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Aber manche wollen alles hören

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Moderne-Musik-Kurator Lothar Knessl über den Länderschwerpunkt Amerika, über Programmaspekte, Zuhörerschichten und die Unterhaltsamkeit von Musik.

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Moderne-Musik-Kurator Lothar Knessl über den Länderschwerpunkt Amerika, über Programmaspekte, Zuhörerschichten und die Unterhaltsamkeit von Musik.

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Wien modern“ - das Festival der neuen, überwiegend bis ausschließlich in der Kategorie der ernsten Musik verwerteten Musik, gibt dem Wort „modern“ eine völlig neue, dem Gebrauch in anderen Bereichen konträre Bedeutung. Ist es die Spitze oder das Ende der musikalischen Hochkultur, die konstruierte Moderne oder der „fiktive Kunstraum zwischen Komponisten und Musikge-schichteschreibern?“, wie die „ Österreichische Musikzeitschrift“ kürzlich meinte.

„Wien modern“, Festival der 13 Millionen, rechtfertigt sich nicht gegen Angriffe. „Das sind Meinungen“, sagt Dramaturg Lothar Knessl. Im siebten Jahr des Bestehens präsentieren sich nicht mehr große Zeitgenossen als Einzelpersönlichkeiten, sondern im Rahmen von Länderschwerpunkten. Heuer ist Amerika dran.

Claudio Abbado, Initiator und künstlerischer Leiter des Festivals, gab den Anstoß mit dem für den Einflußreichen einfachen Satz: „Morton Feldman ist gut.“ Daraus wurde eine Retrospektive auf Earle Brown, George Crumb, Morton Feldman und den in Kärnten lebenden, aus Kuba gebürtigen George Lopez. Während das Festival von den Konzerthaus- und Musikvereins- Chefs organisiert wird, trägt es die markante Handschrift Lothar Knessls, der als Kurator des Bundesministers ~ „Unternehmer auf befristeter Beamtenbasis“ — ein vielfach Mächtiger ist.

Auf die Frage, welches Ereignis in den fünf Wochen vom 23. Oktober bis 28. November wirklich unterhaltsam ist, fragt Knessl erst zurück: „Was ist lustige Musik?“ und meint dann: „Unterhaltsame Abende findet ein jeder dort, wo er sich musikalisch hingezogen fühlt.“ Als Zugeständnis an die Viennale entstand das Eröffnungsevent am 23. Oktober mit Live-Musik und Film (FURCHE 43, Seite 20).

„Wien modern“ soll ein Festival der - lebenden - Zeitgenossen sein. Das rechtfertigt für Knessl den Verzicht auf ungehörte Originelle des Jahrhunderts: den Elektronik-Pionier Max Brand etwa oder den früh verstorbenen Wilhelm Zobl. Aber auch der noch immer als Enfant ter rible verrufene 60jährige Otto M. Zykan ist ein vom modernen Wien Unbeachteter, wie auch mit geringen Ausnahmen die asiatischen Komponisten.

„Wien modern“ sei keine Messe, von Ferne anreisende Hörer sollten durch Themeninseln angelockt werden: ein Symposium zur Eröffnung, ein Workshop für elektronische Musik vom 3. bis 5. November oder die Jazz-Veranstaltungen der Wiener Müsik-Galerie.

Obwohl „Wien modern“ innovativ sein will, sei Innovation nicht per se ein Qualitätsmerkmal: „Die innovativsten Stücke sind nicht die besten. Stilhöhepunkte ereignen sich am Ende einer Epoche.“ Knessl wünscht sich „Wien modern“ als Kreativitätsförderung für heimische Komponisten, obwohl nur immer dieselben drei hingingen.

Wer kommt sonst? Knessl nimmt eine breite, sozial gestreute Zuhörerschaft an. Vom Preis des Generalpasses mit 740 Schilling könne keine Hochkultur abgeleitet werden, das „Bürgertum“ gehe wohl weiterhin zu Brahms.

Überhaupt habe das Heranbringen des Publikums an „Wien modern“ Grenzen: „Mich werden sie nie in ein Fußballmatch bringen.“ Die Zahl der empfohlenen Besuche ist gleich jener der Rentabilität des Generalpasses: mindestens acht, etwa zwei pro Woche. „Aber es gibt auch welche, die alles hören wollen.“

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