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Ackerboden für die neue Kunst

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In drei Räumen der Hamburger Kunsthalle, einem der wertvollsten Institute in Deutschland, einem Haus ohne Tradition, aber voll von stolzer Modernität und Wagemut, erweist sich der im Sommer 1955 verstorbene Stuttgarter Willi Baumeister als ein ununterbrochener Avantgardist. Wir sehen die von Ozenfant, Le Corbusier und Leger beeinflußte, erschreckende und aufwühlende Welt der „Flämmchenbilder“, „Ideogramme“ und „Steingärten“, die „Montaru“- und „Monturi“-Bilder, den Zyklus „Aru“ und in ihnen eine Leidenschaft, deren Wurzeln in dieser unserer Zeit verankert sind und die Schatten heraufbeschwört, deren Existenz uns bisher vielleicht unbekannt war.

Baumeister suchte das Material seiner Zeit, das heißt, er errichtete sich die für ihn bodenständigste aller Bühnen: die Technik, ihren Ausdruck, ihr Verwirklichung und ihre Grenzen. Man muß wissen, daß Baumeister als Maurerlehrling begonnen hat und viele Jahre als Bühnenmaler und -architekt tätig war. So zeigen die vom Rollen der nahe der Kunsthalle vorüberbrausenden Eisenbahnzüge erschütterten Bilder die verschobenen Gesichter der Eisenbahn-und Betonmenschen. Der Mensch ist zum Bestandteil des Mörtels geworden. Hart und gewissenhaft ordnet Baumeister das hilflose, gewaltige Leben in die architektonische Ordnung ein. Er schleudert sozusagen den Menschen in den Beton. Immer wieder ist die „Mauer“ das Merkmal seiner Schöpfungen, besonders dort, wo diese selbst durch ihre Sand-grundierung Mauer suggerieren; immer fläehenhaft, tektonisch anonym im Duktus und mit einem vornehmen Zug zum Monumentalen. Die Anlage der Bilder entspricht dem Charakter; es herrscht die ratio des wachsten künstlerischen Verstandes. Baumeisters Idealziel ist immer die Architektur.

Die Ausstellung, eine der besten, die die Kunsthalle jemals gezeigt hat, reicht von der „Frau mit Schale“ (1912) bis zu „Harn“ (1955). Sehr stark von dem Franzosen Leger beeinflußt, tritt Baumeister etwa ab der „Flächenfuge“ (sie ist das charakteristischeste Zeichen seiner Wandlung) in seine eigene, jetzt erst absolut gegenstandslos projizierte Welt über. 72 Bilder verkünden in der Hansestadt die Versuchung an der Ungewißheit. Die Hauptstücke sind „Schachspieler“ (1921), „Maske IV“ (1936). „Afrika I“ (1942) und der „Springer“ (1934). Das letzte lahrzehnt Baumeisters, der zum Unterschied anderer seiner Zeit und seiner „Richtung“ niemals einem Altersstil Raum gegeben hat (Baumeister fand immer neue Perspektiven), ist von der großen Fläche beherrscht. Die Farben tragen das frische Merkmal des Zukünftigen. Auf Zukünftiges verweist der im Vorjahr gewaltsam abgerissene Schaffensprozeß in allen seinen Stationen.

Denn, sehen wir in Baumeister auch nie die Vollendung, so doch den Ackerboden für eine Kunst, die einmal die unsere genannt zu werden verdient. Er liegt vor uns wie das Traumbild einer Welt, die aus den Wundern von Glas und Beton, Stahl und Benzin, Elektrizität und Asphalt besteht, vom Geruch des Teers durchschauert, über den man schon den Traktor der Kernphysik rollen hört.

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