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Airfang und Ende der Moderne

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Wir haben beide durch die Auseinandersetzung mit der Kunst erfahren, daß die Kunst etwas zurückgibt”, sagen Josef und Anna Fröhlich. Das Ehepaar besitzt eine der weltweit umfassendsten Sammlungen deutscher und amerikanischer Kunst von den fünfziger Jahren bis heute. Daß ein Teil seiner Kollektion jetzt erstmals in Wien zu sehen ist, freut den gebürtigen Oster-reicher, der in der Autoindustrie zunächst in Amerika und später in Deutschland Karriere gemacht hatte, besonders. Immer schon an Kunst interessiert, begann Josef Fröhlich vor anderthalb Jahrzehnten gezielt zeitgenössische Kunst zu sammeln. Inspiriert wurde er dazu 1982 durch die Begegnung mit Joseph Reuys anläßlich des Erwerbs des „Friedenshasens” bei der Documenta VII.

Neben seinen Favoriten Joseph Beuys und Andy Warhol sammelte Fröhlich Werke von acht deutschen und neun amerikanischen Künstlern. Für die Ausstellung im Kunstforum wurden je zwei Künstler aus Deutschland - Joseph Beuys und Gerhard Bichter - und zwei aus den US A - Andy Warhol und Bruce Nauman - ausgewählt. Gerade die Beschränkung auf vier unterschiedliche künstlerische Positionen erweist sich als geglückt. Spannungsvoll ist die Gegenüberstellung von Warhols Pop-Art-Bildern im Zwischenfeld von Alltagskultur und Hochkunst wie „Marlon Brando” oder „Two dollar bills” und der schamanischen Materialästhetik von Joseph Beuys. Die Beuys'schen Objekte wie „Aus dem Maschinenraum” leben durch die Naturstoffe Filz, Fett und Erde, die den Künstler einst nach dem Fliegerabsturz im Zweiten Weltkrieg überleben ließen, und denen er in seinen Skulpturen später Energietransfef zuschreibt. Sehenswert sind auch die Schiefertafeln von Beuys, darunter eine mit dem vielzitierten und oft mißverstandenen Satz „Jeder Mensch ist ein Künstler”.

Für das Überleben der nach dem Ende der Moderne vielfach totgesagten Malerei stehen die Bilder Gerhard Bichters wie „Schwimmerinnen” oder „Abstraktes Bild”, mit denen der Schau auch der Sprung von den sechziger in die achziger Jahre gelingt. Während die Beuys'schen Skulpturen im Hauptraum in die Ecke gedrängt erscheinen, kommen Bruce Naumans auf den Besucher unmittelbar und oft geradezu unerträglich präsent wirkende Objekte in unterschiedlichen Medien gut zur Wirkung.

Bis 17. August

Kunstforum der Bank Austria, Freyung 8, 1010 Wien.

YON ALEXANDRA SCHANTL

Ob das italienische Wort „Capriccio” vom sprunghaften Gebaren der Ziege (capra) herrührt oder von capricciare (Haarsträuben), darüber läßt sich streiten. Soviel ist sicher: „Mit dem Wort Capriccio suchte man seit dem 15. Jahrhundert jener Züge in der menschlichen Natur habhaft zu werden, für die es keine wohlfeilen Erklärungen gibt: der unberechenbare Impuls, der tolldreiste Einfall, die spontane Hingabe an die plötzliche Laune.”

Die Launen der Kunst sind Thema einer Ausstellung, die - nach Köln und Zürich - ihre letzte Station im Wiener Palais Harrach hat: „Das Capriccio als Kunstprinzip. Zur Vorgeschichte der Moderne.” Das Capriccio ist ein Randphänomen der Kunstgeschichte. Es bezeichnet alles, was vom jeweils gültigen Kanon einer Epoche abweicht.

Das hat keineswegs mit Nebensächlichkeit oder drittklassi-gen Künstlern zu tun. Gerade jene, die heute zur ersten Liga der Kunstgeschichte zählen, waren vor den „Bocksprüngen der Phantasie” nicht gefeit.

Nur hielt die offizielle, dogmatische Kunsttheorie bis ins 16. Jahrhundert im wesentlichen an der antiken Vorstellung fest, daß Kunst Nachahmung der Natur sei. Hervorbringungen der künstlerischen Einbildungskraft galten als trügerische Illusionen und waren als capricci verpönt. Im Manierismus hingegen konnten die Bildideen gar nicht bizarr genug sein, um als capricci bewundert zu werden. „Mit Recht ist in dieser Periode die Heimat und eigentliche Geburt des Capriccio auszumachen”, bemerkt Ekkehard Mai, Leiter des Wallraf-Richartz-Museums in Köln, der die Idee zu dieser Ausstellung hatte.

Der Besucher wird denn auch mit Giuseppe Arcimboldos „Feuer” -Kopf begrüßt. Da das Capriccio seine größte Blüte im 18. Jahrhundert erlebte, bot es sich - allein aufgrund der örtlichen Gegebenheiten - an, die Hängung einer barocken Bildergalerie nachzuempfinden. Viel Raum hat man den Architektur- und Land-schaftscapricci von Boucher bis Cana-letto, Guardi und Pannini gewidmet. Dem Buinen- und Antikenkult ihrer

Zeit huldigend verschieben und verdichten diese Bilder, was in Wirklichkeit zeitlich und räumlich getrennt ist.

Die heitere Welt des Bokokos veranschaulichen etwa die Gemälde von Watteau und Fragonard mit ihren „fetes galantes” oder die von der Commedia dell'arte und dem venezianischen Karneval inspirierten Szenen der beiden Tiepolos.

Das Capriccio zeigt sich gerne aber auch von seiner dunklen Seite. Diesbezüglich werden dem Besucher einige Gustostückerln kredenzt: „Der Nachtmahr” von Füssli, Goyas „Koloß” (aus dem Prado) sowie sein „Ca-prichos”-Zyklus, zu dem Blätter wie „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer” gehören.

Jacques Callot war der erste Künstler, der das Wort Capriccio namentlich in den Titel einer Stich-Folge aufgenommen hat. Seine „Capricci di varie figure” (1617) begründeten somit die Gattung des Capriccio in der Druckgraphik. Abgesehen von Cal-lots Welttheater im Miniaturformat, ist auch Giovanni Battista Tiepolo mit seinen arkadischen Visionen der „Scherzi di fantasia” vertreten und nicht zuletzt Piranesi mit den „Carce-ri”. Vor allem das Medium der Graphik erlaubte es den Künstlern, ihre individuellen Phantasien am unmittelbarsten auszudrücken. Hierin konnten sie sich jener Motive annehmen, die der offiziellen, der „hohen” Kunst nicht darstellungswürdig erschienen: Hirten, Bauern, Bettler, Soldaten, Magier oder die Greuel des Krieges. Es ging dabei auch um das Ausloten der Fähigkeit, möglichst virtuose Abwandlungen eines Themas zu schaffen. Eindeutigkeit spielte dabei keine Bolle, sondern vielmehr die Verrätselung von Bildinhalten.

Das eigentliche Jahrhundert des Capriccio setzte nach 1700 ein. Mit dem neuen Selbstbewußtsein des Künstlers als Originalgenie verlor es allmählich an Brisanz und entwickelte sich nun zum führenden Kunstprinzip. Insofern fing hier bereits die Moderne an: „Wo keine Begeln mehr herrschen, gibt es auch keinen Regelverstoß. Alles wird möglich.”

Der gegenwärtigen, zahnlos gewordenen Avantgarde sei es daher angeraten, sich ihrer Wurzeln zu besinnen: Werden doch - wie es Werner Hofmann (im Katalog) ausdrückt - „die Kunstgriffe der Verwirrung und Vermischung mehr und mehr zu Ritualen der Selbstbefriedigung, getrieben weniger von Unruhe und Subversion als von dem Verlangen, Resitzstände zu wahren und im unermüdlichen Kunstbetrieb unter Reru-fung auf das Etikett modern zu per-petuieren.”

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