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Alte Kartenspiele

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Von den Millionen, die* im Kartenspiel Entspannung nach des Tages Müh und Sorgen suchen, von den zahllosen, denen die Karten zur Leidenschaft, zum Fluch wurden und sie aus ihrer Lebensbahn warfen, wird wohl keiner sich fragen, woher es stammt, und seit wann es seinen Siegeszug durch die Welt angetreten hat, dieses so unschuldig aussehende Blättchen, dem man sogar die Zauberkraft zuschreibt, die Zukunft zu enthüllen. Es ist eben da, war da und wird da sein! Bei Altgewohntem fragt man nicht nach dem' Woher.

Aber diese Kartenblätter sind die Produkte einer graphischen Vervielfältigung, deren Geschichte zurückreicht in eine Zeit, da es noch keinen Buchdruck gab, und in dieser Richtung bewegte sich die Forschung, um Herkunft, Entstehungsgeschichte und Verbreitung der Spielkarte festzustellen.

Glückspiele gab es schon im grauen Altertum. Herodot erzählt, die Lydier hätten ein Würfelspiel erfunden, um sich über die Leiden einer Hungennot hinwegzutäuschen. Die langwährende Belagerung von Troja hatte im griechischen Heer ein Spiel gezeitigt, das als Kriegsspiel ein Vorläufer des Schachspiels und indirekt des Kartenspiels gewesen sein mag. Aber diese vagen Hypothesen liegen viel zu sehr im Dunkel,-als daß sie der Forschung als Ausgangspunkt hätten dienen können. Dagegen war die Feststellung des Asienforschers Abel de Remusat wichtig, daß ein Spiel mit bemalten Beinblättchen in Indien und China zu Hause war und daß die Araber, früher Sarazenen genannt, ein ähnliches Spiel seit dem zwölften Jahrhundert betrieben, welches durch die Kreuzfahrer, wie so viele orientalische Bräuche, nach Europa verpflanzt, hier zum Kartenspiel wurde.

Eine Bestätigung dieser Behauptung bieten verschiedene alte Chroniken, wie jene aus dem Manuskript eines Nikolaus di Con-voluzzo in den Archiven der Stadt Viterbo, der . da erzählt, daß im Jahre 1379 ein „Kartenspiel“ aus dem Land der Sarazenen gekommen sei, welches dieselben „Naib“ nennen. Nun lautet die Übersetzung dieses arabischen Wortes „Hauptmann“, woraus \ man auf ein Spiel militärischer Art mit kämpfenden Parteien schließen kann; zudem hießen in Italien die Spielkarten „Naibi“. In Augsburg wurde 1472 ein Büchlein gedruckt, „Das goldene Spiel“, welches behauptet, daß schon seit dem Jahre 1300 Spielkarten in Deutschland verwendet wurden, wonach also die ersten Holz- und Metallschnittvervielfältigungen in den Beginn des 14. Jahrhunderts zu verlegen wären.

Uber den Zeitpunkt, in welchen sich das Kartenspiel in den einzelnen Ländern Europas auszubreiten begann, sind wir schon genauer unterrichtet, denn seit es Glücksspiele gibt, haben Gesetzgeber und nicht zuletzt die Kirche dagegen angekämpft und dieselben verboten. Aus diesbezüglichen Verordnungen geht nun klar hervor, wann sich diese Verbote erstmalig auch gegen das Kartenspiel richten.' So hören wir, daß 1387 Johann I. von Kastilien das Spielen mit Würfel, Schach und „Naypes“ verbot; unter letzterer Bezeichnung sind die Spielkarten verstanden, die, wie bereits erwähnt, bei den Arabern Naib und in Italien Naibi hießen. Der Bürgermeister von Paris verbietet 1397 den Handwerkern an Wochentagen Würfel, Kegel oder Karten zu spielen. Das „Rote Buch“ der Stadt Ulm enthält ans demselben Jahr em direktes Verbot des Kartenspiels,Nach diesen und ähnlichen Dokumenten hätte das Einsetzen des Kartenspiels um das Ende des 14. Jahrhunderts begonnen. Im 15. Jahrhundert überflutet es lawinengleich ganz Europa. Namen, Farben, Figuren und Spielregeln wechseln je nach den Ländern, jedenfalls waren es ausgesprochene Glücksspiele, die in jenen hemmungslosen Zeiten Unruhe und Verbrechen unter das Volk brachten. Es häufen sich daher die Verbote des Kartenspiels, und von der Kanzel herab werden Kirchenstrafen gegen Spie! und Spieler gerichtet. Der heilige Bernhardin unternimmt 1423 einen förmlichen Kreuzzug gegen das Glücksspiel, und nach einer ergreifenden Predigt vor dem Dom von Siena werden dort Würfel und Karten auf einem Scheiterhaufen öffentlich verbrannt. Um 1450 kam der Franziskanermönch und berühmte , Kanzelredner Johann von Capistran, der später heilig gesprochen wurde, nach Wien und predigte zweimal täglich unter ungeheurem Zulauf am St. Stephans Freithof. Nach einer besonders eindrucksvollen Predigt gegen das Kartenspiel und alle anderen Glücksspiele werden Würfel, Karten und dem Schach ähnliche Spiele zusammengetragen und verbrannt.

Über das Aussehen und die Zusammensetzung alter Kartenspiele geben die Graphiksammlungen in Paris, London und anderen Großstädten Auskunft, deren Material an den unmöglichsten Orten gefunden wurde. In den Deckeln alter Bücher und Akten, hinter Holzverschalungen alter Wirtsstuben, aber auch in k* Archive fürstlicher Hofhaltungen tauchten sie auf, diese Zeugen fröhlichen Zeitvertreibs oder wüster Schlägereien, wie sie die holländischen Genremaler im 16. und 17. Jahr-1 hundert mit Vorliebe darstellten. Nicht immer sind es einfache Holz- oder Metallschnittblätter, denn die großen Herren ließen sich ihre Spielkarten von tüchtigen Malern anfertigen und scheuten hohe Kosten nicht. Im Pariser Rechnungshof erliegt eine Quittung aus dem Jahre 1397, worin ein Maler für drei Spiele Karten in Gold und Temperafarben einen ansehnlichen Betrag bestätigt. Sie dienten zur Zerstreuung des geistesgestörten Königs Karl VI., der das Spiel von seiner Schwägerin Valentina Visconti Herzogin von Orleans gelernt hatte, in deren Heimat Mailand es schon sehr verbreitet war. *Für den Hof von Ferrara hat der Maler Sagramoro Spielkarten in Ölfarben hergestellt, die in großen Mengen verbraucht wurden und sehr berühmt waren, zu einer Zeit, da die Verwendung von Ölfarben in der Tafelmalerei Italiens noch nicht gebrauch- ' lieh war, also vor 1470. Herzog Sigismund von Österreich-Tirol, ein Oheim des kaiserlichen letzten Ritters Maximilian L, hatte schön gemalte Karten aus Elfenbein, um dem Spiel zu huldigen. Daß auch in England das Kartenspiel schon im 16. Jahrhundert heimisch war, dafür gibt es ein sonderbares Zeugnis in den berühmten Miniaturen des jüngeren Holbein, die er-auf die Rückseite von Spielkarten zu malen pflegte.

Italien, Frankreich, Holland und Deutschland waren die Zentren für die Erzeugung von Spielkarten, von Ulm gingen sie fässerweise ins Ausland. Dies veranlaßte 1440 die Venezianer Kartendrucker, vom Senat Schutz gegen die Einfuhr ausländischer Karten zu verlangen, welche im Tauschwege gegen Landesprodukte bis nach Sizilien hinunter verschickt wurden. ,

Es waren dies aber nicht mehr die primitiven „Naibi“, sondern sogenannte „reformierte“ Karten, und 1419 erhält der edle Pisaner Francesco Febbia das Recht, sein Wappen auf die Königskarte des von ihm erzeugten „Tarochino“-Spiels anzubringen, das nach Frankreich eingeführt, als „Taroc“ seinen Siegeszug mit den bis heute unveränderten Farben Herz, Caro, Treff und Pique, als französische Karten, über ganz Europa antritt. Außer König und Königin gab es da eine Unzahl der verschiedensten Figuren, wie Reiter und Fußgänger, Engel und Teufel, Tod und Galgen, Sonne und Mond, Turm, Papst, Liebe und den Narren, die nach den Spielarten, der Zeit und der Mode wechselten. Französischen Ursprungs ist auch 'das Piquetspiel, dessen Erfinder der gegen England siegreiche Feldherr La Hire war, den Schiller in seiner „Jungfrau von Orleans“ verewigt hat.

Wie wenig Einfluß die Verbote und die Verdammung des Kartenspiels auf Erzeugung und Verbreitung ausübten, zeigt der Um-* stand, daß 1581 das Statut der Kartendrucker durch den französischen König Heinrich III. bestätigt wurde und bis zur großen Revolution in Geltung blieb. Nach demselben mußte die Marke des Erzeugers dieser französischen Karten auf dem Treffbuben angebracht werden. Es ist interessant, auf diesen alten Kartenspielen zu beobachten, wie Figuren und Wahlsprüche den jeweiligen Herrschern, ihren Gemahlinnen und Favoritinnen, sowie den politischen Verhältnissen angepaßt werden.

Von Italien aus kam schon im 14. Jahrhundert durch den Handelsverkehr das Kartenspiel nach Deutschland, jedoch verlieren die Blätter hier ihren orientalischen Charakter und werden zu „Spielbriefen“ mit den bis heute beibehaltenen Farben deutscher Karten: Rot, Grün, Schell,'Eichel. Auch das Landsknechtspiel stammt aus Deutschland, Kupferstich und Radierung verfeinern im 15. Jahrhundert die Ausführung und es entstehen ganz entzückende Karteribilder des berühmten „Meisters von 1466“ sowie von Martin Schongauers Schule. Sogar zum Zwecke der Jugenderziehung hat der Mönch und Philosoph Professor Thomas Murner ein Lehrspiel mit 52 Karten und 16 Farben zu-i sammengestellt, überladen mit lateinischen In-1 Schriften und Symbolen. Vom Ende des 15. Jahrhunderts sind auch kreisrunde Karten erhalten, ähnlich aussehend wie die persischen Elfenbeinblätter und geschmückt mit Blumen und Arabesken. *

Die mittelalterliche Spielkarte hat als Prcn dukt der Holz- und Metallschnitt-Technik den Anstoß gegeben zur Herstellung beweglicher Buchstabenreihen, in weiterer Folge von Einzellettern aus Holz und Metall, was schließlich zur Erfindung des Buchdrucks führte. Dieses Verdienst um die Kultur der Menschheit läßt den Nachteil geringer erscheinen, den der Mißbraach der Spielkarte verursach t*

Wie schwer ist ein Volk zu begreifen! Wie unauffindbar ist der Nenner zu dem Zähler der Kräfte, Talente, Neigungen und Tendenzen jedes einzelnen! Gewichtige Denker haben den Charakter eines Volkes oft im entgegengesetztesten Sinne definiert und jeder von Ihnen schien recht zu haben. Zum Beispiel, was ist der Wiener? Wer charakterisiert seinen Volksgenius erschöpfend und ohne Rest, daß nichts fehlt und nichts übrigbleibt? Ihr sagt, nur die Tatsache selbst. Wie die Athener in der Kunst, die Römer in der Politik, die Pariser im Salon, die Berliner in der Philosophie ihre Kraft konzentrierten und das Objektivbild ihrer selbst zu einer höchsten klassischen Vollendung ausarbeiteten, so brauchten wir nur zu sehen, worin die konzentrierte Kraft der Wiener sich ausprägt. Aber siehe — wir sehen nichts. Wir finden nichts, was mit einem einzigen Worte sich nennen ließe, wir finden das Nennwort, von Wien nicht. Also fehlte überhaupt eine bestimmte und hervorragende Kraft? Wäre der bestimmende Zug unseres Charakters die Unbestimmtheit? Die Flachheit, Leerheit, Verschwommenheit? Unmöglich! Damit ist und bleibt man nicht die älteste historische Stadt, welche in ununterbrochener Kontinuität vom Römerlager des Kaisers Marc Aurel bis auf heute lebt, wächst und blüht. Viel eher dürfte das Wahre sein: was andernorts eine Kraft ist, das sind bei uns Kräfte; was andernorts e i n Geist ist, das sind bei uns Geister. Und es ist keine Lebens-, nur eine Glückfrage, ob die Kräfte kristallinisch zu einer Kraft zusammen schießen oder ob sie aus einander-, vielleicht gegen einander-gehen.

Ferdinand Kürnberger, 1868

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