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Adrialuft im KUnstlerhaus

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Schon die beiden Plakate, die für die Frühjahrsausstellung im Künstlerhaus und die angeschlossene Schau der Triestiner Künstler werben, sind freundlich und gefällig. Der gute Eindruck bleibt dann auch, wenn man die Erwartungen nicht zu hoch stimmt. Gleich der erste Saal, in den man eintritt, empfängt einen mit besonderen Kostbarkeiten: mit einer sorgfältig und liebevoll arrangierten Uebersicht über die Entwicklung der europäischen Münze und Medaille, die — in der Hauptsache mit Leihgaben aus den Sammlungen des Kunsthistorischen Museums in Wien — von Professor Rudolf Schmidt gestaltet wurde. Die Münze hat ihren Ursprung im alten Lydien; kleine Goldstücke wurden durch Stempelaufdruck zu staatlichen Zahlungsmitteln. Erst die Griechen prägten der Münze künstlerischen Ausdruck auf. „Griechische Münzen: Das Haus, wo sie sind, ist erfüllt vom Dampf der Götter“, schreibt Gerhart Hauptmann; und es war ein glücklicher Gedanke, solche für die Dauer geprägte und geschliffene Münzworte auf Wandtafeln zu schreiben und zwischen Darstellungen aus dem Wiener Hauptmünzamt und photographischen Vergrößerungen von Münzen über die gezeigten Metalle zu hängen. Griechische Münzen: Wir sehen Dekadrachmen aus Syrakus, 479 v. Chr., Tetradrachmen mit Tieren aus Messana, 450 bis 415 v. Chr., aus Rhodos, Athen, Münzen, auf die die Fürsten von Syrakus das Bild eines Viergespanns mit seinem Lenker schlagen ließen — zur Erinnerung ihrer Siege auf der Rennbahn von Olympia. So wurde die Münze ein Erinnerungsstück und bekam einen Charakterzug der späteren Medaille. „Der Glanz der sizilianischen Städte, jetzt verdunkelt, glänzt aus diesen geformten Metallen wieder frisch entgegen“, sagt Goethe. „Welch ein Gewinn, wenn man auch nur vorläufig übersieht, wie die alte Welt mit Städten übersät war, deren kleinste uns Kunstgeschichte in köstlichen Münzen hinterließ.“ Und Winckelmann schreibt: „Die Griechen aber scheinen Schönheiten entworfen zu haben, wie ein Topf gedreht wird: denn fast alle Münzen ihrer freien Staaten zeigen Köpfe, die vollkommener sind von Form, als was wir in der Natur kennen. Weiter als diese Münzen kann der menschliche Begriff nicht gehen.“

Dann die römischen Münzen: auch sie stark und voll Substanz (vor ihnen erscheinen die Münzen des Mittelalters dünn und ganz abgegriffen, sozusagen vollkommen ausgegeben, indes sie wie eine immerwährende Währung anmuten, wie ein Maß, mit dem noch heute gemessen, oder ein Gewicht, mit dem noch heute gewogen werden kann); ein Sesterz aus der Zeit Neros, eine Münze der Livia Drusilia (unter Marc Aurel) “mit der Aufschrift „SALVS AVGVSTA“ springen ins Auge.

Dann die Münzen des Mittelalters. Vittoro Pisano, genannt Pisanelli . geboren um 1370 im Veronesi-schen, führte an Stelle der Prägung den Metallguß ein und schuf die Medaille — das „Volkslied der Skulptur“ —, auf deren Vorderseite er die Köpfe oberitalienischer Großer abbildete, Herkules I. von Ferrara etwa oder Inigo de Davalos. Der ganze Raum ist erfüllt vom kalten, erstarrten Dampf, nicht der Götter vielleicht, aber der Mittelmeerluft und der Sonne Italiens, der Welt des Mittelalters und dem Leben der Antike, einem Dampf, der Gestalt angenommen hat in einigen Metallen und uns Bewegungen, Zeiten und Menschen aufbewahrt wie der Tropfen Bernstein das Insekt. ..

Die Räumlichkeiten im Parterre rechts sind den Triestiner Künstlern vorbehalten; sie erwidern mit dieser Ausstellung den Besuch österreichischer Künstler im vergangenen Dezember in Triest und bringen damit Adrialuft, wenn auch noch keinen „neuen Wind“, ins Künstlerhaus. Gezeigt werden 148 Arbeiten von 55 Künstlern. So kann nur ein ungefährer Ueberblick über das Schaffen der Maler, Bildhauer und Graphiker gegeben werden, die in Triest geboren wurden oder die ein Adriawind dorthin verschlagen hat. Es wäre vielleicht günstiger gewesen, wenigen scharf profilierten Künstlern Gelegenheit zu geben, mit einer größeren Zahl von Werken hervorzutreten; insbesondere mit Romeo Daneo, Edoardo Devetta, Franco Orlando, Federico Righi und Gianni Russian wäre man gerne näher bekannt geworden. Allein, die Ausstellung hat nun eben den Zweck, einen Querschnitt durch das zu legen, was heute in Triest gemalt wird und nicht mehr. Der erste Gesamteindruck: Auch die Triestiner Künstler haben das Malen nicht erfunden. Was in der großen Welt geschieht, scheint an die Adria ebenso ein wenig verspätet und gemildert zu gelangen wie etwa nach Wien. Alle Stile haben hier (und es sind so ziemlich die meisten Stilrichtungen in der Ausstellung vertreten) ihre Aggressivität verloren und scheinen gleichsam von Adriawasser ausgelaugt, was sie für ein breiteres, in erster Linie herkömmlichästhetisch empfindendes Publikum erst recht genießbar macht. Was in Triest geschaffen wird, scheint ein wenig abseits, aber keineswegs abseitig; es hat keine festen Konturen und läßt sich nicht ohne-weiters einordnen und kategorisieren. Viele Strömungen kommen zusammen und vermischen sich; was sie ablagern mag nichts Ueberragendes sein, aber es kann sich sehen lassen. Am wesentlichsten wollen uns die Beiträge einiger Bildhauer erscheinen: von Tristano Alberti, der einen kleinen, sich fest in den Boden stemmenden Bronzestier geschaffen hat, von Adriano Cerne, der ein kleines zerzaustes Hähnchen aus Gips formte, von Marcello Mascherini vor allem, dessen „Mann mit Hund“ ein rhythmisches Spiel der Bewegungen zart festhalten konnte, von Giuseppe Negrisin, dessen Figuren klein und schlank sind und von Tullio Tamaro, der eine Flüchtlingsgruppe in Stein geschaffen hat, Menschen, die fliehen, und doch nicht recht vorwärtskommen.

Von den sieben Kollektionen der Frühjahrsausstellung sei hier nur die von Max Melcher besonders hervorgehoben; wir haben auf den Künstler schon bei anderer Gelegenheit hingewiesen. Seine Tuschzeichnungen „Olivenbäume“ und „Colosseum, Rom“, seine Lithographie „Mailänder Kinder“, sein Temperabild „Canale Grande“ machen deutlich, daß hier Formen entstehen, zu denen sich für den Künstler die Dinge der Welt verdichten, auf das sie allen zum Bild werden ... Wieland Schmied

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