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ALEXANDER SPITZMÜLLER

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jjCoNCERT DANS L’ĖSPRIT LATIN” heißt eines der Werke Alexander Spitzmüllers; und „in lateinisch-romanischem Geist” könnte als Motto über einem Großteil des Schaffens von Spitzmüller stehen, einem kompositorischen Opus, einer Werkreihe, die im Jahre 1922 beginnt und heute, da Spitzmüller seinen 65. Geburtstag begeht, rund 50 Nummern umfaßt.

Alexander Spitzmüller wurde 1894 als Sohn des ehemaligen österreichischen Finanzministers Spitzmüller-Harmersbach in Wien geboren. Er entstammt einem Hause, in dem nicht nur, wie so häufig in Wien, viel musiziert wurde, sondern seine Eltern waren auch aktive Musiker; die Mutter eine vorzügliche Pianistin, der Vater ein geschätzter Bariton im Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde. Aber die kompositorischen Studien begann Alexander Spitzmüller relativ spät: nach erfolgter Promotion zum Doktor juris an der Wiener Universität und nach dem Ende des ersten Weltkrieges. Der junge Mensch fühlte sich zunächst zur Klangwelt Schrekers hingezogen und erhielt den grundlegenden Unterricht von Ernst Kanitz. Früh wirkte auf ihn auch die Musik und die Persönlichkeit Alban Bergs, mit dem die Familie Spitzmüllers freundschaftlich verbunden war und zu dessen Freundeskreis Spitzmüller später gehörte., (Das Landhaus von Spitzmüllers Eltern, in Velden am Wörther See; steht unweit- des Waldhauses in Auen, das Alban Berg gehörte und das auch heute noch von Helene Berg, der Witwe des „Wozzeck”-Komponisten, betreut wird.) — Und obwohl der junge Spitzmüller nicht zur „Wiener Schule” der Dodeka- phonisten gehörte, wurde Alban Bergs positives Urteil über sein erstes Orchesterwerk, die „Sin- fonįetta ritmica” op. 11 aus dem Jahre 1934 schicksalhaft-bestimmend für ihn, da er sich, hierdurch ermutigt, künftig ganz der Musik, und zwar dem kompositorischen Schaffen, zu widmen beschloß.

Im Jahre 1928 übersiedelte Alexander Spitzmüller nach Paris, und seither ist Paris sein ständiger Wohnsitz geblieben. Hier war er vor dem zweiten Krieg Professor an der Schola Cantorum, hier leitete er die für Deutschland und Oesterreich bestimmten Sendungen des französischen Rundfunks — und hier lebt er ‘ seit 30 Jahren seinem Schaffen, das ihn voll in Anspruch nimmt.

Dreißig Jahre Paris, teilnehmend und mitwirkend am französischen Musikleben, das sich hier konzentriert; das konnte nicht ohne Einwirkung auf Spitzmüllers menschliche und künstlerische Persönlichkeit sein — obwohl Spitzmüller nicht nur Oesterreicher, sondern auch typischer „Wiener” geblieben ist, von jener alten, guten und immer seltener werdenden Art, die, in sich gefestigt und flexibel zugleich, ohne Gefahr auch fremde Einflüsse aufzunehmen und zu assimilieren vermag. Freilich, man nimmt nur auf, was im Keim bereits in einen gelegt und wozu man prädisponiert ist. — Und so bietet das Werk Spitzmüllers ein Beispiel jener Synthese, die uns besonders aus der neueren Musikgeschichte geläufig ist.

Wir denken hierbei etwa an den Deutsch- Italiener Wolf-Ferrari oder an den als Theoretiker, Pädagogen und Komponisten gleicherweise bedeutenden Ferruccio Busoni, besonders aber an dessen Schüler Philipp Jarnach, dessen Vater Spanier und dessen Mutter Flämin war, für dessen Werke sich noch Debussy und Ravel eingesetzt haben und der von 1927 bis 1949 eine Meisterklasse für Komposition an der Musikhochschule in Köln leitete. (Und in der Tat weist Spitzmüllers’Werk mit dem von Jarnach eine gewisse Aehnlichkeit auf.) — Wir denken aber auch an die Dichter des „Jungen Wien”; an Hermann Bahr, Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal, deren Werk typisch österreichisch und wienerisch, zugleich aber imprägniert ist von romanischer, speziell französischer Kultur.

Spitzmüllers früheste Werke, etwa bis zum Ende der zwanziger Jahre, stehen im Zeichen des Neoklassizismus (der ja bekanntlich in Frankreich, und zwar von dem Russen Igor Strawinsky, inauguriert wurde) und der neuen deutschen konzertanten Spielmusik, deren bedeutendster Vertreter Paul Hindemith ist. — Aber noch andere „Einflüsse” lassen sich im Werk Spitzmüllers nachweisen. Als er nach Paris kam, hatte der Impressionismus seinen Höhepunkt überschritten, und auch die Gruppe der „Six” existierte nur noch in ihren einzelnen Mitgliedern. Aber sowohl der Impressionismus als auch die Aesthetik der „Six”, zu denen Honegger und Milhaud, Poulenc und Auric, Madame Tailleferre und Durey gehörten, sind typisch französische Stile, Aeußerungsformen und „Grundfiguren”, die man sowohl vor als auch nach ihrer Kristallisation immer wieder nachweisen kann.

Natürlich hat auch Spitzmüller den Einfluß des Impressionismus erfahren, dieser letzten — oder doch vorletzten — umfassenden und tiefgreifenden europäischen Kunstbewegung. Aber die impressionistischen Elemente finden sich in seiner Musik quasi gehärtet (durch lineare Kontrapunktik) und gefestigt (durch klare, übersichtliche Großformen sowie durch plastische Melodik). — Was Spitzmüller mit der Aesthetik der Gruppe der „Six” verbindet, ist die geistige Beweglichkeit, die Abwesenheit des „Faustischen”, die Abneigung gegen jene Art von Musik, die man „mit dem Kopf in den Händen”, also brütend und träumend, hört, ferner die — sehr dezente — Assimilation einiger Elemente des Music Hall und des Jazz, schließlich der gestische und tänzerische Charakter vielex.seiner In&;ttumentalsätze.

Eine mit diesen Qualitäten ausgestattete Musik hat internationales Gepräge und wird auch in romanischen Ländern keineswegs als fremdartig empfunden. Die Pariser Fachkritik zum Beispiel rühmt an Spitzmüllers Musik ihre Klarheit, ihren Klangreiz, das Gleichgewicht der einzelnen Elemente (Melodik, Harmonik, Rhythmik), ihre formale Geschlossenheit und Ueber- sichtlichkeit, aber auch ihren Ernst und die handwerkliche Sauberkeit: „une musique intel- lectuelle, pėnėtrėe de sens humain.”

Wir erwähnten eingangs, daß Spitzmüller nicht als Zwölftöner angefangen hat. Erst ab 1950, also als reifer Künstler, begann er, sich der neuen Technik zu bedienen (erstmalig im 129. Psalm für gemischten Chor a cappella op. 36). Seither verwendet er sie da und dort — aber nie schulmäßig-doktrinär. Sehr bezeichnend hierfür ist zum Beispiel das 1952/53 geschriebene Klavierkonzert, von dessen vier Sätzen nur die beiden bewegten (Villanella und Rondo) in Zwölftontechnik geschrieben s_ind, während die Entrata durch ein Quartenthema und der langsame Satz durch die Choralform charakterisiert ist. — In dieser freien Art hat Spitzmüller auch in zahlreichen der folgenden Werke die Zwölftontechnik gehandhabt, so daß über eines seiner Bühnenwerke ein westdeutscher Musikkritiker schreiben konnte, daß diese Musik absolut „vom Ohr und von der Phantasie her” erfunden sei. Dabei habe sie die „nervige lyrische Dichte der Neuen Wiener Schule”, „geistig und musisch sind seine Werke Geschwister von Bergs ,Lulu’ und Henzes .Landarzt” “ (in denen die Zwölftontechnik bekanntlich gleichfalls „frei” gehandhabt wird), schrieb ein anderer Musikfachmann.

Ueberblickt man Spitzmüllers umfangreiches Werk, so findet man fast alle Gattungen vertreten, die meisten allerdings nur je ein oder zweimal, was sein Opus imprövisatorisch bunt erscheinen und eine spielerisch waltende Phantasie vermuten läßt.

Eine Gattung freilich ist auffallend stark vertreten: die Klavierliteratur. Für Klavier schrieb Spitzmüller seine Opera 1—3 und 7, ferner op. 22, 31 und 42: vom kleinen Genrestück bis zur breitangelegten Klaviersonate. Klavierwerke sind auch op. 15 (I. Klavierkonzert mit Orchester), das eingangs erwähnte „Concert dans l’esprit latin” für vier Bläser, Schlagwerk, Klavier und Streichorchester, op. 39 (Konzert für zwei Klaviere) und op. 40 (II. Klavierkonzert). — Die meisten dieser Kompositionen sind Jeanne Manchon, der Pariser Meisterpianistin, gewidmet, die sich als Interpretin Debussys und Ravels sowie zeitgenössischer Musik, insbesondere solcher aus der-Neiien, Wiener Schule, einen Namen gemacht hat. Jeanne Manchon ist wohl auch als Anregerin der wichtigsten Klavierwerke Spitzmüllers zu betrachten, die zwar die pianistische Tradition Chopin-Liszt fortsetzen, aber nie im Nur-Virtuosen verharren und sich damit begnügen. Zuweilen ist, in den Klavierkonzerten, der Solopart so sehr der gesamten Partitur eingegliedert, daß man von „Orchestermusik mit Klavier” sprechen könnte.

Eine andere Gruppe von Werken — es sind dies sämtliche Chorkompositionen — hat Spitzmüller seiner Mutter bzw ihrem Andenken gewidmet: ein Te Deum für Chor. Orchester und Orgel (1941), „Noel” für Chor a cappella (1941), die Kantate „Salve Regina” für Sopransolo, Frauenchor und Kammerorchester (1943), die Motette „Beati Mortui” (1949), drei A-cappella- Chöre nach verschiedenen Texten (1949), den „129. Psalm” für gemischten Chor a cappella und schließlich das Orchesterwerk „Trois Hymnes ä la Paix”.

Diese schrieb Spitzmüller 1944 im österreichischen Landhaus seiner Eltern, „im unerschütterlichen Vertrauen auf den schließlichen Sieg der Freiheit des Geistes”. — Und hier ist der Ort, etwas über Schicksal und Haltung des Mannes Alexander Spitzmüller zu sagen. Bei Kriegsausbruch wurde Spitzmüller als Österreichischer Staatsbürger (der er auch heute selbstverständlich noch ist) zunächst interniert, zu Beginn des Jahres 1940 meldete er sich zu einer Arbeitskompanie der französischen Armee und verbarg sich nach dem Waffenstillstand bis zum Ende des Jahres 1941 in Mittelfrankreich. Später war er gezwungen, sich bei den deutschen Besatzungsbehörden zu melden. Obwohl unter Gestapoaufsicht gestellt, wurde ihm ein Besuch seiner alten Eltern in deren Landhaus in Kärnten gestattet. Dem Namen seines Vaters und den Bemühungen des Leiters der Universal- Edition ist es wohl zu danken, daß Spitzmüller wegen seiner Gesinnung und „verdächtige “ Vergangenheit nicht in ein Konzentrationslager kam. Schließlich steckte man ihn, in den Vplks- sturm, dem er aber zu Beginn des Jahres 1945 entfloh, um sich in Wien bis zur Befreiung seiner Vaterstadt aufzuhalten — worauf er wieder nach Frankreich, seiner Wahlheimat, zurückkehrte.

Zum Schluß seien noch die Bühnenwerke Alexander Spitzmüllers aufgezählt, die man hierzulande — und die auch der Verfasser dieser Kurzmonographie — nur vom Hörensagen kennt: das bereits erwähnte Ballett „Geometrie” nach einem Szenar von Rene Jouglet (1942), die Bühnenmusik zu Büchners Drama „Leonce und Lena” (1948 im Auftrag des französischen Rundfunks geschrieben), das Ballett „Le premier amour de Don Juan” (1949, gleichfalls gemeinsam mit Renė Jouglet), eine Bühnenmusik zur Komödie „Ainsi va le Monde” (1950, im Auftrag des französischen Rundfunks), das Ballett „LTmpasse” („Die Sackgasse”, nach einem Szenar von Georges Froscher, für das Stadttheater Bonn komponiert), eine Bühnenmusik zu Grillparzers „Weh dem, der lügt” (1956, für den französischen Rundfunk), die Oper „Der Diener zweier Herren” von Alfons Silbermann nach Goldoni, 1957 begonnen, unvollendet), schließlich das Ballett „Das Tagebuch” (1957, nach einem Szenar von Georges Froscher (1957, im Auftrag der vereinigten Bühnen Krefeld und Miinchen-Gladbach).

lieber diese beiden letzten Bühnenwerke liegen zahlreiche westdeutsche Pressestimmen vor, die besonders im letztgenannten Werk (nach Georg Orwells „1984”) ein neuartiges Genre der „Kammertanzoper” begrüßen, ein „Gesamtkunstwerk”, in dem Wort und Ton, Bild und Gebärde, Gesang und Tanz zur Einheit gebunden sind. Die starke Wirkung dieses Balletts, so schreibt ein westdeutscher Musikkritiker, gehe „in erster Linie auf die faszinierende Musik Spitzmüllers” zurück, und ein anderer beschließt seine Besprechung dieses Werkes, nachdem er die „perfekt konzipierte, einfallsreiche und feinfühlige Partitur” gerühmt hat — mit den Worten: „Es wäre bedauerlich, wenn sie nach der Uraufführung in Vergessenheit geraten würde.”

Eine Mahnung, die für Spitzmüllers Heimatstadt und ihre Opernhäuser nicht gelten kann. Denn hier hat man noch kein einziges der Bühnenwerke Spitzmüllers aufgeführt. Aber vielleicht wird man sich dieses „Oesterreichers im Ausland” doch noch eines Tages erinnern. Hoffentlich noch vor seinem Siebzigsten.

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