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Abbild der Ökumene

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Die Linie 71 endet nun nicht mehr am Zentralfriedhof. Der Tod, das I.eben, Leib und Seele finden sich hier in nächster Nähe wohlversorgt: Zwischen 3.000 und 3.500 Wohnungen für siebentausend Wiener, fertig und noch in Bau, stehen heute dort, wo vor drei Jahren noch Glashäuser für frische Gurken sorgten.

Doch das wirklich Interessante an diesem Weichteil der Stadt sind die zwei Kirchenbauten, die hier für das seelische Wohl der Bewohner sorgen sollen. Eine davon, ein komplizierter geometrischer Baukörper wurde heuer, am Sonntag, dem achten Juni, eingeweiht.

Bescheiden ragt das Kreuz Christi als ausgesparte Fläche eines höheren Mauerbogens in den Himmel. Ein Kreis bildet den Altarraum, von außen klar als Apsis erkennbar, während der übrige Kirchenraum eine Ellipse bildet, die dieses Aller -heiligste einfaßt. Der innere Aufbau der Kirche ist traditionell, genauso wie die symbolische West-Ost-Ausrichtung der Längsachse. Schon Moscheen und Synagogen kennen die Bedeutung dieses Winks nach Jerusalem. Zum Platz hin steigt das Dach mutig an, das Glas in der Fassade täuscht Transparenz vor. Die Elemente für die Eingangsfront sind raffiniert, Verbundscheibenglas mit einer hauchdünnen Schicht geschliffener Marmorplatten läßt das Sonnenlicht in den Kirchenraum fluten und schützt die Gäubigen dennoch vor neugierigen Blicken.

Außerdem umwickelt eine ansteigende Mauer den Sakralbau. Drei Architekten haben an der gefinkelten

Form gearbeitet, um die Kirche mit ihrer wunderbaren, selbsttragenden Holzkonstruktion zu einem harmonischen Ganzen werden zu lassen. Dombaumeister Wolfgang Zehetner, Walter Zschokke und Walter Hans Michl haben mehr als ein Bauwerk geschaffen. Sie haben sich mit den Varianten der Liturgiefeier auseinandergesetzt. Der Altarraum läßt sich durch verschiebbare Hochsitzelemente zum Zentralraum einer Wochentagskapelle abschließen, während die geöffnete Version eine Prozessionskirche schafft. Außerdem kann man diese Kirche als gebaute Dokumentation ei -nes ökumenischen Zustandes sehen.

Die ursprüngliche Idee war zu schön, um wahr zu werden: symbolisch für eine transparente Kirche, einander ähnlich wie ein Ei dem anderen sollten nach den Vorstellungen des Architekten Christoph Thetter vom Atelier in der Schönbrunner Straße zwei gläserne Kuben wie Juwelen in der Sonne die neu entstehende Wohnbauvielfalt schmücken. Das Konzept für die zwei Kirchen, eine evangelische und eine katholische, stammt aus dem Jahr 1972. Engagiert und idealistisch wurde es Anfang 1989 wieder ausgegraben. Die Gemeinde Wien und der Architekt blickten schon stolz auf die gebaute Idealvorstellung der Ökumene, als alles anders wurde.

Die kirchliche Wirklichkeit holte einen wohldurchdachten Gemeinschaftsentwurf rasch auf den Boden der Realität zurück. Der Gedanke zerbracht so schnell wie das Glas, aus dem er realisiert sein wollte. Dazwischen liegen ein Wettbewerb, in dem sich der damalige Erzbischof Hans Hermann Groer für die steinerne Variante entschied, sowie eine komplizierte und langwierige Planungsgeschichte. Von der gläsernen Transparenz ist selbst auf evangelischer Seite nur noch die Erdgeschoßzone über.

Betrachtet man die Sache rein demokratisch, hat sie sogar ihre Richtigkeit. 300 evangelische Bewohner werden nach Schätzung von Dom-baumeister Zehetner etwa dem Zehnfachen an Katholiken gegenüberstehen. Die Mehrheit fühlte sich von der Gemeinde Wien in der gemeinsamen Planung überrollt. Seitdem hat die Bealität den Traum überrumpelt. Zwei vollkommen unterschiedliche Kirchenbauten schmücken nun die schlüsselfertige Stadtlandschaft. Das transparent offene Glas ist einem evangelischen Holzkubus gewichen, die katholische Kirche präsentiert sich traditionell verputzt in einer organischen Formensprache, wie ein Schneckenhaus gerahmt in eine steinerne Mauer. Treffender könnte man den Status quo der ökumenischen Diskussion baulich nicht ausdrücken.

„Die Kirche ist keine moderne Expositionsfläche mehr”, empfindet Dombaumeister Zehetner die Wahl eines Glaswürfels als Ausdrucksform für einen heutigen Sakralbau als „Themaverfehlung”. Glaube sei etwas Intimes, Introvertiertes, ein Sich-Versenken, und da habe Transparenz nichts verloren. Diese Auffassung zieht sich bis in den Innenraum hinein, wo der Altarraum noch schließbar zu einer eigenen Kapelle zu machen ist. Beten läßt sich hier sicher ungestört.

Von außen gibt sich die Kirche trotz ihrer auffallenden Formensprache bescheiden. Kein hoher Turm ziert sie, statt dessen bildet sie mit einer umwickelnden Mauer einen intimen Vorhof. Zugegebenermaßen nicht gerade eine Geste der Öffnung zum kleinen Glaubensbruder hin, aber wenigstens ein klares Statement. Diese Kirche ist in jeder Hinsicht traditionell: es gibt einen Kreuzweg, eine Beichtr gelegenheit sowie einen Glockenturm.

Wie die evangelische Kirche aussehen und feiern wird, läßt sich erst Ende des Jahres sagen. Obwohl sie kleiner ist als ihre katholische Schwester, schmücken noch Baumaschinen den heiligen Boden. Erst mit der Fertigstellung beider Kirchen und der letzten Schlüsselübergabe am leber-berg wird dieses ökumenische Experimentierfeld wirklich beginnen.

Ene Hoffnung bleibt dennoch: ein Kindergarten liegt zwischen den beiden ungleichen Schwestern, und was die Erwachsenen nicht zustandebringen, könnte den Kleinen ja gelingen.

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