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Albrecht Altdorf er und die Donauschule in Oberösterreich

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Die Epoche zwischen 1500 und 1525, die wir kunstgesdiiehtlich als „Frührenaissance“ bezeichnen, hat in innerer und äußerer Hinsicht als Vorankündigung von Reformationsund Bauernkriegen zur völligen Erschütterung aller bisherigen Lebensgrundlagen geführt. In diesem, die Kontinuität der mittelalterlichen, geschlossenen Kulturentwicklung sprengenden Vierteljahrhundert, das die Neuzeit einleitet, war infolge der Ausweglosigkeit des irdischen Daseins die Gefühlsintensität in religiöser Hinsicht besonders intensiv. Zahllose Stiftungen von Altarwerken durch die Bürgerschaften bis 1525 war ebenso ihre Folge, wie die kurz später, fast schlagartig einsetzende Hinwendung breitester Kreise zum Protestantismus.

Mit der Vollendung des letzten mittelalterlichen Domes im Südosten des römisch-deutschen Reiches, des Stephansdomes in Wien, war auch ein wahrer Reisedrang von Malern und Bildhauern von Regensburg nach Wien, also die Donaustraße abwärts, verbunden gewesen. Nicht nur Arbeit wurde von diesen fahrenden Künstlern gesucht, sondern auch Bekanntschaft mit künstlerischen Neuerungen, die in der Luft lagen. So kamen im Jahre 1500 Lucas Cra-nadi d. Ä. nach Wien, Jörg Breu 1501 nach

Krems, Rueland Frueauf 1501 oder 1507 nach Klosterneuburg und endlich Albrecht Altdorfer und Wolf Huber 1510 nach Mondsee und wohl 1518, beziehungsweise 1525 nach St. Florian.

Der Stil der genannten Künstler, der sich aus der zeitbedingten Steigerung des individuellen Lebens den Meistern und handwerklichen Kräften der von ihnen durchzogenen Landschaften bis in die Alpenländer hinein mitteilte, wird heute Donaustil genannt. Begrifflich umfaßt er jenen Gestaltungswillen in der bildenden Kunst, durch den der Landschaft neue Rechte und unmittelbarer Stimmungsgchalt zuerkannt wurde, auch wenn sie nur als Hintergrund etwa für neutestamentarische Szenen auf den Altartafeln sichtbar wurde. Ausdruckssteigerung, derbe Realistik im Figuralen, intensives Farbempfinden und dekorative Architektur- und Detailfreudigkeit traten als weitere bestimmende Züge hinzu. Das stetige Wandern der Malergesellen und ihre Anonymität lassen diese in Oberösterreich, Niederösterreich und den Alpenländern wirksamen Kräfte namentlich nur schwer erfassen und mit den geschaffenen Werken identifizieren.

Zu Beginn des 16. Jahrhundcns vergrößere sich Oberösterreich um das Mond-seergebiet mit dem Wallfahrtsorte Sankt Wolfgang am Abersee als wichtigstem Kultpunkt. Dieser Zuwachs sowie die Eingliederung des Innviertels vermittelten von Salzburg und Passau aus die künstlerische Befruchtung Oberösterreichs. Gleichwie sich aber beide Einflüsse oft überkreuzten und durchdrangen, waren auch rein donau ländische Infiltrationen, und zwar in überwiegendem Maße vorhanden. Für letztere ist in Steyr die Einfallspforte zu suchen. Archi-valisch sind in Wels Maler, in Gmunden und Enns Bildhauer und Schnitzer, in Linz

Malerwerkstätten, in Freistadt Maler und Büdschnitzer, in Eferding Bildhauerwerkstätten nachweislich, während Mondsee und St. Wolfgang wohl von Salzburg gespeist wurden.

Die Vielfalt der Erscheinungen zwingt zu rahmenhafter Zusammenfassung. Von dem Passauer Hofmaler Wolf Huber (Feldkifch, 1485 bis 1553) liegen neben dem Epitaphfragment für den Passauer Bürgermeister Jakob Endel von 1517 aus Kremsmünster zwei Passionstafeln von 1525 aus St. Florian vor, die infolge des Effektes künstlicher Lichtquellen und der damit ins Manieristische vorstoßenden Auffassung bisher zu spät angesetzt wurden. Ihre jüngst erfolgte Reinigung hat das originale Datum bloßgelegt. In dieses Künstlers Einflußsphäre können meines Erachtens die Nothelfertafeln aus Kremsmünster nicht mehr einbezogen werden. Den Einfluß des Passauers Rueland Frueauf d. J. (Salzburg, 1470 bis 1545) —, dessen köstliche Klosterneuburger Altarfragmente zum Bedeutendsten öster-* reichischer Kunstübung um 1500 zählen, auf die Maler der Tafeln aus Allhaming und Dimbach vermag man gleichfalls kaum zu verspüren, ebensowenig kann dem um 1530 in Passau tätigen Maler Hans Rot in seinen großen Passionsflügeln aus Linzer Museumsbesitz Bedeutung zugemessen werden. Einfalt in der Benützung großer Vorbilder und nur sehr kursorisches Darstellungsvermögen verbinden ihn etwa mit dem gleichgesinnten Flügelmaler des Knappen-altares von 1524 in St. Lorenzen ob Murau.

Vom Mondseergebiet abgesehen, war die sonstige Einwirkung Salzburgs auf Ober-österreich nur gering. Stark zeichnerisch eingestellt und von dekorativer Freudigkeit erfaßt, stellen sich die Außenseiten des Linzer Katharinenaltärchens vor. Dagegen kann ich in den Werken des Meisters der Linzer Kreuztragungspredella weder salzburgische noch direkte tirolische Komponenten bemerken. Die spätere Köldererwerkstatt stellt im Sinne Beneschs nur eine im Technischen, weniger im Typischen artverwandte Gruppe dar. Der Linzer Predellenmcister komponiert zum Beispiel in der namengebenden Kreuztragung viel antiquierter.

Mächtig und wirklich ergreifend dagegen wirkt sich von Anfang an in der oberösterreichischen Malerei die donauländische Weise aus. In des Augsburgers Jörg Breu zwei Tafeln vom Melker Hochaltar sowie den vier Passionstafeln und zwei PredeHen-standflügeln Albrecht Altdorfers von seinem Altarwerk für St. Florian (1518) tritt uns die Kraft der Begebnisempfindung und

-Schilderung in kompositioneller und koloristischer Hinsicht in einer, nur noch im Isenheimer Altare gesteigerten Weise entgegen. Ein unerhörtes Meisterwerk, voll aufwühlender und mitreißender Wirkung!

Aus dem Jahre etwa, in dem ' Albrecht Altdorfer und Wolf Huber in St. Wolfgang den Altar Michael Pachers auf sich wirken ließen und ihre österreichischen Landschaftszeichnungen sdiufcn (1510), stammen auch vier köstliche Tafeln des führenden Meisters der Donausdiule in Niederösterreich, des Meisters von Pulkau. Wie dieser Maler, der früher Meister der „vita Friderici et Maximiliani“ genannt wurde, seine in ganz großen Bewegungsformen der Landschaft • verbundenen Gestalten disponierte, das ist um so großartiger, als seine Kunst eine durchaus eigenständige österreidiisch-donau-ländisdie ist. Auf den Rückseiten (Sonntagsseiten) dieser Tafeln des Meisters von Pulkau finden sich dann Malereien des Augsburgers Leonhard Beck, die dem Donaustil entgegenkommen und in ihren dekorativen Elementen in Oberösterreich, insbesondere im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, begierige Aufnahme fanden.

Aus Italien über Augsburg einströmende Anregungen verarbeitet der Altar von Gas-poltshofen; direkte Fortsetzung der Pacher-schen Tradition bekunden endlich die beiden Täfelchen des Meisters von Niederolang aus St. Florian.

Kehren wir indessen zu den in und für Oberösterreich tätigen Malern zurück, die im Sinne der „Donauschule“ arbeiteten, so sind immerhin vier umfangreichere Gruppen zu beobachten: Zuerst eine größere Reihe von Einzelkräften ohne inneren Zusammenhang aus der Frühzeit des Stiles, also aus dem ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. Dann der Welser Meister des Sdieibel-Epitaphs aus Kremsmünster mit mehreren Werken, auch seiner mehrfach besetzten Werkstatt. Endlich der derbe, massive und farbenfrohe Meister der Kremsmünster Katharinenlegende, der möglicherweise seinen Sitz in Steyr hatte. Und schließ-

lich die wohl an der Donau beheimatete

Werkstatt, der die Hintergrundbemalung der Pulgarner und ähnlicher Reliefs mit Landschaften und die Bestreitung der werk-tagseitigen Bemalungen ■ dieser Altarflügel zugeteilt werden muß. Am wichtigsten und weitwirkendsten (bis ins steirische Ennstal) scheint von diesen vier Gruppen jene des Welser Meisters des Scheibel-Epitaphs gewesen zu sein; sie hat sich mit Vorliebe Dürerscher Holzschnittvorlagen bedient.

Die Plastik dieser Zeit kann sich mit der Malerei nicht messen. In Eferding, Enns »oder Steyr könnte jene Werkstätte vermutet werden, der die Flügelreliefs aus Pulgarn, die aus St. Florian in das Linzer Museum gelangten, und verwandte Arbeiten angehören. Eine das Mühlviertel versorgende Schnitzwerkstatt hatte ihren Sitz in Freistadt; ihre Leistungen können sich weder den älteren ortsgebundenen, noch den gleichzeitigen niederösterreichischen oder salzburgischen vergleichen lassen. Vielleicht mit dem Ausgangspunkt oder Sitz in Gmunden darf die sogenannte Astl-Werkstatt, die vielbeschäftigste und weitreichendste des Landes angenommen werden. Ihre Blüte fällt in das zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts; sie hat mit vielen Gehilfen einen fast industriellen Betrieb geübt. Außer in Oberösterreich, haben sich von ihr sehr bedeutende Altäre und Altarfragmente in Steiermark und Salzburg erhalten. Der Welser Meister des Scheibel-Epitaphs war als Flügelmaler mehrfach in ihren Diensten. Im Süden treten der sogenannten Astl-Werkstatt die Kärntner Schnitzwerkstätten in St. Veit a. d. Glan und in Villach als Konkurrenten entgegen. Schon zum . Teil als Wegbereiter des Barocks können endlich mehrere, stark manierierte, relativ bedeutungslose Werkstätten im Machland-, Mühl-und Innviertel gelten; in letzterem erreichen einige Denkmäler aus dem Umkreis des Matthäus Kreniß noch beachtenswerte Qualität. Großartig, wenn auch ohne Analogie im Lande, sind die figürlichen Überreste des donauländischen Nothelferaltares aus Enns um 1520. Auf Gregor Erhard und somit auf die Tätigkeit notorisch landfremder Künstler für Oberösterreich nach 1500, sei nur am Rande hingewiesen.

Eine sehenswerte Veranstaltung im Landesmuseum von Linz, deren wissenschaftlichen Katalog Dr. Kurt Holter, Kremsmünster, sorgfältig bearbeitet hat, versammelte kürzlidi zum ersten Male das erreichbare, bewegliche Material (73 Nummern, darunter eine Reihe von Altarwerken) dieser bedeutsamen Ka-nstepoche Oberösterreichs. Gewiß, zwischen den St.-Florianer Altarfragmenten Albrecht Altdorfers, ja selbst den Tafeln des Meisters von Pulkau, oder jenen Wolf Hubers und den übrigen in oder für Oberösterreich geschaffenen Malwerken, klaffen Qualitätsunterschiede, wie sie größer oft nicht gedacht werden können; aber auch diese kleineren Werke sind Zeugnisse einer erschütterten Welt, persönlicher Einfalt oder naiven Gestammels manchmal übervoll, alle indessen in einem einig: in der Zugehörigkeit zum donau- und alpenländischen Idiom. Tiefbedauerlich nur, daß dieses österreichische Bekenntnis aus vergangenen Tagen nur so kurze Zeit und in Linz allein der Öffentlichkeit geboten werden konnte. Die Veranstalter, österreichische Kulturvereinigung und Bundesland Oberösterreich, beziehungsweise Museum Francisco Carolinum in Linz, haben sich trotzdem dafür den Dank der Heimat gesichert.

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