Aborigines kämpfen gegen ZWEITEN LANDRAUB

19451960198020002020

Trotz aller Versicherungen der Regierung sind die Ureinwohner Australiens mit einer neuen Welle der Entrechtung konfrontiert. Die Gründe dafür sind Uran und andere Bodenschätze.

19451960198020002020

Trotz aller Versicherungen der Regierung sind die Ureinwohner Australiens mit einer neuen Welle der Entrechtung konfrontiert. Die Gründe dafür sind Uran und andere Bodenschätze.

Werbung
Werbung
Werbung

Zehntausende Menschen zogen am 1. Mai durch die Straßen der Städte Australiens. Nicht, um den Tag der Arbeit zu feiern. Die größte Demonstration blockierte in Melbourne stundenlang den Verkehr. Angeführt wurden die Märsche von Aborigines in traditioneller Bemalung, ausgerüstet mit Bumerangs und Didgeridoos. Der Protest richtete sich gegen die angekündigte Auflösung von Gemeinden der australischen Ureinwohner. 150 von 274 dieser abgelegenen Dörfer werden von der Regierung des Bundesstaates Westaustralien als "nicht lebensfähig" bezeichnet. Gleichzeitig wurde eine archäologisch bedeutende Ansammlung von Steinzeichnungen auf der Burrup Halbinsel aus dem Verzeichnis der Kultstätten gestrichen.

Sieben Jahre nach der historischen Entschuldigung des damaligen Premiers Kevin Rudd für das historische Unrecht, fühlen sich die Aborigines neuerlich bedroht. Durch die Begehrlichkeiten von Bergbaukonzernen und eine Politik der sozialen Ausgrenzung. Die Plattform "Sosblakaustralia" hat dagegen zu landesweiten Protesten aufgerufen.

Bedeutende Felszeichnungen

Und darum geht es im Einzelnen: Die 27 Kilometer lange und fünf Kilometer breite Burrup Halbinsel und der sie umgebende Dampier Archipel beherbergen die weltweit bedeutendste Konzentration von steinzeitlichen Felszeichnungen. Über eine Million Darstellungen von Menschen, teilweise längst ausgestorbenen Tieren, wie dem tasmanischen Tiger, und Gegenständen, die viel über Glauben und Alltag der ersten Menschen auf dem Südkontinent erzählen, stehen unter Schutz. Archäologen vermuten, dass die ältesten Petroglyphen vor 30.000 Jahren entstanden sind. Einiges deutet darauf hin, dass eine Gruppe von Zeichnungen während der letzten Eiszeit in die Felsen geritzt wurde.

Die Halbinsel ist aber auch reich an Bodenschätzen und wurde in den 1960er-Jahren für Bergbau und Industrie erschlossen. Damals nahm man noch wenig Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Aborigines, für die die Kunst der Vorfahren auch sakrale Bedeutung hat. Über 10.000 Felszeichnungen wurden zerstört oder im günstigsten Fall samt den Felsen weggebracht, was für die Aborigines auch ein unzulässiger Eingriff in die Integrität der Kultstätten ist.

Die Regierung des Bundestaates hat 44 Prozent der Halbinsel unter Schutz gestellt und damit vor einer weiteren Ausbreitung der Industrie bewahrt. Nach jüngsten Plänen soll dieses Gebiet aber durch den Ausbau einer Straße für den Tourismus erschlossen werden. Experten sehen auch dadurch das kulturelle Erbe gefährdet.

Strom aus für entlegene Gemeinden

Die beabsichtigte Schließung von Gemeinden, gegen die seit Jahresbeginn in den sozialen Medien um Solidarität geworben wird, dürfte in direktem Zusammenhang mit der Expansion des Bergbaus stehen. Das vermutet unter anderen die Aborigin-Dichterin Ali Cobby Eckermann. Wenn es nach den Plänen der Regierung geht, wird für etwa 150 die Stromsubvention gestrichen. Der konservative Premier Tony Abbott erklärte am vergangenen 11. März: "Wir können nicht endlos gewisse Lebensarten subventionieren, wenn diese nicht zur vollen Teilnahme an der australischen Gesellschaft führen, die doch jedermann anstreben sollte".

Der Regierungschef schloss sich damit der Vorstellung an, dass Aborigines aus eigenem Verschulden im Elend und von Staats-Zuschüssen leben. Man rechnet damit, dass die Menschen dann in die Außenbezirke der Städte ziehen, wo sie kulturell entfremdet und ohne Chance auf geregelte Arbeit den Bodensatz der Gesellschaft bilden. Dass ausgerechnet Gemeinden betroffen sind, in denen der Abbau von Uran und anderen Mineralien ausgeweitet werden soll, halten die Kritiker für keinen Zufall.

"Wir Bewohner der entlegenen Regionen Australiens glauben nicht, dass es eine Frage des Lebensstils ist, sondern ein fundamentales Menschenrecht, in den eigenen Gemeinden im eigenen Land zu leben", halten die Vereinigungen von Aborigines entgegen. Es sei die kulturelle Verpflichtung gegenüber den Ahnen, die Verbindung zu deren Land zu wahren. Nach der Zwangsräumung der Aborigin-Gemeinde Oombulgurri 2014 haben sie der Regierung das Vertrauen entzogen.

Unterstützung durch UNO

Die Vereinten Nationen geben den Aborigines recht. Das ständige Forum zu Indigenenangelegenheiten hat der Regierung die UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker in Erinnerung gerufen. Deren Nichterfüllung habe sich als bedeutendes Hindernis "für die Selbstbestimmung und Stärkung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte" der Aborigines erwiesen. Die Ureinwohner des Bundesstaates Westaustralien würden diskriminiert und einer "rassenbasierten Erosion ihrer Rechte" ausgesetzt. Der Versuch, sie zu assimilieren, verletzte ihre Rechte.

Anders als in Kanada oder Neuseeland haben die Briten mit den Ureinwohnern nie Verträge über deren Landrechte geschlossen. Die Aborigines wurden einfach enteignet. Deswegen fehlt ihnen die wichtigste Existenzgrundlage. Die seit den 1970er-Jahren erhobenen Forderungen nach einem Vertrag sind von den verschiedenen australischen Regierungen immer wieder abgewiesen worden. 1988 übergaben die Jawoyn, ein im Northern Territory ansässiges Volk, dem damaligen Premierminister Bob Hawke das inzwischen berühmte Barunga Statement, in dem sie einen Vertrag einforderten. Bob Hawke stand dem sogar positiv gegenüber und machte den Aborigines Hoffnungen, konnte den Plan aber nicht durchsetzen. Das Statement wurde nicht einmal dem Parlament vorgelegt. Danach endete die Debatte.

Rechtssicherheit erst 1992

Erst 1992 brachte ein Urteil des Obersten Gerichtshofes den Durchbruch. Die Höchstrichter bestätigten, dass die Ureinwohner der Murray Insel in der Torres Meerenge, nördlich des australischen Festlands, als Gemeinschaft Land besaßen. Damit annullierte der High Court die von den Briten einst behauptete Fiktion, sie hätten unbewohntes Land - besiedelt. Ein Jahr später folgte die Regierung in Canberra dieser Rechtsmeinung und anerkannte damit die indigenen Rechte auf alles Land, das den Aborigines nicht ausdrücklich aberkannt worden war. Eigene Tribunale wurden in den Bundesstaaten eingerichtet, die über die Landansprüche Fall für Fall entscheiden sollten.

Seither sind die Aborigines auch nicht mehr grundsätzlich gegen jede Art von Bergbau. Im Gegenteil: seit ihre Landrechte anerkannt sind, haben viele Gemeinden den mit dem Bergbau verbundenen Geldsegen schätzen gelernt. Außerdem finden viele in den Minen Arbeit und sind nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen. Dafür werden auch Eingriffe in die Umwelt in Kauf genommen. Manche Konzerne richten sogar Fonds ein, die Schulen bauen oder sogar das kulturelle Erbe unterstützen.

Die Folgen des Bergbaus sind aber oft verheerend, wie ein Bericht der staatlichen Stelle für Indigenenangelegenheiten 2010 am Beispiel des ehemaligen Goldgräberstädtchens Roebourne in West Australien dokumentiert. Der Alkoholmissbrauch liege in der zu drei Vierteln von Aborigines bewohnten Siedlung ein Dreifaches über dem nationalen Durchschnitt, nur zwölf Prozent der Kinder beenden die Pflichtschule. In manchen Häusern drängen sich 15 bis 20 Personen.

Die beabsichtigte Schließung von Gemeinden und die Argumente dafür erinnern an das Jahr 2007, als Premier John Howard die Armee in Dutzende Aborigin-Gemeinden im Northern Territory schickte und ihnen das Land wegnahm. Gegenüber der Öffentlichkeit rechtfertigte er die Intervention mit der Begründung, dass "Pädophilen-Gangs" Kinder in "unglaublicher Anzahl" missbrauchten. Polizei und die Australische Verbrechenskommission sollten später keinerlei Beweise für diese Anschuldigung finden. Doch die Nachricht über die moralische Verwahrlosung der Aborigines verbreitete sich über ein populäres Fernsehprogramm.

"Unser Recht, unser Land, unser Leben", mit diesem Slogan zogen die Demonstranten am 1. Mai durch die Städte. Sosblakaustralia ruft ihre Unterstützer auf, von der Regierung Transparenz einzufordern, was die Absprachen mit Bergbaukonzernen betrifft und die Aborigines in Verhandlungen einzubinden. Die Proteste, so wird erinnert, sollen niemals von ihrem gewaltlosen Charakter abweichen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung