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Abend am Nil

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Bei einem Aufenthalte in Ägypten habe ich mir die Frage gestellt, wann während eines Tagesablaufes mir am meisten zum Bewußtsein kam, daß ich mich in der Fremde befand; ob in den Morgenstunden, wo das Land nach dunkler Nacht mit einer neuen Helle über den Mokattambergen erwacht, ob zur Mittagszeit beim hohen Sonnenstande, wenn unter dem nahezu nächtlich-dunkelblauen Gewölbe des Himmels alle Farben der Erde ihre Kraft verlieren und mit einem blassen Weiß überhaucht erscheinen, oder am Abend, wenn die Sonne im Westen über der Sahafawüste niedergeht.

Diese Zeit ist in meiner Erinnerung voll des höchsten Zaubers. Sie beginnt mit dem Augenblicke, da die Sonnenscheibe an dem wolkenlosen Himmel den linienhaften Rand der Ebene im Westen berührt, und währt, bis eben dort die letzte Abendhelle wie ein in sich versterbendes, zusammensinkendes Feuer erlischt. Zwei Gründe tragen hiezu bei: der Bogen, in dem die Sonne sich zur Erde niedersenkt, ist hier steiler als bei uns in nördlicheren Breiten, und die Luft über dem Lande im Westen, über der endlos sich hindehnenden Sandwüste der Sahara, ist von einer geradezu vollkommenen Reinheit und ungewöhnlich hohen Durchlässigkeit für Lichtstrahlen. So kommt es, daß das Abendrot wohl nicht so früh wie bei uns einsetzt, dann aber mit besonderer Stärke auftritt und emporloht.

Will man das Schauspiel mit seinen einzelnen Übergängen beobachten, so bleibt nichts übrig, als Abend für Abend an den Nil hinauszugehen oder auf das Dach zu steigen, um die Veränderungen, die rasch aufeinanderfolgen, zu erfassen.

Wenn die Sonne sich dem Rande der Sahara nähert, füllt sich die Luft mit einem silbergleißenden Glänze an. Dieser reicht aber nur bis zu einer gewissen Höhe am Himmel. Darüber leuchtet der Himmel noch in einem reinen Blau wie bei Tage.

Inmitten dieses flutenden und glutenden Leuchtens sinkt die Sonne nieder und färbt sich von Weiß auf Weißgelb und Gold um. Die Scheibe bleibt hiebei bis zu dem Augenblicke, wo sie verschwindet, trotz ihres goldenen Prangens vollkommen scharfrandig und klar.

Ist die Sonne gesunken, so kommt der eigentümliche Augenblick, wo alles noch hell wie am Tage und ohne Schatten daliegt. Eben weil die Lufträume so dunstfrei sind, zeigt der Himmel zunächst nur eine schwache Rückstrahlung der untergegangenen Sonne in den erdnahen Luftschichten.

Alsbald aber beginnt es, räumlich gesehen, weiter draußen und tiefer als bei uns in den inneren Lufträumen in reinstem Rotgold zu leuchten und zu strahlen. Während hierzulande das Abendrot, auch in seiner stärksten Entfaltung, nicht allzu hoch in den Himmel hinauf und rechts und links über die Stelle, wo die Sonne untergeht, nicht allzu weit hinausreicht, steigt es dort, im afrikanischen Lande, rasch höher und höher. Der Vorgang vollzieht sich mit einer solchen Schnelligkeit, als würde die Luft sich selbst entzünden und in Brand geraten. Zu gleicher Zeit verändern sich die Farben in den übrigen Teilen des Himmelsrundes. Während der Himmel anfangs noch lange seine tagblaue Farbe bewahrt, stellen sich später von der Westmitte bis zur Ostmitte die herrlichsten Farbenübergänge ein, von einem strahlenden Hochrot zu einem strahlenden Goldgrün, Grünblau und tiefen Violett. Im Gegenpunkte der Stelle im Osten, wo die Sonne unterging, zeigt der Himmel ein Dunkelviolett, das sich wie eine dichte Wand ansieht.

Der Zauber der Farben kommt einem besonders zum Bewußtsein, wenn man sich im Schauen von Westen ab nach Osten wendet und die Augen über der Stadt Kairo ruhen läßt. Alle Gebäude, die hohen Paläste mit den flachen Dächern und glatten Wänden sowie die armseligen Hütten aus Schilfrohr und Lehm, stehen in einem goldenen Widerglanz unter dem tief violetten Osthimmel. Die Fächer der Palmen, auf ihren schlanken Stämmen mehr schwebend als von ihnen getragen, sehen aus, als wären sie aus kostbarem Metall ausgeschnitten. Die trägen Wasser des Nils drängen als ein Strom von Farben gegen Norden.

Die Ibisse, die immer um diese Zeit dem Wasser entlang von Norden nach Süden zurückfliegen, leuchten vor dem violetten Hintergrunde des Himmels wie Vögel mit goldenen Schwingen.

Es ist, als würde man nicht in eine wirkliche Landschaft, sondern auf eine grell bemalte Bühne blicken. Die ganze Herrlichkeit erlischt jedoch eben so rasch, als sie aufgeflammt ist. An einem einzelnen Abend kann man sich daran gar nicht satt sehen.

Die Einheimischen sind an dieses Schauspiel gewöhnt. Doch darf man das nicht so auffassen, als ob es auf sie überhaupt keinen Eindruck machte. Schon die alten Ägypter sahen in der leuchtenden Glut des Abends gleichsam die geöffneten Tore des Himmels; daher bauten sie alle ihre Pyramiden auf die Westseite des Nils, dorthin, wo die Augen jeden Abend dem Lichte nachsahen, das an einen Ort hinzog, wohin ihm die Lebenden nicht zu folgen vermochten.

Kein Zufall ist es auch, wenn einer der schönsten liturgischen Lichtsprüche der frühchristlichen Zeit, wie sie beim Anzünden des Lichtes vor dem gemeinsamen Gebete Sitte waren, hier seine Heimat hat. Der Hymnus, der sich in einem alten Bibelkodex von Alexandria findet, beginnt auf griechisch mit den Worten „Phos hilaron“, das ist „seliges Licht“. Der heilige Basilius führte ihn als Beweis für den Glauben der Urkirche an den Heiligen Geist an. An einer anderen Stelle schreibt er ihn dem Märtyrer Athena-goras zu. Da er die Väter daselbst in zeitlicher Reihenfolge nennt, kann man annehmen, daß dieser Hymnus, dessen Text hier folgt, vor dem Ende des dritten Jahrhunderts entstanden ist.

Seliges Licht '

Der heiligen Herrlichkeit

Des himmlischen Vaters!

Angelangt bei dem Sinken der Son;

Schauend die Abendleuchte,

Preisen den Vater und den Sohn

Und Gott wir, den Heiligen Geist.

Recht ist es ja, daß zu allen Stunden

Mit heiligen Stimmen man preise,

Dich, den Sohn Gottes, der das Leben du gibst;

Darum verherrlicht denn auch die Welt dich.

Wie unmittelbar und allbeherrschend hier das Licht als Sinnbild im Vergleich mit anderen liturgischen Lichtsprüchen oder entsprechenden Gebeten gebraucht wird, offenbart sich, sobald man mit diesem Hymnus ein Gebet vergleicht, das in Europa beim Anzünden des Lichtes gebetet wurde. Wie eine Bestimmung des Konzils von Toledo vom Jahre 400 zeigt, hatten, wie es in Ägypten wohl auch geschah, die Chri ten auch hier die Sitte angenommen, beim Anzünden der Öllampe zu Hause die gleichen Lieder zu singen oder die gleichen Gebete zu sprechen, die sie in der Kirche beim Vollzuge der Abendliturgie hörten. Einen solchen altliturgischen Lichtspruch stellt zum Beispiel das Gebet dar, das heute noch die Feuerweihe am Karsamstag einleitet und lautet:

Herr und Gott, allmächtiger Vater. Licht, das kein Abnehmen kennt, und Schöprer aller Lichter, heilige dieses Licht und gewähre uns, daß wir nadi der Dunkelheit dieses irdischen Lebens reinen Sinnes zu dir, dem niemals erlöschenden Lichte, gelangen mögen.

A diesem Gebete ist das Sinnbild des Lichtes in einer Weise gebraucht, daß neben dem Lichte die Finsternis als etwas erwähnt wird, das auf bedrohende Weise das Licht umschließt. Der Verfasser des ägyptischen Hymnus hingegen sieht gleichsam in ein Licht, das sein Auge ganz erfüllt. Eine derartige Verwendung des Lichts als Sinnbild war in einem Lande, in welchem die Sonne sozusagen das ganze Jahr an einem wolkenlosen Himmel ihren hohen Bogen zieht, besonders naheliegend und sprach hier mehr als in nördlichen Ländern die Gemüter aus dem eigenen Erleben des Lichtes an.

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