erst die Kenntnis der ein wenig schreckhaften Traumbilder Shahns schafft die Brücke zwischen beiden und läßt diesen Künstler merkwürdig und in seiner Art bedeutsam erscheinen. Ähnlich geht es mit der „Synagoge“ Hyman Blooms', dem auf der letzten Biennale im amerikanischen Pavillon viel Platz eingeräumt war: ein Maler, der seine halb kabbalistischen Motive in Zuständen malt, die ekstatisch, schizophren rauschhaft sein könnten — es ist schwerer, das zu sagen, als seine Bilder zu loben, deren

Expressionismus aus geheimnisvolleren Quellen stammt als etwa der von Philip Evergood oder Lee Match Aber auch im Falle Blooms' bedürfte es mehr als nur der „Synagoge“, um den Namen dieses Malers zu einem Begriff zu machen, über den Altmeister der amerikanischen Malerei, Winslow Homer, und den Zeitgenossen Morris Graves haben glücklicherweise schon frühere Wiener Ausstellungen ausführlich berichtet: hier darf man sich freuen, feste Vorstellungen bestätigt und erweitert zu finden — von Homer als einem stillen, bedäächtigen Schilderer neu-englischer Landschaft und Lebensart und von Graves als einem ausgezeichneten Techniker, der sich in subtilen und sehr persönlichen Chinoiserien ergeht, womit er sich selbst und sein Publikum zu entzücken weiß. John Marin, der Achtzigjährige, ist mit zwei Arbeiten vertreten, die, wir müssen es schon wieder sagen, von der Eigenart und dem Können dieses Spätimpressionisten gerade hoch einen schwachen Abglanz vermitteln. Kuniyoshi — dessen Temperament dem Ben Shahns verwandt zu sein scheint — und Motherwell sind uns aufgefallen, ebenso die eine oder andere graphische Arbeit; aber was bei noch unbekannten Bildern und Malern schon schwer ist — bei Graphikern und Zeichnungen ist es unmöglich: je ein Stein von siebzig verschiedenen Häusern ergibt noch nicht das Modell eines einzigen.

Und wenn wir nun noch einmal aus dieser Ausstellung schließen wollten, was typisch für die amerikanische Malerei von heute ist, so wissen wir nur zu sagen: eine gewisse Un-voreingenommenheit, eine schöne Selbstverständlichkeit, mit der da die Kunst bei diesem oder jenem Zipfel ihres faltenreichen Gewandes gepackt wird. Aber das ist schon Psychologie, nicht mehr Kunstgeschichte und -kritik.

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