Aktive Poesie und Papierbuchstaben

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Der feinen Grenze zwischen Literatur und bildender Kunst widmet sich bis 23. November eine Ausstellung in der Wiener Generali Foundation.

Eine Frau steht an einer Klippe. In der Hand hält sie einen Haufen Buchstaben aus weißem Karton. Plötzlich fliegen die Buchstaben ins Meer. Die Gischt bringt die As, Bs und Ns zum Verschwinden. "Aktive Poesie" nennt Ewa Partum die Buchstabenaktionen, die sie in den Jahren 1971 bis 1973 in Polen realisierte. In mehreren Veranstaltungen zerlegte sie Werke der Weltliteratur in ihre kleinsten Bestandteile und gab diese Elemente in einer poetischen Geste der Natur zurück, indem sie die Buchstaben in Wäldern, am Meer und in den Bergen verstreute.

Mit ihren Performances überschritt die polnische Künstlerin die feine Grenze zwischen Literatur und bildender Kunst. Zugleich wies sie darauf hin, dass sich Poesie nicht ausschließlich über Sprache und Bücher definiert, sondern poetisches Handeln viel umfassender zu verstehen ist. Dass Partum genau auf jene Papierbuchstaben zurückgriff, die im kommunistischen Polen zu Propagandazwecken verwendet wurden, verleiht den Arbeiten politische Brisanz.

Erste Annäherung

Die sensiblen Aktionen der polnischen Künstlerin sind derzeit in Form von Videos in einer anspruchsvollen, aber keineswegs unsinnlichen Ausstellung der Generali Foundation zum Verhältnis von Schrift und Bild zu sehen. Im Zentrum der ersten Schau der neuen Generali-Direktorin Sabine Folie stehen Künstlerinnen und Künstler, die sich mit Sprache, Buchstaben und Büchern und deren bildhaften Qualitäten befassen.

"Letztendlich ist es so, dass alles auf der Welt nur deshalb existiert, um in ein Buch zu münden", meinte der Vater der avantgardistischen Poesie Stéphane Mallarmé. Seine radikalen Projekte, "Un Coup de Dés" (1897) oder "Le Livre", bei dem er eine vollkommen neue Art von unendlichem Buchkosmos vorschlug, bilden folglich den Ausgangspunkt der erkenntnisreichen Zusammenstellung.

Als zweiter Ahnherr fungiert ein weiterer Grenzüberschreiter: Marcel Broodthaers. Der 1924 geborene belgische Künstler war zunächst Schriftsteller, gab seine bisherige Laufbahn jedoch mit 40 auf und beschloss, bildender Künstler zu werden. Optisch wird dieser theatralisch inszenierte Schritt in die Kunstwelt durch ein Recycling-Objekt illustriert, bei dem Broodthaers 50 nicht verkaufte Exemplare seines Buches "Pense-Bête" in Gips eingoss und somit aus der Literatur eine nun nicht mehr "lesbare" Skulptur fabrizierte.

Ausgehend von Mallarmé und Broodthaers loten auch die ausgewählten gegenwärtigen Künstler die Grenzen zwischen Literatur und bildender Kunst aus. Wann beginnt ein Bild ein Bild, ein Buch ein Buch und eine Skulptur eine Skulptur zu sein? Gar nicht so leicht zu beantworten, wenn man vor dem Exponat von Klaus Scherübel steht.

Der österreichische Künstler befasste sich in den Jahren 1999 bis 2005 mit Mallarmés visionärem, aber zunehmend in Vergessenheit geratenem Buchprojekt "Le Livre". Er gab Mallarmés Meisterwerk in mehreren Sprachen heraus, allerdings ist dieses Buch, obwohl es in Buchhandlungen mit einer ISBN-Nummer verkauft wird, buchstäblich unlesbar. Das Innere des Buches besteht aus einem weißen Styroporblock - wird zum lediglich optisch und haptisch erfassbaren skulpturalen Objekt.

Extreme Annäherung

Am Ende des Parcours ist eines deutlich geworden. Kein Text ohne Bild - kein Bild ohne Text. An sich kein Phänomen der Gegenwart. Denn die Literatur hat seit jeher den Austausch mit der bildenden Kunst gesucht. Umgekehrt hat die bildende Kunst Literatur stets als Dialogpartner gebraucht. Der amerikanische Bildtheoretiker W. J. T. Mitchell hat die Kulturgeschichte einmal als "Geschichte eines zähen Ringens um die Vorherrschaft zwischen bildlichen und sprachlichen Zeichen" charakterisiert. So gab es Zeiten, in denen Text und Bild enger zueinander rückten, während in anderen Epochen die Grenze zwischen Wort- und Bildkunst dichtgemacht und stärker auf Abgrenzung geachtet wurde. Gegenwärtig finden wir uns in einer Phase der extremen Annäherung - dies spiegelt die Generali-Schau auf eindrucksvoll poetische Weise.

Un Coup de Dés. Bild gewordene Schrift

Generali Foundation

Wiedner Hauptstraße 15, 1040 Wien

bis 23. November 2008, Di-Sa 11 - 18 Uhr, Do 11 - 20 Uhr Katalog hg. von Sabine Folie, e 29.-

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